Bosnien-Herzegowina

"Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht aus dem Staub machen"

Interview mit Dr. Christian Schwarz-Schilling vor seinem Abschied als Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft und EU-Sonderbeauftragten in Bosnien-Herzegowina.

Sarajevo (n-ost) - Ende Juni läuft das Mandat von Christian Schwarz-Schilling als Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft und EU-Sonderbeauftragter in Bosnien- Herzegowina aus. Der 76-Jährige CDU-Politiker versuchte eineinhalb Jahre lang von Sarajevo aus den Friedensprozess auf dem Balkan voranzutreiben. Schwarz-Schilling geht nicht ganz freiwillig. Bosnische Medien hatten berichtet, dass führende Staaten gegen eine Verlängerung seines Mandates stimmten. Nachfolger von Schwarz-Schilling wird der 44-jährige slowakische Diplomat Miroslav Lajcak. Im Gespräch mit n-ost-Korrespondent Saša Gavrić zieht Schwarz-Schilling eine eher negative Bilanz seiner Amtszeit.

FRAGE: Nachdem Sie fast anderthalb Jahre Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien waren - wie sieht ihr persönliches Fazit aus?

Schwarz-Schilling: Ich bin in einer schwierigen Zeit in dieses Amt gekommen. Exakt zum Zeitpunkt als ich kam, scheiterte die Verfassungsreform im Parlament an zwei fehlenden Stimmen. Zudem haben wir uns 2006 in einem Wahljahr befunden. Ich hatte in meiner Parlamentsrede im Mai 2006 eine ganz Agenda von Reformgesetzen vor dem Plenum vorgeschlagen, nicht ein einziges ist bis zum 1. Oktober, dem Wahltag, beraten oder verabschiedet worden. Wir haben danach faktisch fast fünf Monate gebraucht, bis wir eine Regierung gebildet haben. Und so war von den rund anderthalb Jahren meiner Amtszeit die Zeit bis April 2007 im Grunde genommen eine sehr unbrauchbare Zeit für konstruktive Fortschritte.


Christian Schwarz-Schilling
OHR

FRAGE: Welche Projekte hätten Sie gerne auf den Weg gebracht?

Schwarz-Schilling: Meine Bemühung ist es, bei den bosnischen Politikern möglichst schnell die Polizeireform, eine Verfassungsreform und andere wichtige Dinge anzustoßen, zum Beispiel die Verbesserung der höheren Bildung, die ganz wichtig für die Integration nach Europa ist.

FRAGE: Sind die beiden Sieger der Wahlen, der Serbe Dodik und der Bosniake Silajdzic, überhaupt im Stande, gemeinsame Entscheidungen zu treffen?

Schwarz-Schilling: Hier fehlt es an Erfahrung in der Verhandlungsführung. Ich war zehn Jahre Streitschlichter in diesem Land und habe bei meiner Streitschlichtung 55 Städten, Kantonen und Gemeinden Grundkurse in Verhandlungstechniken mitgegeben. Es kommt darauf an, eine Win-Win-Situation zu schaffen, darauf, dass beide Seiten gemeinsame Interessen erkennen. Das scheint mir zu den hohen Führern der Politik in Bosnien noch nicht ganz durchgedrungen zu sein. Es hängt aber auch sicherlich damit zusammen, dass von der internationalen Gemeinschaft hier zu stark ausschließlich der Top-down- und eben nicht der Bottom-up-Prozess ausgeübt wurde.

FRAGE: Sie meinen damit, die Internationale Gemeinschaft nimmt zunächst den streitenden Bevölkerungsgruppen die schwierigen Entscheidungen ab und hofft, dass eines Tages Politiker nachwachsen, die die Verantwortung übernehmen. Die Strategie scheint nicht aufzugehen...

Schwarz Schilling: Auch die negativen Dinge des Landes müssen sichtbar und von den bosnischen Politikern verantwortet werden. Es geht nicht an, dass wir immer dann als Internationale Gemeinschaft auf die Knöpfe drücken und nachher den Eindruck vermitteln: Es läuft ja eigentlich alles prima. Dies hat auch dazu geführt, dass die internationale Gemeinschaft geglaubt hat, man könnte das Büro des Hohen Repräsentanten am 30. Juni 2007 ohne jede Schwierigkeit schließen und sagen: jetzt macht ihr das mal alleine weiter. Das habe ich allerdings für einen grundsätzlichen Fehler gehalten und mich auch dagegen ausgesprochen.


