Kaczynskis drehen den Trend
Nach einer Reihe von Skandalen schienen Polens Regierungszwillinge bei Neuwahlen chancenlos - nun liegen sie auch dank deutschfeindlicher Angriffe vorne
Warschau (n-ost) - Nach einer endlosen Kette von Entlassungen, Rücktritten und Skandalen schien in Polen zumindest die Ära von einem der Kaczynski-Zwillinge, nämlich Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, vor dem Ende zu stehen. An diesem Freitag entscheidet das polnische Parlament, der Sejm, über Neuwahlen; und bis vor wenigen Tagen lag die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) deutlich hinter der oppositionellen Bürgerplattform PO zurück. Doch nun wendet sich das Bild dramatisch: Nach einer aktuellen Umfrage der linksliberalen Gazeta Wyborcza, die eher zum Anti-Kaczynski-Lager gehört, erreicht die PiS überraschend 30 Prozent der Stimmen, während die Bürgerplattform PO aktuell nur noch mit 26 Prozent der Stimmen zu rechnen hätte. Noch vor einer Woche konnte sich die von Donald Tusk geführte Bürgerplattform über 31 Prozent der Stimmen und einen komfortablen Vorsprung von neun Prozentpunkten freuen.Wird es Jaroslaw Kaczynski noch einmal schaffen? Seit Mitte August wiederholen die Spitzenpolitiker der PiS wie ein Mantra die Slogans der vergangenen, erfolgreichen Wahlkampagne des Jahres 2005. In Polen sei kein Platz für Korruption, verkünden sie und stellen sich als Saubermänner in einer von Seilschaften durchzogenen polnischen Gesellschaft dar. Prominentestes Opfer des Law-and-Order-Kurses wurde der ehemalige Innenminister Janusz Kaczmarek. Premier Kaczynski hat seinen ehemaligen Parteifreund Kaczmarek als Bremsklotz beim Kampf gegen Korruption ausgemacht. So sollte der Chef der polnischen Bauernpartei Samoobrona und damalige Vize-Premierminister Andrzej Lepper durch eine Falle der polnischen Antikorruptions-Behörde der Bestechlichkeit überführt worden. Die Sache flog auf, Lepper wurde aus der Regierung entlassen, ohne dass letztlich Beweise für Fehlverhalten gefunden wurden. Kaczmarek soll bei dieser so genannten "Grundstücksaffäre" das Leck innerhalb der Regierung gewesen sein, was dieser bestreitet. Der Entlassung Kaczmareks folgte vergangene Woche sogar dessen kurzzeitige Verhaftung wegen Behinderung der Justiz. Auch der ehemaligen Polizeichef Konrad Kornatowski wurde zeitweise in Haft genommen, zudem wird in der Sache gegen den reichsten polnischen Geschäftsmann, Ryszard Krauze, ermittelt.Was kaum zu erwarten war: das Durcheinander in seinem Kabinett, das letztlich zum Bruch der Koalition und der aktuellen Bildung einer PiS-Minderheitsregierung führte, scheint sich
am Ende sogar positiv auf das Ansehen Kaczynskis in der Bevölkerung auszuwirken.Der aktuelle Sprung in den Umfragen dürfte auf die Veröffentlichung von Handygesprächen und Videoaufnahmen aus dem Warschauer Hotel Marriot zurückzuführen sein, wo es angeblich zu einem Treffen des damaligen Ministers Kaczmarek mit einem Abgeordneten der Lepper-Partei Samoobrona und dem Geschäftsmann Krauze gekommen ist. Nach Lesart von Premier Kaczynski gehören die drei zu einem "korrupten Netzwerk" und die Wähler sehen es ähnlich. Einfluss auf den Stimmungsumschwung in den Umfragen könnten auch die deutschfeindlichen Angriffe ausgeübt haben, mit denen Jaroslaw Kaczynski derzeit ebenfalls an den Wahlkampf 2005 anknüpft. Seinen Konkurrenten von der Bürgerplattform, Donald Tusk, greift er wegen dessen Herkunft aus dem deutsch geprägten Danzig an und unterstellt ihm, nichts gegen eine deutsche Dominanz in Europa zu haben. Dieses Schreckgespenst wird von PiS-Politikern immer wieder bemüht. "In der Politik der letzten Regierung fehlte die Kohlsche Mäßigung", klagen Mariusz Muszynski und Krzysztof Rak in einem Beitrag im Handelsblatt vom 3. September. Beide sind Kaczynskis wichtigste deutschlandpolitische Berater. Bemängelt werden das Vorgehen bei der Ostsee-Pipeline und die Nähe zu Russland. Und in Bezug auf Angela Merkels EU-Ratspräsidentschaft