Polen

Turbulenter Wahlkampfauftakt in Polen

Serie von wahltaktischen Winkelzügen verwirrt die Wähler / Großzügige Wahlgeschenke

Warschau (n-ost) - Am 21. Oktober wird in Polen neu gewählt. Der Sejm machte vergangene Woche den Weg für Neuwahlen frei und wurde zum Schauplatz neuer Manöver von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, der ein Misstrauensvotum des Parlaments gegen seine Minister umging, indem er sie selbst entließ, mit Hilfe seines Bruders Lech stattdessen als Staatssekretäre einsetzte und inzwischen erneut zu Ministern ernannte. So geschehen etwa im Falle der alten und neuen Außenministerin Anna Fotyga, die bei einem EU-Außenministertreffen in Portugal weilte, als die kuriose Ämterrochade in Gang kam. Nach ihrer Rückkehr am Montagnachmittag wurde Fotyga direkt vom Flughafen in den Präsidentenpalast gefahren und dort von Staatspräsident Lech Kaczynski neu vereidigt. Ob das Verfahren verfassungskonform war, ist höchst umstritten und wird sogar von Verfassungsrichtern bezweifelt. Wie alle übrigen Parteien ist die Bürgerplattform, größte Oppositionspartei, über die Winkelzüge der aktuell allein regierenden Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) empört, kann aber wenig unternehmen, denn vor den Neuwahlen trifft sich das polnische Parlament nur noch einmal am 21. September.

In Polen scheint derzeit alles möglich, auch, dass die regierenden Kaczynski-Zwillinge am Ende erneut als Sieger dastehen. Das Ämterhopping im Kabinett hat innerhalb der Partei-Listen eine Fortsetzung gefunden. Antoni Mezydlo, ein beliebter Politiker und Held der Solidarnosc-Zeit, wechselte in der Region Thorn vom ersten Platz der PiS-Liste auf den ersten Platz der PO-Liste und damit von der Regierungspartei zur wichtigsten Oppositionspartei. Gleiches tat Radoslaw Sikorski in der Region Bygosczc (Bromberg). Gleichzeitig bekundeten Zyta Gilowska, Finanzministerin, und Zbigniew Religa, Gesundsheitsminister, nun offen ihre Sympathie für PiS, obwohl sie bislang als Freunde der PO galten. Gilowska nannte noch 2005 den Oppositionsführer Donald Tusk "ihren Bruder". Jetzt geht sie mit der Partei der Kaczynski-Zwillinge zusammen und hat damit sogar zwei Brüder.

Die Wähler haben angesichts des Kuddelmuddels den Überblick verloren, für wen sie da eigentlich ihre Stimme abgeben sollen. Es ist zu befürchten, dass die Rekordwahlenthaltung der vergangenen Parlamentswahlen 2005 noch einmal unterboten wird. Damals waren von 28 Millionen Wahlberechtigten gerade einmal 40,5 Prozent an die Urnen gegangen.

Zurzeit unterscheiden sich die Programme der Parteien überraschend wenig. Alle versprechen höhere Gehälter für die Staatsbeamten, alle wollen mehr Geld für Straßen, Gesundheit und Bildung ausgeben, alle wollen den Bauern helfen und niemand will die Steuern erhöhen. Einziger, entscheidender Unterschied: Die PiS will Jaroslaw Kaczynski als Ministerpräsidenten, alle anderen wollen ihn nicht.

Geradezu atemberaubende Wohltaten streuten die Parlamentsabgeordneten in ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause Anfang September unters polnische Volk. Fast 300 Gesetze wurden im Rekordtempo durchs Parlament geschleust. So wurden die Gehälter im öffentlichen Dienst um stolze 9,3 Prozent angehoben und der landesweite Mindestlohn gleich um 18 Prozent erhöht. Auch die Krankenschwestern, die Premier Kaczynskis vor Monaten nicht einmal empfangen wollte, werden nun bedacht. Mehrere Dutzend Milliarden Zlotys wurden mit leichter Hand verschenkt, obwohl der polnische Staatshaushalt dies gar nicht hergibt. "Die Wirtschaft blüht wie seit Jahren nicht mehr, die Korruption wurde von uns bekämpft", streicht Premier Jaroslaw Kaczynski die vermeintlichen Erfolge seiner Amtszeit heraus, ohne zu erwähnen, dass das aktuelle Wirtschaftswachstum von 6,1 Prozent nicht zuletzt durch gewaltige Transfers aus Brüssel befeuert wird. Bis 2013 erhält Polen rund 60 Milliarden Euro Finanzhilfe aus EU-Töpfen.