FRAGE: Sie haben mehrere Male die Verfassungsreform angesprochen. Dabei gibt es einen großen Streit zwischen den Befürwortern einer Konföderation und den Vertretern eines zentralen Staates. Kann es hier überhaupt zu einer Lösung kommen?

Schwarz-Schilling: Ich halte das durchaus für möglich. Es ist klar, dass diese Verfassungsreform eine bosnische Verfassungsreform sein muss, sie kann nicht von uns ausgearbeitet und implementiert werden. Die internationale Gemeinschaft darf sich aber nicht aus dem Staube machen und sagen: "Das ist jetzt euer Bier", sondern muss die Voraussetzung für eine inhaltlich systematische und in sich stimmige Reform schaffen. Diese Reform muss auf der einen Seite die Tradition Bosniens wieder aufnehmen, sie muss im Kontext mit der eigenen Geschichte stehen. Aber auf der anderen Seite muss diese kompatibel sein mit den Prinzipien, die von Europa aus einer solchen Verfassung angelegt werden, zum Beispiel in menschenrechtlichen Fragen, in Fragen des Minderheitenschutzes, der demokratischen Mehrheitsentscheidung und in Fragen von Vetomöglichkeiten besonderer Gruppen in den entsprechenden verfassungsmäßig ablaufenden Entscheidungsstrukturen.


FRAGE: Welche Gefahren sehen sie für die Zukunft des Landes?

Schwarz-Schilling: Schiefgehen könnten zwei Dinge. Erstens, dass sich die internationale Gemeinschaft sagt: wir gehen jetzt und das andere soll Bosnien alleine machen. Zweitens, dass Europa gar nicht auf einen solchen Sonderfall wie Bosnien vorbereit ist. Denn Bosnien ist nicht irgendein Land, es hat den größten Völkermord nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa erdulden und ertragen müssen, es hat eine teilweise traumatisierte Bevölkerung, und gleichzeitig soll hier eine historisch außerordentlich schwierige Abfolge von Prozessen gelingen: Religionsfrieden zwischen den Kirchen, der Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, von einer mehr einem "Großreich" entsprechenden historischen Tradition zu einem selbstständigen Staat, einer Nation. Von daher gesehen, müssen jahrzehnte-, ja jahrhunderte lange, zentraleeuropäische Entwicklungen hier in kürzester Zeit nachvollzogen werden.


FRAGE: Wie kann die EU hier überhaupt konstruktiv tätig sein?

Das ist eine der schwierigsten Aufgaben Europas. Von daher gesehen bedarf diese Hinführung des Westbalkans und insbesondere Bosnien und Herzegowinas auch spezifischer Maßnahmen der Europäischen Union und der Europäischen Kommission. Wenn das auf der einen Seite ausbleibt, und auf der anderen Seite die alten Parolen nationalistischer Art hier wieder aufgekocht werden, dann ist dies das schlechteste Szenario für die Zukunft. Ich glaube aber nicht, dass dies eintreten wird und man muss dagegen ankämpfen. In dieser Zeit aber muss auch die (europäische Schutztruppe - Anm.) EUFOR hier bleiben. Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie dies in Zukunft miteinander vereint wird: Die Selbständigkeit auf der einen und die Schutzgarantie seitens der EU auf der anderen Seite.


FRAGE: Wir können also feststellen: Die Europäischen Union wird weiter Verantwortung übernehmen und das Land nicht alleine lassen?

Schwarz-Schilling: Davon gehe ich aus. Man muss nur noch Europa davon überzeugen, dass es dafür spezifischer Maßnahmen bedarf. Europa muss auch wissen, dass  diese Transmission eine besondere Bereicherung für Europa selbst ist, wenn sie gelingt. Durch das Zusammentreffen orientalischer Elemente, des Islam, mit der klassischen europäischen Kultur stellt Bosnien einen einzigartigen Mikrokosmos dar, der zum Wohle der Menschen gestaltet werden kann und eine besonders attraktive Besonderheit Europas werden könnte.


*** ENDE ***


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Saša Gavrić


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