Tante Olga ist schon da
Viele Deutsche arbeiten für russische Firmen - Chefs sind offener und risikofreudiger
Berlin (n-ost) - Russische Chefs sind risikofreudiger, unkomplizierter und direkter - das wissen viele Deutsche zu schätzen, die für ein Unternehmen mit russischem Hintergrund arbeiten. Das werden hierzulande immer mehr. Am Standort Deutschland investieren nicht nur russische Konzerne wie der umstrittene Gaslieferant Gazprom oder der Softwarehersteller Kaspersky. Die meisten Arbeitsplätze schaffen Migranten, die im Laufe der Jahre als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen sind.Der Mann am anderen Ende der Leitung redete nicht lange um den heißen Brei herum. "Herr Dröge", sagte der Anrufer, "ich möchte, dass Sie für mich arbeiten." Schweigepause. Peter Dröge, als Anzeigenverkäufer der Worte selten verlegen, war einfach baff. Er wusste, es ist etwas anders, mal in einem völlig neuen kulturellem Umfeld zu arbeiten. Eine echte Herausforderung. "Einverstanden", antwortete Dröge schließlich - und hatte einen neuen Job. Ein paar Wochen später war der 42-jährige Betriebswirt Anzeigenleiter der Werner Media-Gruppe, Deutschlands größtem Verleger russischsprachiger Printmedien - und das, ohne auch nur einen Brocken Russisch zu sprechen.Peter Dröge ist einer von vielen tausend Deutschen, die für ein Unternehmen mit russischem Hintergrund arbeiten. Immer mehr Migranten aus Osteuropa machen sich selbstständig. So auch sein aus Russland stammender Chef Nicholas Werner, der 1996 nach Berlin kam und für 25.000 D-Mark die meisten der kleinen russischsprachigen Blätter kaufte.Wie viele Migranten mit osteuropäischem Hintergrund ein Unternehmen gegründet haben und wie viele Jobs sie schaffen, weiß niemand so recht. Die Statistiken erfassen nur Gründer mit russischer Staatsangehörigkeit; die rund 3,5 Millionen Spätaussiedler, die in den letzten zwölf Jahren nach Deutschland kamen, haben fast alle einen deutschen Pass bekommen. Wenn sich nur zwei Prozent von ihnen selbstständig gemacht haben sollten, wären das etwa 70.000 Betriebe. Unterdessen sprengt schon das Ausmaß der Existenzgründungen russischer Staatsangehöriger in Deutschland alle Rekorde: Entgegen dem Trend stieg die Zahl von 2003 bis 2006 um fast das Doppelte auf über 2.100 an.Russische Unternehmer scheuen kein Risiko und pflegen gern den persönlichen Kontakt zu Geschäftspartnern und Mitarbeitern. Peter Dröge schätzt diese direkte Art. "Der russische Geschäftsmann ist ein Visionär, ein echter Macher", sagt er. Wer in einem deutschen Unternehmen einen Konferenztisch anschaffen möchte, müsse seinem Vorgesetzten erst einmal lange Preiskalkulationen in Excel-Tabellen vorlegen. "Ein russischer Chef sagt einfach: 'Geh los und kauf einen'." Und zwar ziemlich zackig.Vielleicht zu zackig. Vor ein paar Jahren wollte Werner Media neben Zeitungen auch Kamtschatka-Krabben und kaukasischen Senf verkaufen. Ein riesiges Lager wurde gebaut, ein Mitbewerber aufgekauft, neues Personal eingestellt. 300 Supermärkte sollten in Deutschland entstehen. Inzwischen ist klar geworden, dass sich damit kein Geld verdienen lässt. Natürlich gibt es in vielen Großstädten russische Supermärkte, doch die sind fest in der Hand von Tante Olga. Keine Chance für Handelsketten. Als Werner Media das erkannte, mussten zwölf Pilot-Supermärkte schließen. "Mein Chef hat viele Ideen", erzählt Dröge, "wenn eine nicht klappt, wird einfach die nächste umgesetzt." Immerhin konnten die meisten der 50 Mitarbeiter innerhalb der Gruppe weiterbeschäftigt werden. Insgesamt gibt ihm der Erfolg recht: Vor fünf Jahren beschäftigte Nicholas Werner nur 40 Mitarbeiter, heute sind es mehr als 300.Auch David Tetruachvili hat es einfach mal probiert. Der Unternehmer war Anfang der 90er aus Moskau nach Deutschland gekommen - fast ohne Geld in der Tasche, aber mit vielen Geschäftsideen. Von Berlin aus verkaufte er in Osteuropa Parfüm. Ein waghalsiges Geschäft, denn wer konnte sich in der zerfallenden Sowjetunion schon edle Düfte leisten? Inzwischen boomt der Osten, die Brocard-Group des mutigen Geschäftsmanns aus Russland expandiert rasant. In Russland zählen die Berliner zu den wichtigsten Parfüm-Importeuren, in der Ukraine ist das Unternehmen mit 23 Parfümerien Marktführer im Einzelhandel, sozusagen der Douglas des Ostens.
