Russland

Kapriolen eines Gejagten

Moskau (n-ost) - Andrej Lugowoj wirkt wie ein Gejagter. Im Schnelltempo las der ehemalige Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes, der nach Meinung der britischen Staatsanwaltschaft einer der Hauptverdächtigen im Mordfall Litwinenko ist, eine Erklärung vor. Demzufolge steckten der nach London geflüchtete Oligarch Boris Beresowski, möglicherweise aber auch der britische Geheimdienst MI-6 oder die russische Mafia in Spanien hinter der Polonium-Vergiftung des ehemaligen KGB-Offiziers Alexander Litwinenko, der im November letzten Jahres in einem Londoner Krankenhaus qualvoll gestorben war. Litwinenko hatte seinen ehemaligen Arbeitgeber, den FSB, in einem Buch beschuldigt, die Wohnhaus-Explosionen in Moskau 1999 selbst herbeigeführt zu haben. Die Explosionen wurden damals Tschetschenen zur Last gelegt und waren Anlass für den zweiten Tschetschenienkrieg.

Es war das erste Mal seit dem Mord an Litwinenko, dass der Hauptverdächtige Andrej Lugowoi vor die Presse trat. Neben ihm saß Dmitri Kowtun, nach Meinung der britischen Behörden ebenfalls ein Verdächtiger im Mordfall Litwinenko. Am 22.Mai hatte die britische Staatsanwaltschaft von Russland die Auslieferung Lugowojs gefordert. Die russische Staatsanwaltschaft hingegen hatte die Forderung abgelehnt und erklärt, man sei bereit, den Fall Lugowoi auf russischem Territorium zu prüfen.

Lugowoj behauptet, er sei selbst mit Polonium "markiert" worden, um den Verdacht am Litwinenko-Mord auf ihn zu lenken. Verschiedene Souvenirs, die Litwinenko ihm geschenkt habe, seien mit Polonium verseucht gewesen. Auf der Pressekonferenz sagte er außerdem, der im November qualvoll gestorbene Litwinenko sei vom britischen Geheimdienst angeworben worden, habe sich dann aber der Kontrolle durch den Geheimdienst entzogen und sollte deshalb umgebracht werden. Stichhaltige Beweise für seine Mord-Version legte Lugowoj nicht vor. Der britische Geheimdienst habe auch ihn versucht anzuwerben. Man habe gehofft, von ihm kompromittierendes Material über den Kreml-Chef zu bekommen.

Das ganz wirkt wie ein abenteuerlicher Rundumschlag. Lugowoj, der selbst lange Jahre für den russischen Geheimdienst arbeitete und jetzt ein privates Sicherheitsunternehmen führt, hat praktisch alle verdächtigt, außer Putin. Ein "feuriger Anhänger" des Kreml-Chefs sei er nicht, dafür habe er "seine persönlichen  Gründe", erklärte Lugowoj und versuchte damit,  Verdächtigungen zu zerstreuen, er werde vom Kreml gestützt oder handele sogar in dessen Auftrag. "Aber man hat mich gelehrt, die Heimat zu verteidigen und nicht zu verraten." Mit diesem Nachsatz hat er die Zweifel an seiner Unschuld vermutlich eher verstärkt.

Für den nach England geflüchteten Oligarchen Beresowski ist mit der Pressekonferenz von Lugowoj nun noch klarer, "dass der Kreml hinter dem Mord an Litwinenko steht." Gegenüber Radio Echo Moskwy lieferte auch Beresowski keine Beweise für seine These. Die Öffentlichkeit ist nun so schlau wie vorher. Russland fordert seit 2002 die Auslieferung des schillernden Oligarchen. Doch ein Nachgeben Londons käme einer Anerkennung der russischen Justizbehörden gleich und ist deshalb unwahrscheinlich.

Beresowski steigert sich in der letzten Zeit indes mit immer halsbrecherischeren Bekenntnissen, die eher Putin nützen, als der russischen Opposition, als dessen Finanzier sich Beresowski in einem Interview mit der Financial Times in diesen Tagen rühmte. Bereits im April hatte der Oligarch behauptet, er habe Kontakte in den Kreml-Apparat und bereite eine Palastrevolution vor. Nun legte er nach und behauptete, er finanziere das vom  Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow geführte Oppositionsbündnis "Das andere Russland". Kasparow hatte die Finanzierung durch Personen, die dem Ansehen des Bündnisses schaden könnten, bisher bestritten. Seine Hauptaufgabe sieht der Oligarch laut den jüngsten Äußerungen darin, den Briten zu zeigen, dass Putin kein Freund Großbritanniens sein könne, sondern ein Feind sei.

Ende


Weitere Artikel