Putins persönliche Sicherheitsbehörde
Per Präsidenten-Ukas wird in Russland ein neues Ermittlungskomitee mit 18.000 Mitarbeitern installiert
Moskau (n-ost) - Per Ukas ordnete Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstagabend die Einrichtung eines neuen Ermittlungskomitees bei der russischen Staatsanwaltschaft an. Die neue Behörde mit insgesamt 18.000 Mitarbeitern hat weitreichende Vollmachten. So darf sie selbstständig Strafverfahren einleiten und auch gegen Personen mit besonderem Status wie Parlamentsabgeordnete sowie Kandidaten für die Duma und das Präsidentenamt ermitteln. Die Maßnahme reiht sich ein in die Verstärkung der russischen Sicherheitsorgane seit Putins Machtantritt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion sind die Sicherheitsorgane und Geheimdienste mehrmals umgebaut und umbenannt worden. Die Umstrukturierungen waren immer auch ein Spiegel der Moskauer Machtkämpfe, zunächst zwischen Putins Amtsvorgänger Boris Jelzin und den Kommunisten, dann zwischen Putin und seinen Kritikern.
"Bessere Ausführung der Gesetze"
Ziel des neuen Ermittlungskomitees ist laut Präsidenten-Ukas "die Vervollkommnung der staatlichen Verwaltung im Bereich der Ausführung der Gesetze Russlands im Bereich des Strafrechts." Die neue Behörde mit Büros in ganz Russland wird zwar formal der Generalstaatsanwaltschaft angegliedert, arbeitet aber selbstständig.
Wladimir Putin
Teschner (n-ost)
Durch die Einrichtung der neuen Behörde wird die Generalstaatsanwaltschaft entmachtet. Sie verliert das Recht eigenständig Ermittlungen durchzuführen. Auf die Arbeit des Ermittlungskomitees hat die Staatsanwaltschaft keinen Einfluss. Wenn die Staatsanwaltschaft mit Handlungen des Ermittlungskomitees nicht einverstanden ist, hat sie nur die Möglichkeit eine Beschwerde zu schreiben. Moskauer Zeitungen berichten, dass Generalstaatsanwalt Juri Tschaika über die Einrichtung des Ermittlungskomitees nicht begeistert ist. Kritik an der Einrichtung der neuen Behörde haben auch die Kommunisten, nach deren Meinung die Gesamtaufsicht der Generalstaatsanwaltschaft über die Strafverfolgung zerstört wird.
Verlängerter Arm Putins
Putin erhält durch die Bildung des Ermittlungskomitees Einfluss auf die Strafverfolgung, auch nach einem möglichen Amtsende. Chef der neuen Behörde ist Aleksandr Bastrykin, ein Studienfreund Putins. Der 54-jährige ist Jura-Professor und war bisher stellvertretender Generalstaatsanwalt. Die Liste von Bastrykins Veröffentlichungen ist lang. Sie reicht von Studien über kriminalistische Fachthemen bis zu historisch-kriminalistischen Untersuchungen, wie den Mord an dem damaligen kommunistischen Parteichef Leningrads, Sergej Kirow, zu Zeiten des Stalin-Terrors.
Schon vor dem offiziellen Beginn seiner neuen Funktion hatte Bastrykin erklärt, er werde die Untersuchungen der Mordfälle Aleksandr Litwinenko und Anna Politkowskaja zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machen. Der ehemalige KGB-Mitarbeiter Litwinenko war im November letzten Jahres in London durch das Radionukleid Polonium vergifteten worden. Die Journalistin Anna Politkowskaja hatte durch ihre Reportagen über die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien weltweit Aufsehen erregt.
Der Chef der neuen Ermittlungsbehörde sieht jedoch keine Versäumnisse der russischen Sicherheitsorgane. Diese ortete Bastrykin dagegen im Ausland. Die britischen Behörden hätten "nicht alle möglichen Versionen" des Litwinenko-Mordes untersucht. Man könne "nicht ausschließen", dass der nach London geflüchtete Oligarch Boris Beresowski in den Mord an Litwinenko verwickelt sei. Zum Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja erklärte Bastrykin, der Fall sei "komplizierter, als wir angenommen haben."
Widererstarkter Geheimdienst
Noch ist unklar, wie die neue Ermittlungsbehörde arbeiten wird. In ersten ausländischen Reaktionen wurde über einem "neuen Geheimdienst" spekuliert. Eins zumindest steht fest: Die Schaffung eines Ermittlungskomitees mit besonderen Vollmachten ordnet sich ein in die Maßnahmen Putins die Sicherheitsorgane zu stärken.
In den 90er Jahren befanden sich die verschiedenen Abteilungen des russischen Geheimdienstes noch in einem chaotischen Zustand. Viele Agenten verließen die Dienste wegen schlechter Bezahlung und gingen in die private Wirtschaft. Dort bauten sie effektive betriebsinterne Sicherheitsdienste auf. Die Krise des russischen Geheimdienstes endete mit dem Machtantritt Putins, der von 1998 bis 1999 selbst Direktor der in Föderaler Sicherheitsdienst (FSB) umbenannten Behörde war. Viele Agenten kehrten wieder zu ihrem alten Arbeitgeber zurück, denn die Bezahlung hat sich erheblich verbessert.
Manchem russischen Demokraten lief ein kalter Schauer über den Rücken, als der damalige Ministerpräsident Putin, zwei Wochen bevor Jelzin ihm zunächst kommissarisch sein Amt übertrug, auf einer FSB-Konferenz vor laufenden Kameras erklärte, "erlauben Sie mir, Bericht zu erstatten, dass die von Ihnen getarnt in die Regierung abkommandierten Mitarbeiter des FSB ihre Aufgabe erfolgreich erfüllen."
Heute hat der FSB etwa 90.000 Mitarbeiter. Im Zuge der Terror-Fahndung installierte man wieder das aus Sowjetzeiten bewährte System informeller Mitarbeiter in den Wohnbezirken. Das Ansehen des FSB in der Bevölkerung ist jedoch nicht besonders hoch. Viele Bürger sind der Meinung, dass der FSB bei der Verhinderung von Terrorakten und Geiselnahmen versagt hat.
Ende
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Ulrich Heyden