ist von einer "mühevoll und hartnäckig realisierten Taktik zur Isolierung Polens" innerhalb der EU die Rede.Nicht zufällig will Kaczynski noch vor den Neuwahlen im Sejm ein Gesetz beschließen lassen, dass polnische Bürger vor Deutschen Besitzansprüchen schützen sollte. Es geht um Häuser von polnischen Staatsbürgern mit deutschen Wurzeln, die vor allem zwischen 1950 und 1980 das Land verließen und dabei ihren Besitz zurücklassen mussten. Die Einträge in den Gründbüchern waren damals nicht geändert, die neuen polnischen Bewohner nur als Pächter eingetragen worden. Die Grundbucheinträge sollen per Gesetz nun schnell aktualisiert werden. Außerdem geht es darum, Erbpacht in Eigentum umzuwandeln. Eine Partei, die im Seym gegen das Gesetzt stimmt, würde politischen Selbstmord begehen. Ein geschickter Schachzug also der Kaczynski-Partei, Vertrauen bei den Wähler zurückzugewinnen. Denn obwohl die meisten Polen ihrer westlichen Nachbarn sympathisch finden, wächst in der letzte Zeit die Angst vor den Deutschen.Für Wirbel sorgte insbesondere die Klage von Agnes Trawny, ehemalige Bewohnerin des masurischen Dorfes Narty. Die Familie von Frau Trawny emigrierte 1977 nach Deutschland. In Polen hinterließen sie ihre Immobilien, die sie weder verkauft noch aufgegeben hatten. Das Haus und das Gründstück übernahm die Gemeinde, die das Wohngebäude an zwei Familien pachtete. Zu unrecht, wie ein polnisches bereits 2005 Gericht entschied. Das Haus wurde Agnes Trawny zugesprochen. Hunderttausende ähnliche Fälle könnten noch auf polnische Gerichte zukommen. Angesichts des Urteils warf Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski seinem eigenen Justizsystem quasi Verrat vor, weil "das Gericht sein Urteil nicht im Interesse Polens" gefällt habe. Derzeit läuft in der Sache Trawny noch ein zweites Verfahren. Dabei geht es um eine Entschädigung für ein 47-Hektar-großes Grundstück. Über 650.000 Euro fordert Agnes Trawny von der polnischen Gemeinde und dem Staat. Das Verfahren soll in diesen Tagen entschieden werden.Immer wieder wird in den polnischen Medien und von polnischen Politikern mutwillig oder unbewusst in Zusammenhang mit dem Trawny-Verfahren der Begriff "Vertriebene" und "Spätaussiedler" durcheinandergeworfen. Agnes Trawny war zum Zeitpunkt ihrer Ausreise polnische Staatsbürgerin. Mit den Rückforderungen der Preußischen Treuhand, die vor dem Europäischen Gerichtshof Besitzansprüche für Ende der 40er Jahre vertriebene Deutsche einzuklagen versucht, haben Fälle wie der von Trawny nichts zu tun. Punkten bei den Wählern konnte die PiS-Minderheitsregierung zuletzt auch mit einem Maßnahmenpaket zur Unterstützung der polnischen Familie. Es wurde vergangenen Montag in Anwesenheit von Jaroslaw Kaczynski vorgestellt. Mit 30 Milliarden Zloty (ca. acht Milliarden Euro) wird das Gesetz den polnischen Haushalt belasten. Um die Finanzierung dieser Wohltaten wird sich die Nachfolgeregierung kümmern müssen. Gut möglich, dass diese wieder von Kaczynski angeführt wird.Noch bis vergangene Woche träumt die oppositionelle Bürgerplattform sogar davon, nach den Wahlen ohne Koalitionspartner regieren zu können. Donald Tusk lehnte für die PO jede mögliche Zusammenarbeit mit einer anderen Partei ab. Nun scheint es dem PO-Vorsitzenden die Sprache verschlagen zu haben. Sogar eine Allianz mit der sozialdemokratischen Partei LiD (Linke und Demokraten) des Ex-Präsidenten Alexander Kwasniewski würde nicht für die Mehrheit reichen, diese kommen derzeit auf 13 Prozent. Dagegen sieht es nun sogar danach aus, als könnte die gerade gescheiterte Koalition aus PiS, Bauernpartei Samoobrona und rechts-nationalistischer Liga der polnischen Familien LPR (zusammen 6,5 Prozent) gemeinsam mit der ebenfalls konservativen "Volkspartei" (5 Prozent) theoretisch ihre Mehrheit verteidigen. Eine Neuauflage des Bündnisses ist zumindest unter den aktuellen Parteichefs der Gruppierungen aber undenkbar.
ENDE
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