Russland

Schlagabtausch an den Wolga-Klippen

Lediglich "Verabredungen" und keine Ergebnisse auf dem EU-Russland-Gipfel in Samara

Moskau (n-ost) - Im südrussischen Kurort "Wolga-Klippen" flogen am Freitag die Fetzen. Wladimir Putin hatte zum EU-Russland-Gipfel geladen. Trotz aufwendiger Bau-Arbeiten an den Unterkünften für die Staatsgäste, einem herrlichen Blick auf den Wolga-Stausee, russischer Volks-Musik und einem Abendessen im romantischen Blockhaus, pflegte man diesmal nur den Dialog. Vereinbarungen wurden nicht unterschrieben. Es gab nur einige "Verabredungen". So soll ein Gremium für Investitionen geschaffen und die Grenzkontrollen vereinfacht werden.

Angela Merkel meinte, manchmal sei es besser "miteinander als übereinander zu reden." Meinungen wurden zwar geäußert, aber man bewegte sich nicht aufeinander zu. Der Kreml-Chef wies alle Kritik wegen der Verletzung der Demokratie in Russland brüsk zurück. Ein ausgesprochen selbstsicherer Putin versuchte den Europäern ein paar Lektionen zu erteilen. In Estland sei bei den Protesten gegen den Abbau des sowjetischen Soldaten-Denkmals unter den Augen der Polizei ein Demonstrant gestorben. Man habe keine Hilfe geleistet. Die russische Minderheit in den baltischen Staaten werde diskriminiert. Es sei nicht gerechtfertigt, auf Russland Druck auszuüben. Die EU würde ja ihre strategischen Beziehungen zu den USA auch nicht in Frage stellen, weil dort die Todesstrafe vollstreckt werde und weil es Guantanamo gebe. Auf die Frage, ob er ein "lupenreiner Demokrat" sei, meinte Putin, echte Demokratie gäbe es nirgendwo auf der Welt. Das sei so wie der Streit, ob ein Glas Wasser halbvoll oder halbleer ist.

"Keine Angst vor marginalen Gruppen"

In Anspielung auf den "Marsch der Nicht-Einverstandenen", der am Freitagnachmittag in Samara stattfinden sollte, erklärte Putin, "vor marginalen Gruppen" habe er "keine Angst". Warum die Polizei aber am Freitagmorgen auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo 27 Personen, die zu der Demonstration in Samara wollten, die Pässe abnahm, wollte der Kreml-Chef nicht erklären. Derartige Vorsorgemaßnahmen seien auch in anderen Ländern üblich, so der Kreml-Chef. Auch in Hamburg habe es ja Razzien gegen G8-Gegner gegeben.
Betroffen von den Maßnahmen auf dem Moskauer Flughafen waren der ehemalige Schachtweltmeister und Oppositionsführer Garri Kasparow, der Führer der Nationalbolschewisten Eduard Limonow, der Menschenrechtler Lew Ponomarjow sowie mehrere Journalisten westlicher Medien.

Zuvor war der "Marsch der Nicht-Einverstandenen" vom Bürgermeister Samaras genehmigt worden. Die 27 Personen, die am Flughafen festgehalten wurden, bekamen ihre Ausweise erst zurück, als das letzte Flugzeug nach Samara abgeflogen war. Bereits am Mittwoch waren mehrere Organisatoren der Demonstration in Samara festgenommen worden. In der Wolga-Stadt selbst wurden dreitausend Polizisten zusammengezogen. Der Kreml-kritische Radio-Sender "Echo Moskwy" meldete, in den Gassen entlang der Demonstrationsroute ständen Wasserwerfer und Busse mit Polizisten bereit. Angela Merkel wollte die Behinderung von Kasparow nicht unkommentiert lassen. Ohne den Namen des Oppositionsführers zu nennen erklärte sie, "ich sage ganz offen, dass ich mir wünsche, dass heute Nachmittag die, die in Samara demonstrieren wollen, das auch tun können, und ich bin etwas besorgt, dass manch einer Schwierigkeiten hatte beim  Anreisen." Sie hoffe, dass die, die ihre Meinung äußern wollen, dies auch tun können.

Putin: "Europas innere Probleme"

Die Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen mit der EU hätten "noch nicht begonnen", stellte der Kreml-Chef nüchtern fest. Man "dramatisiere die Situation aber nicht". Russland "verstehe", dass Europa erst mal "seine inneren Probleme" klären muss. "Wir achten das", erklärte Putin im gespielten Großmut. Meinungsverschiedenheiten gäbe es nur in den Fragen, die "im Bereich des ökonomischen Egoismus einzelner europäischer Länder liegen", erklärte der russische Präsident. Putin spielte dabei auf Polen, Estland und Litauen an. Polen blockiert die Verhandlungen über eine neue Rahmenvereinbarung zwischen Russland und der EU wegen des russischen Importverbots für Fleisch aus Polen. Estland erklärt, offizielle russische Strukturen seien in einen "Cyber-War" gegen Websites der estnischen Regierung verwickelt, Litauen fordert die Wiederaufnahme russischer Öllieferungen. EU-Kommissar José Manuel Barroso erklärte, Probleme einzelner EU-Mitglieder seien Probleme der gesamten Europäischen Union. Das gelte auch für Polen, Litauen und Estland.

Doch auf diesem Ohr war Putin taub. Die "Iswestija" schrieb, in Moskau träume man immer noch davon, Europa vom amerikanischen Einfluss zu befreien. Länder wie Estland und Polen wollten Russland jetzt nur zeigen, "dass sie selbstständig sind". Im Grunde seien das Agenturen der USA, erklärte der Kreml-nahe Politologe Gleb Pawlowski freimütig. Früher, so trauert die "Iswestija", habe man bei Problemen mit Brüssel oder den neuen EU-Mitgliedern mit Berlin oder Paris immer noch einen Kompromiss gefunden. Jetzt sei das schwierig. Doch Putin zeigt sich dennoch optimistisch. Russland wickelt 50 Prozent seines Handels mit der EU ab und viele Länder Europas sind von russischen Energielieferungen abhängig. Zu einer ernsten Krise zwischen Russland und Europa könne es daher nicht kommen.


Ende

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Ulrich Heyden


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