"Hindernisse kann man nur im Dialog beseitigen"
Interview mit Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zum EU-Russland-Gipfel in Samara
Frankfurt (n-ost) - Das Gipfeltreffen zwischen der EU und Russland im südrussischen Samara wird durch diverse Konflikte überschattet. Die polnische Blockade eines neuen Partnerschaftsvertrages, die Diskussion um die Ratifizierung einer Energiecharta, der Denkmalstreit zwischen Estland und Russland und die Kontroverse um die Stationierung von amerikanischen Abwehrraketen in Osteuropa belasten das Treffen.
Bis Anfang dieser Woche schien selbst eine Absage des Gipfels nicht vollkommen ausgeschlossen. Unser Mitarbeiter Mathias von Hofen befragte den Bundestagsabgeordneten Professor Gert Weisskirchen, Leiter der deutsch-russischen Parlamentariergruppe und außenpolitischer Sprecher der SPD zum Stand der Beziehungen zwischen der EU und Russland.
Frage: Das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland läuft Ende des Jahres aus. Polen hat angekündigt ein neues Partnerschaftsabkommen zu blockieren, solange Russland polnische Fleischexporte an der Grenze zurückweist. Kann Deutschland in dieser Frage vermitteln?
Weisskirchen: Ich hoffe, dass in letzter Sekunde doch noch eine Einigung erzielt werden kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass technische Details wie Hygienevorschriften die Partnerschaft zwischen Russland und der EU gefährden können. Hier ist von beiden Seiten mehr Flexibilität gefordert. Russland und die EU haben eine strategische Partnerschaft, die beiden Vorteile bringt.
Gert Weisskirchen
SPD-Fraktion
Frage: Hat denn Moskau überhaupt Interesse am Abschluss eines neuen Partnerschaftsvertrages?
Weisskirchen: Mittelfristig ja, auf kurze Sicht stehen dem aber starke nationale Interessen in Russland gegenüber. Es gibt in Russland politische Kräfte, die zu sehr auf eine Dominanz Russlands in den Beziehungen zu anderen Staaten setzen. Dies erschwert auch die Beziehungen zur Europäischen Union. Mittelfristig wird sich aber das Interesse Russlands an einer engen Kooperation mit der EU durchsetzen.
Frage: Die EU misst der Unterzeichnung einer Energiecharta besondere Bedeutung zu. Bisher hat Russland die Charta abgelehnt. Gibt es die Chance zu einem Kompromiss?
Weisskirchen: Die Zeichen müssen auf Kompromiss stehen, denn auch die russische Seite hat Interesse daran, die Beziehungen mit den Konsumenten in Europa stabil zu halten. Letztendlich profitiert ja auch Moskau von stabilen Lieferbeziehungen nach Europa. Russland braucht auch die Einnahmen aus den Ölexporten, um die in den letzten Jahren begonnene Modernisierung des Landes weiter voran zu treiben. Dies weiß natürlich auch die russische Regierung. Daher halte ich eine Lösung dieser Frage weiter für möglich.
Frage: Die russische Seite ist der Ansicht, dass mit der Energiecharta westliche Unternehmen freien Zugang auf den russischen Markt bekommen könnten, während umgekehrt russische Unternehmen, beim Versuch sich auf westlichen Märkten zu etablieren, auf massive Widerstände treffen würden. Können Sie die russische Position nachvollziehen?
Weisskirchen: Ich kann die russische Position gut verstehen. Allerdings müssen sich beide Seiten in diesem Punkt komplementär verhalten, das heißt das Investoren nicht der Zugang zu Märkten versperrt wird. Beide Seiten sollten ein Interesse an gegenseitigen. Investitionen haben. Bestehende Hindernisse kann man nur im gegenseitigen Dialog beseitigen.
Frage: Die Entscheidung der estnischen Regierung das Denkmal des "bronzenen Soldaten", das an die Befreiung Estlands durch sowjetische Truppen 1945 erinnert, aus dem Zentrum Tallins auf einen Friedhof zu verlegen, hat gewalttätige Proteste ausgelöst. Hatte man in Estland nicht berücksichtigt, dass die Denkmalsverlegung die Gefühle der russischen Minderheit verletzen könnte?
