Russland

Die Kreml-Wundertüte

Immer mehr Namen werden für die Putin-Nachfolge genannt

Moskau (n-ost) - In acht Monaten wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Bisher waren nur zwei Kandidaten für die Putin-Nachfolge bekannt, Dmitri Medwedjew und Sergej Iwanow, beide "stellvertretende erste Ministerpräsidenten". Den Einen - Medwedjew - nennt man im Kreml "liberal", der andere gefällt sich als Hardliner. Inzwischen werden weitere mögliche Kandidaten für den Chefposten im Kreml genannt. Doch eins ist jetzt schon sicher: Der Nachfolger wird ein Vertrauter des Amtsinhabers sein. Und die Wähler werden dem von Putin Auserwählten ihre Stimme geben. Für die Russen gibt es wenige Gründe, dem Rat des Präsidenten nicht zu folgen.

Damit es bis zu den Wahlen nicht langweilig wird, öffnet der Kreml gelegentlich seine Wundertüte. Letzten Donnerstag erklärte Präsidenten-Berater Igor Schuwalow bei einem Auftritt in Washington,  möglicherweise gäbe es mehr als zwei Kandidaten. Man solle sich auf eine Überraschung gefasst machen. "Vielleicht erfahren sie bis zum Jahresende von noch einem möglichen Kandidaten." Weiter erklärte der Berater, Putin habe nicht vor, die Verfassung zu ändern, um für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Russlands Demokratie werde "anerkannt" - so Schuwalow -, "wenn Präsident Putin seinen Posten verlässt und die Verfassung nicht ändert." Und wann ernennt der Kreml-Chef seinen Nachfolger? Der Präsident werde sich erst zu den Kandidaten äußern, "wenn auf den Stimmzetteln Namen stehen", erklärte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow.

Mysteriöser Anschlag auf Gouverneurin

Wer ist der dritte Kandidat oder gibt es wohlmöglich auch eine Kandidatin? Die Liste der möglichen Kandidaten, die in der Gunst des Kreml stehen, wird immer länger. Häufig genannt wird jetzt Wladimir Jakunin, Chef der russischen Eisenbahn. Aber auch Walentina Matwijenko, die Gouverneurin von St. Petersburg, schien plötzlich präsidiabel. Dass sie zu den möglichen Kandidaten gezählt wurde, hatte allerdings einen traurigen Anlass. Vor kurzem hatte der Geheimdienst einen angeblichen Anschlag auf die Gouverneurin aufgedeckt. Böse Zungen vermuteten einen PR-Trick.

Putin selbst hatte sich vor kurzem für die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von bis zu sieben Jahren ausgesprochen und erklärt, für das Amt käme auch ein Gouverneur in Frage. Die "Iswestija" nannte die Namen weiterer Kandidaten aus dem Kreis der Gouverneure: Aleksandr Tkatschew, Gouverneur des südrussischen Gebiets Krasnodar und bekannt für seine nationalistischen Ausfälle gegen armenische Gastarbeiter, Aleksandr Chloponin, Gouverneur des sibirischen Krasnojarsk-Gebietes, früher Direktor des weltgrößten Nickel-Kombinats im nordrussischen Norilsk.

Zu den möglichen Putin-Nachfolgern zählen Beobachter auch Sergej Naryschkin. Der Vize-Ministerpräsident trat bisher nur selten in der Öffentlichkeit auf. Er gehört zu den "grauen Kardinälen" der russischen Regierung. Naryschkin ist Autor mehrerer Gesetzesreformen und in der Regierung für die Beziehungen zu den GUS-Republiken und der EU zuständig.  Der "graue Kardinal" kommt aus der "Kaderschmiede" St. Petersburg. Anfang der 90er Jahre arbeitete der jetzt 52-jährige mit Putin zusammen in der Stadtverwaltung der Newa-Stadt.

