Energiegipfel in Krakau ohne Hauptdarsteller
Polens einsamer Kampf um die Diversifizierung seiner Ölversorgung
Kraków (n-ost) - Polen ist auf der Suche nach einer von Russland unabhängigen Ölversorgung. Aus diesem Grunde trafen auf Einladung von Polens Präsident Lech Kaczyński in Krakau die Staatschefs von Polen, Aserbaidschan, Georgien, der Ukraine und Litauens zu einem osteuropäischen Energiegipfel zusammen, um nach einer Öl-Lieferroute von Zentralasien nach Mitteleuropa ohne russische Beteiligung zu suchen. Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, dessen Teilnahme von Anfang an zweifelhaft war, schickte den Staatssekretär im Energieministerium Lyassat Kiinow als Sondergesandten.
Aserbaidschan willig, aber schwach
Ob der genannte Lieferkorridor unter Nutzung der bereits bestehenden ukrainischen Pipeline von Odessa nach Brody nahe der polnischen Grenze jemals vervollständigt wird, steht und fällt nach Ansicht von Experten mit der Beteiligung Kasachstans. Aserbaidschan hat zwar bei Kaczyńskis Besuch Ende März seine grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an dem Projekt signalisiert, doch sind Zweifel daran angebracht, ob das Land überhaupt genügend Öl für die Belieferung einer weiteren Pipeline "übrig" hat. Angeblich ist bereits die von BP betriebene Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan nicht voll ausgelastet. Kasachstan, das die Lücke füllen könnte, steht jedoch bislang fest an der Seite Russlands, dem die polnischen Pläne überhaupt nicht schmecken.
Hoher Besuch aus Moskau
Davon zeugt der Besuch von Präsident Putin in Astana just am Vorabend des Krakauer Gipfels. Ostentativ fragte Nasarbajew bei Putin an, ob denn eine Erhöhung der Kapazität der CPC-Pipeline möglich sei, mit der Öl aus dem kasachischen Fördergebiet Tengiz durch Südrussland zum Schwarzmeerhafen Noworossijsk transportiert wird. Damit stieß er bei Putin wie erwartet auf offene Ohren: "Wir denken, dass das möglich ist, vor allem mit Blick darauf, dass der Bau der neuen Pipeline Burgas-Alexandroupolis bereits beschlossene Sache ist. Ein bedeutender Teil des Öls, mit dem diese Pipeline versorgt wird, kann aus Kasachstan kommen", erklärte Putin auf einer Pressekonferenz.
Am Freitag begaben sich Putin und Nasarbajew auf Reisen - allerdings nicht nach Kraków, sondern in die Hafenstadt Turkmenbaschi am Kaspischen Meer, um dort den neuen Präsidenten des erdgasreichen Turkmenistan, Gurbanguly Berdymuchammedow, von energiepolitischen Seitensprüngen in Richtung Westen abzuhalten. In einer gemeinsamen Erklärung Putins und Berdymuchammedows heißt es denn auch, von vorrangiger Bedeutung sei die Umsetzung des Vertrags vom April 2003 über langfristige Erdgaslieferungen aus Turkmenistan nach Russland. Der Vertrag sichert Russland Erdgaslieferungen aus Turkmenistan, die bis 2028 ein Jahresvolumen von 80 Milliarden Kubikmeter erreichen sollen.
Turkmenische Nägel mit Köpfen
Um diese Liefermengen überhaupt transportieren zu können, vereinbarten Putin, Berdymuchammedow und Nasarbajew den Bau einer neuen Pipeline entlang der Ostküste des Kaspischen Meeres von Turkmenistan über Kasachstan nach Russland. Außerdem vereinbarte Russland mit Usbekistans Präsident Islam Karimov die Modernisierung der bestehenden Gaspipeline Mittelasien-Zentrum, der bislang einzigen Exportroute für turkmenisches Gas in Richtung Russland. Die Verträge über diese Pipeline-Projekte sollen bereits bis September dieses Jahres unterzeichnet werden. Werden die Pläne Wirklichkeit, sichert sich Russland die Kontrolle über einen Großteil des Öl- und Gasexports aus Zentralasien.
Brüsseler Séparée
Entsprechend dünn fielen die Ergebnisse des Krakauer Gipfels aus. Man sei sich "politisch näher gekommen", resümierte Präsident Kaczyński. In einer gemeinsamen Erklärung vereinbarten die Gipfelteilnehmer die Bildung einer Arbeitsgruppe für energiewirtschaftliche Fragen auf Regierungsebene sowie ein weiteres Treffen in Vilnius Anfang Oktober. An diesem Treffen sollen nach den Wünschen Kaczyńskis auch Turkmenistan sowie andere EU-Länder teilnehmen. Damit sprach Polens Präsident das Fehlen eines weiteren Hauptdarstellers in Krakau an. Denn neben dem kasachischen Präsidenten glänzte auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft durch Abwesenheit, wiewohl die Energiesicherheit erklärtermaßen eines ihrer zentralen Themen ist. Statt in Krakau zu erscheinen, trafen die Energiesicherheits-Korrespondenten der EU just am Freitag zu ihrem ersten Treffen in Brüssel zusammen. Dieses Netz sei ein "praktisches Beispiel für die Solidarität der EU-Mitgliedsstaaten im Bereich der Energieversorgung", erklärte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, während die Krakauer Einzelkämpfer um Alternativen zur russischen Energie-Hegemonie rangen und Putin in Zentralasien Nägel mit Köpfen machte, um eben diese Alternativen zu verhindern.
ENDE
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Torsten Stein