Weisskirchen: Estland hat in sowjetischer Zeit misstrauische Gefühle gegenüber der Moskauer Zentrale entwickelt. Dies bestimmt zum Teil auch noch heute die Einstellung gegenüber Russland. In Estland gibt es ein anders gelagertes Geschichtsbild als in Russland. In Estland sieht man die Beifreiung von der deutschen Besatzung 1945 nicht als die endgültige Beifreiung von der Fremdherrschaft. Für Russland steht das Denkmal des "bronzenen Soldaten" dagegen allein für den Sieg über Hitler-Deutschland. In diesem Konflikt kreuzen sich zwei unterschiedliche Geschichtsbilder.
Frage: Hat sich die deutsche EU-Präsidentschaft ausreichend bemüht in diesem Konflikt zwischen Russland und Estland zu vermitteln?
Weisskirchen: Die deutsche Ratspräsidentschaft hat sich engagiert, als eine Zuspitzung des Konfliktes zu erkennen war. Dabei hat Deutschland versucht, bei der Umarbeitung der unterschiedlichen Geschichtsbilder in Estland und Russland zu vermitteln. Die EU muss darauf bestehen, dass wenn es Probleme gibt, wie zwischen Estland und Russland, die Probleme über Verständigung angegangen werden.
Frage: Hat sich seit der Aufnahme verschiedener osteuropäischer Länder in die EU die Position der Gemeinschaft gegenüber Moskau verhärtet?
Weisskirchen: Nein, dies ist so generell nicht zutreffend. Dies betrifft eher frühere Sowjetrepubliken wie die baltischen Staaten und die traditionell schwierigen Sonderbeziehungen zwischen Polen und Russland. Tschechien und vor allem die Slowakei haben aus historischer Perspektive gesehen ein weniger gespanntes Verhältnis zu Russland. Man kann nicht generell von einer Verhärtung der EU-Position gegenüber Russland sprechen.
Frage: Welche Rolle spielt das Thema Menschenrechte, insbesondere auch angesichts des harten Vorgehens der Ordnungskräfte gegen friedliche Demonstranten in Moskau, in den Beziehungen der EU zu Russland?
Weisskirchen: Menschenrechten kommt eine universelle Rolle zu. Die deutsche Ratspräsidentschaft sollte darauf dringen, dass Menschenrechte auch in Russland die gleiche Beachtung wie zum Beispiel in der Europäischen Union finden. Problematisch ist zum Beispiel auch die Einschränkung der Medien- und Pressefreiheit in Russland.
Frage: Präsident Putin kann laut der russischen Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren Als mögliche Nachfolger Putins werden vor allem Sergej Iwanow und Alexander Medwedew gehandelt. Wer hat die besten Chancen neuer Präsident Russland zu werden?
Weisskirchen: Das entscheiden allein die russischen Wähler. Sowohl Iwanow als auch Medwedew wären geeignete Präsidenten Russlands. Ich denke, dass es bei beiden keine wesentliche Änderung der russischen Politik gegenüber Deutschland und der EU geben würde.
Kasten: Gert Weisskirchen
Der 63-jährige in Heidelberg geborene Fachhochschulprofessor Gert Weisskirchen ist langjähriges SPD-Mitglied, seit 1976 Bundestagsabgeordneter und nach zahlreichen Ämtern seit Oktober 1999 außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Bis 1980 hatte er eine Professur für Sozialpädagogik an der Fachhochschule Wiesbaden inne und ist seit 1995 Honorarprofessor für angewandte Kulturwissenschaften an der Fachhochschule Potsdam.
Ab den frühen 80er Jahren unterstützt er aktiv Dissidenten und Bürgerrechtler in Osteuropa und ist seit 1992 Mitglied des Präsidiums der Helsinki-Citizen's-Assembly (HCA), einer Dachorganisation von Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen, die von Vaclav Havel gegründet wurde. Seit 1994 ist Weisskirchen im Namen der SPD-Fraktion in Ausschüssen und Versammlungen der OSZE tätig, so zum Beispiel als Vorsitzender des Ausschusses "Menschenrechte und Demokratie" oder "Bekämpfung des Antisemitismus".
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Mathias von Hofen