Professorensohn und "Falke"

Im russischen Fernsehen war bisher nur die Rede von zwei möglichen Putin-Nachfolgern, Dmitri Medwedjew und Sergej Iwanow. Beide kommen aus St. Petersburg. Der eine kommt aus einer Professorenfamilie, Iwanow stammt aus einer Familie von Militärangehörigen und war unter Putin zeitweise Verteidigungsminister. Die beiden Kandidaten werden sehr häufig im Fernsehen gezeigt. Medwedjew profiliert sich in der Öffentlichkeit mit den nationalen Sonderprogramm, Finanzhilfen der Regierung für den Gesundheits- und Bildungsbereich, den Wohnungsbau und die Landwirtschaft.

Hardliner Iwanow ist für den Industriesektor und die Rüstungsindustrie zuständig. Das Fernsehen zeigt ihn bei Schiffstaufen und dem Besuch von Rüstungsfabriken. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum, welches vor einer Woche in St. Petersburg stattfand, hielten die beiden Haupt-Kandidaten Grundsatzreden. Iwanow behauptete, Russland werde 2020 zu den fünf führenden Industrienationen gehören. Medwedjew gab sich zurückhaltender. Er setzte den Akzent auf die "menschlichen Ressourcen". Medwedjew möchte neue "nationale Programme" auflegen und die Entwicklung der russischen Großstädte fördern. "Zwischen Russland und dem Westen gibt sei keine fundamentalen Widersprüche, nur Nuancen", so der Professorensohn Medwedjew. Die schönsten Grundsatzreden ändern jedoch bislang nichts daran, dass die möglichen Nachfolger im Vergleich zum populären Wladimir Putin farblos wirken.

Kasparows Träume

Auch die Opposition ist bei ihrer Kandidatensuche noch nicht recht fündig geworden: Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow wünscht sich zu den Präsidentschaftswahlen einen gemeinsamen Kandidaten von Liberalen, Linken und Nationalisten. Nur gemeinsam sei es möglich demokratische Wahlen gegen das "Regime" durchzusetzen, danach werde man weitersehen, so der Führer des Oppositionsbündnisses "Das andere Russland". Wen das Bündnis zu den Präsidentschaftswahlen ins Rennen schickt, soll auf einer Konferenz im Juli entschieden werden.

Aus dem demokratischen Spektrum gibt es bisher vier Kandidaten, die ihre Kandidatur angemeldet haben. Der ehemalige Ministerpräsident Michail Kasjanow und der ehemalige Chef der Zentralbank, Viktor Geraschenko, wollen für "Das andere Russland" kandidieren. Beiden fehlt aber eine "soziale Komponente", die nach Meinung von Kasparow für ein gutes Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen nötig ist.

Überraschend hat auch ein im Ausland lebender Ex-Dissident seine Kandidatur angekündigt. Der Schriftsteller Wladimir Bukowski saß wegen "antisowjetischer Tätigkeit" acht Jahre in Lagern. Seit 1976 lebt der jetzt 65-jährige in Großbritannien. Seine Chancen schätzt der Schriftsteller nicht also besonders groß ein. In Russland gehe es aber darum, endlich die "Verbrechen der Vergangenheit" aufzudecken, begründet der ehemalige Dissident sein Engagement.

Eigensüchteleien

Auch der Vorsitzende der liberalen Jabloko-Partei, Grigori Jawlinski, will zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Seine liberalen Konkurrenten von der "Union der rechten Kräfte" kritisiert er für Anpassung an die Politik des Kreml.

Die Kommunistische Partei wird zu den Präsidentschaftswahlen wieder einmal ihren Vorsitzenden Gennadi Sjuganow ins Rennen schicken. Die Angebote, sich mit Kasparows "Anderem Russland" zu vereinigen, lehnte der KP-Vorsitzende ab.

Dass es im Lager der Putin-Gegner nicht zu einer Einheit kommt, liegt wohl vor allem an Eigensüchteleien. Es gibt viele Führer aber wenig Volk. Beobachter meinen, die Polittechnologen im Kreml seien auch nicht ganz unschuldig an der Zersplitterung. Einen Teil der Opposition hätten sie mit Angeboten geködert.

Ende

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Ulrich Heyden


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