"Eine kalte Mauer zum Westen"
Moskau (n-ost) - Am Wochenende wurde in Moskau eine Kundgebung von Gegnern Präsident Putins von der Polizei massiv unterbunden. Irina Chakamada trat während dieser Kundgebung des Oppositionsbündnisses "Das andere Russland" auf dem Turgenjew-Platz in Moskau als Sprecherin auf. Die bekannte liberale Politikerin ist stellvertretende Vorsitzende der Nationaldemokratischen Union, der die Registrierung bisher verweigert wurde. Chakamada wurde 1955 in Moskau geboren. Ihr Vater war japanischer Kommunist, der 1939 in die Sowjetunion emigrierte. Bei der letzten Präsidentenwahl trat Chakamada als demokratische Kandidatin gegen Putin an, erreichte nach offiziellen Ergebnissen aber nur wenige Prozent der Stimmen. Unser Moskau-Korrespondent Ulrich Heyden interviewte die Politikerin am Wochenende am Rande der Proteste.
Von Spezialeinheiten eingekesselte Demonstranten. Foto: Ulrich Heyden
Frage: Was ist ihr Eindruck von den Aktionen der Opposition am Wochenende?Chakamada: Viele Menschen haben Mut bewiesen und sind aus Protest zu der Demonstration zum Puschkin-Platz gekommen, obwohl sie wussten, dass diese Kundgebung nicht erlaubt war. Es war nur eine Kundgebung auf den Turgenjew-Platz erlaubt. Das waren nicht die Leute die für die Teilnahme an einer Demonstration Geld bekommen. Das waren normale Leute. Die Zahl der OMON-Polizisten (Anmerkung: Sondereinheit der Polizei) und der Sondereinsatzkräfte des Innenministeriums waren riesig. Am Puschkin-Platz hat sich die Polizei noch zurückgehalten, später sind die OMON-Polizisten zu aggressiv aufgetreten. Man hat die Leute verprügelt. Vielen wurden die Hände gebrochen.Frage: Wo waren sie während der Ereignisse?Chakamada: Ich ging in der spontanen Demonstration vom Puschkin-Platz zum Turgenjew-Platz. Ich sah, dass die Leute friedlich waren. Ich sah wie Autobusse mit OMON-Leuten kamen. Über Mundpropaganda hörte ich, dass die OMON eine Straße sperren wollte, um die Demonstration zu stoppen. Da mussten wir auf kleine Gassen ausweichen, um zum Turgenjew-Platz zu kommen. Dort wurde dann auf die Leute eingeprügelt.Frage: Warum setzt der Kreml solche eine große Zahl von Polizisten gegen eine überschaubare Zahl von Demonstranten ein? Warum riskiert Putin, dass sich das Image Russlands im Ausland verschlechtert?Chakamada: Es gibt mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Die erste ist, dass dem Kreml einfach die Nerven durchgegangen sind, weil die Situation schwierig ist. Jetzt müssen Wahlen durchgeführt werden und zwar Wahlen nach dem Szenarium des Kreml. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, demokratische Verhältnisse vorzuführen. Es gibt keine reale Demokratie. Bestimmte Leute werden zu den Wahlen nicht zugelassen. Man hat Angst vor einer orangen Revolution oder einer ähnlichen Entwicklung, wie es sie in der Ukraine gibt. Kundgebungen werden erlaubt aber man hat Angst vor jeder beliebigen Demonstration. Man hat Angst, dass sich auf der Straße spontan mehr Menschen anschließen, dass Quantität in Qualität umschlägt und eine spontane, revolutionäre Bewegung beginnt. Eine zweite Erklärungsmöglichkeit wäre, dass es sich bei dem Polizeieinsatz um eine Provokation der "Siloviki" (Anm. Vertreter der Sicherheitsorgane im Kreml) handelt. Man zeigt, dass man auf die Meinung des Westens spuckt. Man zeigt sich höchst aggressiv. So wird Russland durch eine kalte Mauer vom Westen abgeschirmt.
Oppositionsführerin Irina Chakamada bei der Demonstration (Mitte). Foto: Larissa ErshovaFrage: Was könnte das Ziel so eines Planes sein?Chakamada: Man will dem Westen zeigen, dass die Situation in Russland sehr schwierig ist - "Seht, wie aggressiv alles ist", und Putin deshalb eine dritte Amtszeit braucht.Frage: Können sie die Namen der "Siloviki" nennen?Chakamada: Nein. Das ist mein Erklärungsversuch. Man sieht doch, dass die Siloviki Russland vom Westen abschirmen wollen. Sobald Putin sich dem Westen annähert, starten sie eine Provokation im Land. Das sind die aggressiven Falken.Frage: Ist Putin ein Falke?Chakamada: Nein, ich glaube nicht. Für Putin ist es nicht vorteilhaft ein Falke zu sein. Putin hat nach dem 11. September sehr viel für die Annäherung an den Westen getan. Trotz aller Schwierigkeiten versucht er zu erreichen, dass Russland Mitglied der WTO wird. Putin hat die westlichen Staatsführer nach St. Petersburg zum G8-Gipfel eingeladen. Solche Schritte macht man nicht, wenn man Russland isolieren will. Dass Putin für Russland einen besonderen Weg gewählt hat, steht auf einem anderen Blatt. Er wählte den chinesischen Entwicklungsweg.Frage: Der Polizeieinsatz gegen die Demonstranten hat Putin geschadet?Chakamada: Ich weiß nicht. Darüber muss man nachdenken. Auf den ersten Blick würde ich sagen ja, dass ihm das überhaupt nicht nützte. Denn wenn man im Ausland im Fernsehen sieht, dass man mit dem Schlagstock auf friedliche Demonstranten schlägt, ist das für Putin überhaupt nicht vorteilhaft.
Demonstrantin mit Rose. Foto: Ulrich HeydenFrage: Warum hat Boris Beresowski einen Tag vor der Demonstration von dem Oppositionsbündnis "Das andere Russland" erklärt, dass man Putin gewaltsam stürzen muss?Chakamada: Das war eine ausgesprochen provokatorische Erklärung. Diese Erklärung schadet der Entwicklung der realen Opposition. Außerdem entspricht diese Erklärung nicht der Wahrheit. Meine Organisation wird nicht von Beresowski finanziert. Garri Kasparow und Eduard Limonow müssen erklären, dass sie ebenfalls kein Geld von Beresowski erhalten.Frage: Hat der Polizeieinsatz etwas damit zu tun, dass es im Kreml Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen gibt?Chakamada: Wenn man sich im Kreml einig wäre, stände der Nachfolger von Putin schon längst fest. Ich habe die Information, dass es im Kreml verschiedene Gruppen gibt. Diese Gruppen verfügen über Eigentum. Die Einen erwarben ihr Eigentum unter Jelzin, die anderen unter Putin erworben. Sie können sich nicht einigen.Frage: Es gibt im Kreml noch Vertreter der Jelzin-Ära?Chakamada: Es gibt Personen aus der Jelzin-Zeit. Sie arbeiten nicht im Kreml aber sie haben auf den Kreml Einfluss.Frage: Wie will die Opposition jetzt agieren?Chakamada: Die Opposition muss genehmigte Kundgebungen organisieren und dem Volk erklären, dass die anstehenden Wahlen keine Wahlen sind und dass man sich daran nicht beteiligen sollte.Ende
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