Botschafterin Estlands in Moskau bedroht
Moskau (n-ost) - "Faschismus kommt nicht durch". Laut schallten die Rufe von 150 Mitgliedern der kremltreuen Jugendorganisation "Naschi" ("Die Unsrigen"). Der Protest galt nicht russischen Skinheads, sondern der Botschafterin Estlands, Marina Kaljurand, die in den Redaktionsräumen von "Argumenti i Fakti" in Moskau eine Pressekonferenz zur Verlegung des sowjetischen Soldaten-Denkmals in der estnischen Hauptstadt Tallin abhalten wollte. Das Denkmal des "bronzenen Soldaten" war Ende letzter Woche von einem öffentlichen Platz in Tallin auf den Militärfriedhof der Stadt verlegt worden.
Die Pressekonferenz konnte erst mit Verspätung beginnen. Die Botschafterin erklärte, sie sei nicht tätlich angegriffen worden. "Es gab einen Kampf des Wachdienstes mit der Bewegung "Naschi", die Wachleute waren gezwungen, Gas einzusetzen." Bei dem Handgemenge setzten die Leibwächter Pfefferspray ein. Es gingen Möbel und ein Computer zu Bruch.
OMON kam mit Verspätung
Die russische Sondereinheit OMON, die normalerweise gegen Gewalttäter eingesetzt wird, rückte erst 45 Minuten nach dem Handgemenge an. Sie nahm sechs Demonstranten fest, unter anderem einen Mann, der die Abfahrt der Botschafterin mit seinem Auto verhindern wollte.
Der staatliche russische Fernsehkanal ORT berichtete über die Vorfälle ohne ein Wort der Kritik. Die öffentliche Meinung in Russland ist aufgewühlt durch die Bilder, die das russische Fernsehen aus Tallin zeigt. Die Fernsehkommentatoren sprechen von einer Attacke auf die Ehre der Soldaten. Immer noch zeigt man Bilder aus einer Lagerhalle im Hafen von Tallin, wo Hunderte von Demonstranten der russischsprachigen Minderheit nach den Protesten in der Innenstadt mit gefesselten Händen am Boden festgehalten wurden. Auf der Mai-Demonstration des russischen Gewerkschaftsdachverbandes FNPR sammelten die Aktivisten von "Die Unsrigen" Unterschriften für die "Evakuierung der faschistischen Botschaft Estlands" aus Moskau. Viele Russen trugen sich spontan in die Unterschriftenlisten ein und gaben sogar ihre Telefonnummern an.
EU-Kommission besorgt
Seit einer Woche blockieren kremltreue Jugendorganisationen die Botschaft Estlands in Moskau. Die EU-Kommission drückte in einer Erklärung ihre Besorgnis aus. Bei der estnischen Botschaft komme es "zunehmend" zu "gewalttätigen Demonstrationen". Russland wurde aufgefordert, die Verpflichtungen der Wiener Konvention zum Schutz von Botschaften zu erfüllen.
Politschulungen auf Sommerlagern
Die Jugendorganisation "Die Unsrigen", die ihre Anhänger auf Sommerlagern politisch schult und Massenaufmärsche zum Gedenken an den Sieg über Hitler-Deutschland in Moskau veranstaltet, vergleicht die Aktivitäten der russischen Opposition um den Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und die orangene Revolution in Kiew mit dem Angriff der Hitler-Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941. Entsprechend rabiat tritt die Jugendorganisation auf. Nachdem der britische Botschafter Anthony Brenton im Sommer letzten Jahres auf der von Garri Kasparow organisierten Konferenz "Das andere Russland" aufgetreten war, wird er von Mitgliedern der "Unsrigen" verfolgt. Öffentliche Auftritte des Botschafters werden häufig gestört.
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Ulrich Heyden