Russland

Wahl in Russland: Exotin in der Männerwelt

Irina Chakamada lässt sich nicht unterkriegen im Dreieck von Konsum, Glamour und KremlRusslands bekannteste Liberale hasst dröge Interviews. "Wollen Sie eine Anekdote hören?", fragt sie schelmisch. Sie habe ein neues Buch geschrieben, etwas Unterhaltsames. Und sie hatte einen Sponsor für die Verfilmung gefunden, einen Blumengroßhändler. Der wollte ihr Porträt auf seine Blumen-Verpackung drucken. "Aber dann kriegte er Angst, denn Putin fährt jeden Tag mit seinem Mercedes an einem seiner Läden vorbei. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht wisse mit welcher Geschwindigkeit Putin vorbeirausche? Aber der Mann blieb bei seiner Absage." So funktioniere das System Putin. "Es werden Signale gesetzt und danach wissen alle, wie sie sich verhalten müssen. Mehr muss der Kreml nicht tun." "Sie können nicht zuhören"Irina Chakamada, die von 1993 bis 2003 in der Duma saß und auch Vize-Vorsitzende des Parlaments war, residiert jetzt in einem schicken Büro in der Kostjanski-Gasse nicht weit von der Zentrale des Lukoil-Konzerns. Vor ihrem Büro stehen zwei dicke schwarze Limousinen. Chakamada scheint eine wohlhabende Frau zu sein. 1989 gehörte sie zu den Gründern der russischen Rohstoffbörse, danach wurde sie Unternehmerin. Doch diese Zeit ist vorbei. Heute verwaltet Chakamada eine private Stiftung für soziale Projekte. Und sie hält Vorträge an der Moskauer Hochschule für Auswärtige Beziehungen zum Thema Führung, Kommunikation und Image. "Ich schule die Leute für Verhandlungen. Denn viele wollen nur selbst reden und können nicht zuhören." Chakamadas Buch "Sex in der großen Politik" ist im vergangenen Jahr erschienen und liegt heute in jedem Buchladen auf dem Tisch. In dem Bestseller verarbeitet sie ihre Erfahrungen als Politikerin und gibt Frauen Tipps dazu, wie man nach oben kommt. "Man kann Karriere machen, ohne mit einem Mann ins Bett zu gehen", ist sie überzeugt. "Aber das ist schwer. Man muss lernen - und ich lerne." Sie lacht. Mit den Fingern spielt sie mit einem Kärtchen. Darauf steht "Trud", "Arbeit".


"Sex in der großen Politik" heißt Chakamadas neuestes Buch.
PrivatChakamada hasst dröge Interviews. Was sind schon Worte? Besser sind Symbole. Auf ihrem Schreibtisch liegen ein paar Pinsel, mit denen die Japaner ihre Schriftzeichen malen. Die Politikerin hat eine geheimnisvolle Herkunft. Ihr Vater war ein japanischer Kommunist, der 1939 in die Sowjetunion emigrierte, ihre Mutter kam aus dem russischen Fernen Osten. Und ihr Bruder, ein Politologe, der in Japan lebt, werde häufig zu Experten-Runden mit Putin eingeladen. Das erzählt sie mit Stolz. Einsam in Männerdomäne"Unter den politischen Demokraten habe ich das höchste Rating", erklärt die 52-Jährige selbstbewusst. Und das ist nicht übertrieben. Sie taucht als einzige liberale Politikerin in der Popularitäts-Liste des Meinungsforschungsinstituts Lewada auf, allerdings nur mit einem Wert von vier Prozent. Doch Sergej Mironow, Führer der Kreml-Partei "Gerechtes Russland" liegt noch tiefer. Er bekommt nur zwei Prozent. Chakamada ist eine Liberale mit sozialer Ader. Auch in Putins Russland kommt man nicht an ihr vorbei. Sie wird noch zu Talk-Shows eingeladen, selten zwar, aber immerhin. Ihre politischen Freunde wie Boris Nemzow oder Anatoli Tschubais, die in den 90er Jahren in der Regierung saßen, sind dagegen im Volk unbeliebt, vor allem wegen der vermasselten Privatisierung von Staatsbetrieben, die eine Gruppe von Ex-Komsomolzen seinerzeit zu Milliardären machte.


