Russland

Fortbewegung auf Russisch

Der Schiguli ist schlicht und karg wie die Weiten der Tundra und unschlagbar billigSt. Petersburg (n-ost) - Er ist und bleibt das populärste sowjetische Auto: der Schiguli. Im Ausland als Lada bekannt, beherrscht er heute, 17 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, neben dem panzerartigen Landrover, dem schicken Lexus der Neureichen und dem akkuraten VW der wachsenden Mittelschicht nach wie vor das russische Straßenbild.Das wohl bekannteste Produkt von VAZ (das "Autowerk an der Wolga") ist nicht wegzudenken von der familiären Fahrt auf die Datscha oder von den Obstmärkten, auf denen die treuen "Kopejkas" (so nennt der Volksmund das erste Schiguli-Modell) voll bepackt mit Obst- und Gemüsekisten als Lastesel und Verkaufstische dienen.


Der Schiguli - Klassiker des sowjetischen Autobaus
Anna LitvinenkoDoch es sind nicht etwa nostalgische Gefühle oder die Liebe zu den "vaterländischen" Autos, die für die anhaltende Popularität des Schiguli in Russland sorgen, sondern rein praktische Gründe: "Das einzige, was mir an meinem Schiguli gefällt, ist sein Preis", lächelt der 21-jährige Wadim, der seine gebrauchte "Schestjorka" (VAZ 2106, das "sechste Modell") vor einem Jahr für 2000 Euro erwarb. Jetzt zahlt er allerdings noch drauf mit seinen Nerven, weil das Auto "immer klappert und knarrt" und ständig reparaturbedürftig sei. Aber Wadim versteht es, damit zu leben. "Mit einem Schiguli kann man zwar keine Mädels begeistern, aber anderseits ist es nicht so schlimm, wenn man mit dem Auto einen Totalschaden verursacht."Benannt wurde der Schiguli nach den Schiguli-Bergen in der Nähe der Stadt Togliatti an der Wolga. Diese Stadt hieß bis 1964 Stawropol und wurde nach dem Tod des italienischen Kommunisten Palmiro Togliattis umbenannt. Togliatti war es nämlich zu verdanken, dass mit Hilfe von Fiat an der Wolga ein modernes Autowerk gegründet wurde. Als dann am 19. April 1970 die ersten "Kopejkas" pünktlich zu Lenins Geburtstag das Fließband in Togliatti verließen, galten sie als Prestigeobjekt für den sowjetischen Bürger. Nur diejenigen, die außerordentliche Leistungen im Beruf erbrachten oder spezielle Beziehungen hatten, durften auf die Warteliste für den Wagen. Es mag kaum verwundern, dass die ersten Schiguli nach dem Vorbild des Fiat 124, dem Auto des Jahres 1966, gebaut wurden. Dem Zustand der sowjetischen Straßen entsprechend mit einer verstärkten Karosserie ausgestattet sowie aufgrund des russischen Winters um eine Heizung bereichert, galten sie seiner Zeit als sehr modern. Der 60 PS starke Vierzylinder war anspruchslos im Service, vertrug Normalbenzin und hatte im minimalistischen Inneren genug Platz für eine fünfköpfige Familie.Erste Exportversuche ins Ausland scheiterten unerwartet am Namen des neuen Autos. Was das russische Ohr an ein schönes Naturreservat an der Wolga erinnerte, erwies sich in manchen Sprachen, so etwa im Ungarischen, als unanständig. So bekam der Schiguli seinen zweiten Taufnamen: "Lada", was, dem Altrussischen entnommen, der Kosename für eine geliebte Frau ist. Die ersten sieben VAZ-Modelle blieben im Volksmund aber für immer "Schiguli".Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde VAZ zur Aktiengesellschaft und durchlebte eine schwere Krise. Der sowjetische Produktionsumfang von 735.000 Stück pro Jahr ging bis 1994 auf 500.000 Exemplare zurück. Danach ging es aber wieder bergauf.  Mit neuen Modellen wie "Kalina" oder "Nadeschda" versucht VAZ mit dem aktuellen Stand der Technik Schritt zu halten. Doch nach wie vor bleibt der Preis das wesentliche Argument für den Kauf eines russischen Autos. Dabei sind die alten Schiguli-Modelle auch heute noch viel häufiger als die neuen Ladas auf den russischen Strassen zu sehen.Diese Klassiker des sowjetischen Autobaus, schlicht und karg wie die Weiten der Tundra, sind nicht nur in Russland, sondern im ganzen GUS-Raum und in den ehemaligen Ostblock-Ländern verbreitet. Alte, durchgerostete Schiguli-Taxis springen in Sibirien auch noch bei minus 50 Grad an und leisten unter der glühenden Sonne mittelasiatischer Basare in Kasachstan oder Usbekistan unermüdlich ihren Dienst. Mit seiner schlichten Technik, für die ABS, Servolenkung, ESP oder andere elektronische Fahrhilfen Fremdwörter sind, schafft der Schiguli großen Freiraum für jeden begeisterten Kfz-Mechanik-Laien."Das ist ein Auto für jemanden, der herumbasteln will", sagt Lothar Deeg, deutscher Journalist, der seit 13 Jahren in St. Petersburg lebt. "So ein Typ bin ich aber nicht", fügt er lächelnd hinzu. Deswegen ist er mit seinen vier Jahre alten "Tschetwjorka" (dem "vierten Modell") Stammgast beim russischen Autoservice. Ansonsten findet er es "witzig" in Russland einen Schiguli zu fahren, es sei eben praktisch für die Fahrten auf die Datscha. Das Hauptargument für den Kauf war für ihn wie auch bei den anderen "Schigulisten" der unschlagbare Neuwagenpreis von viertausend Euro. "Außerdem kann ich ihn unbeschwert vor der Haustür stehen lassen", sagt Deeg. Der Schiguli steht nämlich in den Statistiken der meistgeklauten Autos ganz unten auf der Liste. Der sowjetische Oldie ist offensichtlich so uninteressant, dass er keine Autodiebe anlockt.*** Ende ***
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