Nachdem die PiS in Umfragen zwischenzeitlich über acht Prozent zurückgelegen hatte, liefert sie sich mit der PO inzwischen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Mal liegt die liberale Bürgerplattform mit vier Prozent in Führung, dann wiederum sehen Umfragen die rechts-konservative Kaczynski-Partei mit drei Prozent in Front. Beide Parteien werden es aber schwer haben, die 30-Prozent-Marke zu überspringen. Sollte es nicht zu einer großen Koalition kommen, stünde als Partner nur die Partei "Linke und Demokraten" (LiD) sicher zur Verfügung. Das vom ehemaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski angeführte Bündnis erreicht in Umfragen zwischen 15 und 17 Prozent der Stimmen.

Alle anderen Gruppierungen, darunter auch die früheren Regierungsparteien "Selbstverteidigung" (Samoobrona) und Liga der Polnischen Familien (LPR) landen je nach Umfrage und Forschungsinstitut entweder leicht über oder unten der Fünf-Prozent-Marke. Das im August mit großem Wirbel gegründete Wahlbündnis aus der populistischen Bauernpartei Samoobrona und der rechtsextremen LPR mit dem Namen LiS ("Fuchs"), wurde von den Gründern bereits wieder für tot erklärt. "Die LPR wäre für uns nur ein nutzloser Schwanz", erklärte Samoobrona-Chef Andrzej Lepper. In der Tat wird der LPR in Umfragen kaum zwei Prozent der Stimmen gegeben. Die Partei, die vom ehemaligen Bildungsminister Roman Giertych geführte wird und europaweit durch eine rechtsklerikale und homosexuellen-feindliche Politik Schlagzeilen machte, schloss sich inzwischen mit der Rechtspartei Polnische Union für Realpolitik zusammen, doch zum Überspringen der Fünf-Prozent-Marke wird auch dies kaum reichen.

Letztendlich könnte auch das Verhältnis zu Deutschland über Sieg und Niederlage bei den Wahlen entscheiden. "Der teutonische Rausch war immer eine Bedrohung für Polen", machte Jaroslaw Kaczynski am vergangenen Wochenende in Posen einmal mehr den Nachbar Deutschland als Problem für sein Land aus. Genauso wie "die Reichen, die das Geld haben, das oft aus unbekannten Quellen stammt". Abwechselnd wirft Kaczynski dem Führer der Linken und Demokraten (LiD), Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski, sowie dem Oppositionsführer Donald Tusk von der PO eine übergroße Nähe zu Deutschland und Verbindungen zu dubiosen Oligarchen vor. Dagegen stünde die Kaczynski-Partei PiS für den Kampf gegen kommunistische Seilschaften und für eine selbstbewusste Politik Polens gegenüber Deutschland und innerhalb der EU.

In einem Beitrag für das Handelsblatt vom 3. September werfen Mariusz Muszynski und Krzysztof Rak, die wichtigsten deutschlandpolitischen Berater der PiS-Regierung, Angela Merkel eine "mühevoll und hartnäckig realisierte Taktik zur Isolierung Polens auf dem Forum der EU" vor. Als polnische Ziele innerhalb der EU werden die "Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee" und eine "gemeinsame Energiepolitik" genannt. In beiden Fällen sei Deutschland ein Hindernis. In einem Gespräch mit der International Herald Tribune klagte Polens Außenministerin Anna Fotyga (PiS) Mitte August, dass sich Polen weder in der Nato, noch in der EU sicher fühlen würde, weil es sich dort gegen seine "historischen Feinde" behaupten müsse. Gemeint war damit in erster Linie Deutschland.

Obwohl Vertreter der oppositionellen PO sowie der sozialdemokratischen LiD immer wieder von einem taktlosen Vorgehen der Kaczynski-Regierung auf europäischer Ebene sprechen und den anti-deutschen Kurs kritisieren, ist von einem dramatischen Kurswechsel gegenüber der EU infolge der polnischen Parlamentswahlen nicht auszugehen. Zwar gelten PO und LiD bei ihren Wählern als pro-europäisch. Doch das selbstbewusste Auftreten innerhalb der EU gefällt vielen Polen. Hier spielen historische Traumata eine große Rolle, etwa die Erinnerung an die Aufteilung des polnischen Staates unter Deutschland, Russland und Österreich, der Zweite Weltkrieg und die damalige passive Rolle seiner Verbündeten Frankreich und Großbritannien. An diesem historischen Mistrauen kommen auch die anderen Parteien kaum vorbei.

Die Politik einer möglichen Koalition aus PO und LiD wäre allerdings in jedem Fall pragmatischer und freier von konservativ-patriotischen Tönen. Keine der beiden Parteien benutzt den Angst-Faktor vor einer Dominanz der EU und Deutschlands in ihren Kampagnen. Um patriotisch denkende Polen jedoch nicht zu verprellen, sprechen Politiker beider Parteien vorsichtig von einer Normalisierung des Verhältnisses zu Deutschland, auf freundschaftlicher Basis.

ENDE

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Agnieszka Hreczuk


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