Der Totengräber der Sowjetunion ist tot
Von Moskau (n-ost) - 76 Jahre alt ist Boris Jelzin am 1. Februar geworden, nun hat ihn in einem für russische Verhältnisse geradezu hohen Alter der Tod ereilt.Fast niemand hatte dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Russlands dieses Alter überhaupt zugetraut. Von zahllosen Bypass-Operationen und seiner Alkoholkrankheit gezeichnet, galt Boris Jelzin schon in der Endphase seiner Amtszeit Ende der 90er Jahre als Todeskandidat. Der kräftige Mann aus Jekaterinburg mit der tiefen, dröhnenden Stimme, hat sie Lügen gestraft und wurde ein letztes Mal wurde er seinem Ruf als Draufgänger gerecht. Unter seiner Führung kam es in Russland zu einem Epochenwechsel. Jelzin, der Totengräber der Sowjetunion. Nach dem gescheiterten Putsch der Altkommunisten 1991 wurde Russland unter seiner Führung im Schnelltempo vom Kommunismus in den Kapitalismus geführt.Der 1931 in einer Bauernfamilie im Ural geborene Boris Nikolajewitsch Jelzin war eine widersprüchliche Figur. Mit seinem Namen ist das Ende der Ein-Parteien-Herrschaft verbunden. Die Russen konnten nun endlich ungehindert ins Ausland fahren, die Presse verlor ihre Fesseln, man begann die verschüttete nicht-kommunistische Geschichte zu erforschen, Gläubige konnten nun frei Kirchen besuchen. Doch heute erinnern sich die Russen nicht gerne an Jelzin. Die Nachrufe im Fernsehen fielen erstaunlich kurz aus. Nach einer Umfrage des Moskauer "Levada-Zentrums" aus dem Jahre 2006 bewerten nur neun Prozent der Russen Jelzins Regierungszeit positiv, 33 Prozent "neutral", aber 55 Prozent "negativ oder absolut negativ"; 49 Prozent würden ihn noch heute gern vor Gericht stellen, 70 Prozent meinen, "dass es in der Jelzin-Epoche mehr Schlechtes als Gutes gab".
Das Ansehen der Jelzin-Ära ist nicht besonders hoch. Da geht es Jelzin ähnlich wie seinem noch lebenden Widersacher Gorbatschow, den er für dessen zögerliche Reformen immer kritisiert hatte. Beim Namen Jelzin erinnern sich die Russen weniger an neue Freiheiten sondern mehr an soziale Einschnitte, an die Entwertung von Sparguthaben und Finanzkrisen. Sie erinnern sich auch an einen Präsidenten, der sich aufgrund von Alkoholproblemen bei Staatsbesuchen häufig danebenbenahm. Unvergessen wie er Mitte der 90er Jahre in Berlin leicht schwankend eine Blaskapelle dirigierte. Legende sein Staatsbesuch in Irland, den er in seinem Regierungsflugzeug auf dem Rollfeld verschlief.Unter Jelzin konnten die Journalisten relativ frei arbeiten. Doch der Bauernsohn aus dem Ural war unfähig die aufbrechenden nationalen Konflikte im Riesenreich auf demokratische Art zu lösen. Im Dezember 1994 schickte er Truppen nach Tschetschenien. In den folgenden zwei Jahren begann ein mörderischer Kampf, bei dem Tausende von schlecht ausgebildeten Wehrpflichtigen starben. Noch 1991 hatte Jelzin die Völker Russlands aufgerufen, "nehmt euch soviel Souveränität, wie ihr könnt". Damals waren die nichtrussischen Völker in dem Riesenreich in Aufbruchstimmung und Jelzin hoffte, sie im Kampf gegen die Partei-Bürokratie zu gewinnen. "Man kann über Fehler sprechen, aber er war kein Feigling", erklärte jetzt der ehemalige Ministerpräsident Sergej StepaschinJelzin war ein Mann der Tat. Langes Überlegen und Zaudern war seine Sache nicht. Als die Alt-Kommunisten im August 1991 gegen den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow putschten, war es Jelzin, der durch entschlossenes Handeln, das Blatt wendete und die Lorbeeren einfuhr. Auf einem Panzer vor dem Moskauer Regierungsgebäude stehend, rief Boris Nikolajewitsch, damals bereits Präsident Russlands, zum Widerstand gegen