Alexandra Willmann ist gleich nach dem Studium als eine der ersten Mitarbeiterinnen zu Brocard gekommen. Hier kann sich die in Berlin geborene Diplomatentochter in allen vier Sprachen ausdrücken, die sie fließend zu sprechen gelernt hat. Brocard versteht sich als internationales Unternehmen. Das gefällt der 38-Jährigen. Regelmäßig fliegt sie von Berlin aus quer durch die Welt, besucht Hersteller in Paris oder New York, begleitet Produkt-Lancierungen in Moskau oder Kiew, jettet zu Fachkonferenzen nach Venedig oder London. Sogar ihr einjähriger Sohn Kito ist oft dabei. Dass Brocard die osteuropäischen Parfummärkte vom Berliner Grunewald aus erobert, hat praktische Gründe: Eine global aktive Holding wie Brocard lässt sich in Deutschland einfacher verwalten als von einem russischen Standort aus, wo bei Investitionen immer noch hohe bürokratische Hürden zu überwinden sind.Auch der russische Energieriese Gazprom ist schon seit Anfang der 90er in Berlin. Lange Zeit versteckte sich der vom Kreml kontrollierte Konzern hinter einem Firmennamen mit drei Großbuchstaben, dessen ausformulierte Bedeutung in Deutschland kaum jemand aussprechen konnte. Auch wenn der Konzern seit seiner vermasselten Informationspolitik während des Gasstreits mit der Ukraine aktiv in der deutschen Öffentlichkeit steht, hat sich die heutige Gazprom Germania schon zum Jahrtausendwechsel zu einem Jobmotor entwickelt. Damals stockte Gazprom die Mitarbeiterzahl auf über 100 auf, bezog ein schickes Bürogebäude in Berlin-Mitte und gab der Tochter operativen Aufgaben. Inzwischen beschäftigt der Energieriese in Berlin 180 Mitarbeiter. Die Filiale ist mit einem Umsatz von über sechs Milliarden Euro das umsatzstärkste russische Unternehmen in Deutschland. "Moskau schickt uns keine Musterverträge zu, die wir mit in die Verhandlungen nehmen", sagt Prokurist Peter Scherger.Der Selbstständigkeit, die die Tochter in den letzten Jahren bekommen hat, verdankt der 39-Jährige sogar seinen heutigen Job als Erdgaseinkäufer für Zentralasien. Da Gazprom die Gasreserven auf russischem Boden überwiegend im Inland vermarktet, kaufen Gashändler wie Peter Scherger die für den Export bestimmten Volumen in zentralasiatischen Ländern zu. Dadurch ist er so etwas wie ein Pendler zwischen den Kulturen. Wenn er sich in Moskau mit usbekischen Geschäftemachern trifft, laufen Gespräche direkter, persönlicher, oft auch herzlicher ab als im fernen Deutschland. Indes sind auch bei Gazprom in Russland die Zeiten vorbei, da Metzger mit Schubkarren durch die Flure zogen und Mitarbeitern Fleisch lieferten. Die Belegschaft mit Bratenfleisch zu privilegieren, war einst Teil des Selbstverständnisses von Gazprom als fürsorglicher Konzern.Formal ist Gazprom Germania ein russisches, die Werner Media-Gruppe ein deutsches Unternehmen. Doch die Werner-Gruppe ist so russisch, wie ein Unternehmen in Deutschland russischer kaum sein könnte. Die Wachleute am Eingang sprechen Russisch, Hinweisschilder sind mit kyrillischen Buchstaben beschriftet, im Keller wird derzeit eine russische Sauna errichtet. Oft ärgert es den Rheinländer Peter Dröger, dass er kein Russisch kann. In Konferenzen kann er nicht mitreden, er versteht nicht die Hinweisschilder vor verschlossenen Türen. Dennoch: Die Zeiten, da Dröger mit Russland bloß sibirische Kälte, Kaviar, Wodka und Braunbären assoziierte, sind vorbei. Ende des Jahres will er erstmals nach Russland fliegen, nach Sankt Petersburg. Es wird Zeit, das Land kennen zu lernen, auf das er sich mit der Jobzusage vor zwei Jahren eingelassen hat.ENDE
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