Oppositionspolitikerin Irina Chakamada
PrivatDie ehemalige Vize-Vorsitzende der Duma ist beliebt, weil sie emanzipiert ist und sich zu jedem beliebigen Thema äußern kann. Solche Frauen sind in Russland selten. Eigentlich hasst Chakamada den männer-dominierten Politikbetrieb. Doch sie arbeitet mit Michail Kasjanow zusammen. Dem ehemaligen Ministerpräsidenten will sie beim Präsidentschaftswahlkampf helfen. Er sei der geeignete Kandidat der Opposition, denn er verfüge im Gegensatz zu Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow über die Erfahrung, "wie man ein großes Land führt". Warum die kleinen Oppositionsparteien immer noch getrennt marschieren? Weil "jeder auf Platz eins sein will. Das sind kindliche Ambitionen", sagt Chakamada Vereinten Kampfgeist wie Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre gebe es nicht mehr. Die Oppositionsführer würden alle aus verschiedenen Quellen bezahlt, und Sponsoren seien nicht an einer einheitlichen Opposition interessiert. Wer diese Sponsoren sind, will Chakamada allerdings nicht verraten. "Das liegt im Nebel", meint sie vieldeutig. Im Grunde müsse man es so machen wie in der Ukraine. Dort sei das Geld von den Sponsoren zunächst zentral gesammelt und dann den Orangenen Revolutionären übergeben worden.Thatcher, Pinochet und der schwedische SozialismusAls die Russen Ende der 80er Jahre durch Perestroika und Glasnost aufgerüttelt wurden, diskutierten sie alle möglichen Gesellschaftsmodelle. Während das einfache Volk vom schwedischen Sozialismus träumte, hatten junge Wirtschaftsreformer, die bis dahin in Partei- und Redaktionsstuben saßen, ganz andere Vorstellungen. In 500 Tagen wollten sie in Russland den Kapitalismus einführen. Je radikaler, desto besser, schien damals die Devise. Margret Thatcher und Augusto Pinochet standen bei den russischen Liberalen hoch im Kurs. Autoritären Lösungen waren die Liberalen nie völlig abgeneigt. Auch sie waren schließlich Kinder der Sowjetunion. Als Putin 1999 den zweiten Tschetschenienkrieg begann, war es Anatoli Tschubais, der den Feldzug im Kaukasus rechtfertigte. Auch Tschubais träumte damals von einem Imperium, allerdings von einem liberalen. Inzwischen hat sich bei den Demokraten der ersten Stunde die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Politiker in Russland ein soziales Programm haben muss, will er nicht am Rande agieren. Doch der Kurswechsel kommt zu spät. Das Image der Liberalen ist unheilbar beschädigt. Keine der kleinen liberalen Parteien wird bei den Parlamentswahlen über zwei Prozent kommen, sagen die Meinungsforscher.Wann hat der Kreml angefangen, so ungeheuer viel Macht anzuhäufen? Schon in der Jelzin-Zeit, lautet Chakamadas bittere Erkenntnis. "Jelzin hat sich aufgeführt wie ein Zar. Er wollte nicht in aller Konsequenz Demokrat sein", meint die Politikerin. Gezeigt hätte sich das schon, als er 1993 Panzer vor dem Parlament auffahren ließ. Auch in den Präsidentschaftswahlen von 1996 sei es deutlich geworden. Damals hatten sich zahlreiche Medien des Landes bedingungslos hinter Boris Jelzin gestellt und für ihn geworben, um einen Rückfall des Landes in die kommunistische Vergangenheit zu vermeiden. "Wir haben die Augen verschlossen. Die Wahlen waren nicht ehrlich, die Medien berichteten nicht unabhängig. Aber wir hatten Angst, dass die Kommunisten an die Macht kommen. Wir dachten, das würde schrecklich sein. Aber schrecklicher war, was sie mit den Wahlen gemacht haben." Damals, glaubt Chakamada, wurden die ersten Mauersteine für das System Putin gelegt.  "I am the best!"Aber immerhin hätten die Menschen in den 90er Jahren den Wert demokratischer Institutionen kennen gelernt, rechtfertigt sich die Politikerin. "Selbst wenn man den Bürgern jetzt keine alternativen Informationen mehr gibt, Sklaven kann man nicht mehr aus ihnen machen. Das ist schon nicht mehr das sowjetische Volk." Doch warum schweigt das Volk dann? "Die Menschen waren hungrig", meint Chakamada. "Jetzt wollen sie an der Konsumgesellschaft teilhaben. Und dafür sind sie bereit, auf einen Teil ihrer Bürgerrechte zu verzichten - wie mein Bekannter, der Blumenverkäufer." Auch viele Intellektuelle und Unternehmer verkauften heute ihre Überzeugungen. Es sei eine harte Zeit für eigenständige, kreative Menschen, denn das streng abgesteckte Dreieck zwischen Konsum, Glamour und Kreml schränke ihren Bewegungsspielraum immer stärker ein. Viele ihrer Bekannten, erzählt Chakamada, steckten in Depressionen: "Es sind nur noch leichte Sachen gefragt, die man an ein Millionenpublikum verkaufen kann." Sie selbst scheint von diesen Missstimmungen unberührt. Chakamada wurde im Moskauer Politikbetrieb gestählt, sie findet immer einen Ausweg. Und sei es, dass sie einfach ein neues Buch schreibt. "I am the best", lacht sie selbstbewusst, "aber vielleicht ist jetzt nicht meine Zeit."ENDE


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