die Putschisten auf. Die Bilder gingen um die Welt. Sie zeigten den völligen Niedergang des sowjetischen Systems. Die Putschisten zogen sich zurück. Ihre Panzer, die sie hatten auffahren lassen, setzten sie nicht mehr ein. Jelzin unterschrieb einen Ukas zur Auflösung der KP.Am 8. Dezember löste der Präsident Russlands zusammen mit den Präsidenten der Ukraine und Weißrusslands die Sowjetunion auf. Michail Gorbatschow, der immer noch für eine reformierte Sowjetunion gekämpft hatte, war überrumpelt worden. Ende Dezember 1991 trat Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion zurück. Gestern drückte der ehemalige sowjetische Präsident in einem Beileidstelegramm an Jelzins Frau Naina, sein "tiefes Beileid" aus. "Unsere Schicksale kreuzten sich, und wir mussten in dem Moment handeln, als es im Land wichtige Veränderungen gab", erklärte Gorbatschow.Jelzin formte zusammen mit den "jungen Reformern" um Jegor Gajdar, Anatoli Tschubais und Boris Nemzow ab 1991 das neue Russland. Es war eine stürmische Zeit. Das Staatseigentum wechselte unter oft ungeklärten Umständen den Besitzer. Es entstand eine neue Schicht von sogenannten Oligarchen, die bis heute Schlüsselstellungen in der Wirtschaft einnehmen. 1993 ließ Jelzin entnervt das russische Parlament beschießen, das ihm 1991 noch Zuflucht gewährte, weil die Duma seinem Willen nicht folgen wollte. Dass Jelzin 1996 doch noch einmal die russischen Wahlen gewann, hatte er vor allem einigen Oligarchen und amerikanischen Wahlberatern zu verdanken, die eine millionenschwere Kampagne finanzierten, aus Angst vor einem kommunistischen Rückfall. Erst nach der großen russischen Finanzkrise 1997, die zu einer drastischen Abwertung des Rubel führte, gewann die russische Wirtschaft aufgrund nun niedrigerer Produktionskosten ihre Konkurrenzfähigkeit zurück und die wirtschaftliche Erholung setzte ein.Es war Jelzins Nachfolger Wladimir Putin, der den Oligarchen den Kampf ansagte. Viel Gutes hat der amtierende Kreml-Chef, der sein Amt im Dezember 1999 aus den Händen von Jelzin erhielt, seitdem nicht über den ersten russischen Präsidenten gesagt. Geradezu sybillinisch äußerte sich Putin anlässlich Jelzins 75. Geburtstag im vergangenen Jahr: "Wie immer man die Jelzin-Ära auch bewerten mag, er hat uns wenigstens die Freiheit gebracht." Drastischer fällt das Urteil von Jurij Lushkow, Moskaus Oberbürgermeister, aus: "Ich sehe seine Zeit als eine für das Land verlorene Zeit an. Vieles hätte in der Wirtschaft und im Sozialen getan werden können, um die Massenverelendung und den Autoritätsverlust des Landes zu vermeiden, aber es wurde nichts getan."
Solche harsche Kritik klingt wie ein Zitat aus Solschenizyns Buch "Rossija v obvale" (Einstürzendes Russland), in welchem der Autor 1998 geradezu die Endzeit der Größe und Stärke Russlands konstatierte - von Gorbatschow blauäugig begonnen, von Jelzin leichtfertig vollendet. Solschenizyns vernichtendes Urteil war in vielen Teilaspekten gewiss zutreffend, doch sind sich viele Historiker darin einig, dass es von der 1970 einsetzenden Agonie der Kommunistischen Partei der Sowjetunion keinen mühelosen Weg zu Demokratie, Marktwirtschaft und mittelständischem Unternehmer¬tum geben konnte."Es ist nicht leicht, Präsident Russlands zu sein - es ist vielmehr verdammt schwer und wird auch nicht leichter", sagte Jelzin in einem Interview zu seinem 75. Geburtstag. Und fügte hinzu: "Seit ich aus der Politik fort bin, werde ich laufend gesünder." Nun hat ihn der Tod doch noch ereilt.Ende---------------------------------------------------------------------------
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