Warschau wittert Gasreichtum
Henryk Doering ist aufgeregt. „Das ist ein bahnbrechender Erfolg“, freut sich der Gemeindevorsteher von Krokow, einem 800-Seelen-Ort in der nordpolnischen Region Pommern, ganz in der Nähe der Ostsee. Hier, wo bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die preußische Adelsfamilie von Krokow residierte, könnten jetzt für seine kleine Gemeinde neue Zeiten anbrechen. Und nicht nur für sie, sondern für ganz Polen. Die Vision, die sich abzeichnet, klingt tatsächlich phantastisch: „Die Steuern, die wir jetzt aus der Gasförderung bekommen, werden der gesamten Region Wohlstand bringen“, freut sich Lokalpolitiker Doering, „Polen könnte für 250 bis 300 Jahre von russischen Gasimporten unabhängig werden.“
Gerade hat die polnische Regierung ganz in der Nähe eine der ersten Probebohrungen für Schiefergas in Polen veranlasst. Organisiert hat das der einheimische Gaskonzern PGNiG, der seit geraumer Zeit versucht, Rohstoffvorkommen zu finden, mit denen die Abhängigkeit Polens von russischen Gasimporten verringert werden könnte. Am Ort der Probebohrung versuchte kein geringerer als der polnische Premierminister Donald Tusk, die Bedeutung der Funde herauszustreichen: „Die kommerzielle Gasförderung wird ab dem Jahr 2014 möglich sein, wenn wir vorsichtig optimistisch sind.“ Ab 2035 sei mit dem Gas vollständige Versorgungssicherheit gewährleistet. „Wir werden dann die Bedingungen am Markt diktieren“, so der Regierungschef selbstbewusst.
Die Förderung von Schiefergas ist weltweit im Kommen. Nach Schätzung des US-Instituts EIA verfügt Polen über ein Volumen von 5,3 Billionen Kubikmetern und ist damit das Land mit den größten Vorkommen in Europa. Frankreich liegt mit großem Abstand auf dem zweiten Platz, Deutschland hat nur wenige Ressourcen. Schiefergas zu erschließen, ist technisch möglich. Ob sich die Ausbeutung auch rechnet, müssen allerdings Probebohrungen zeigen, die nicht gerade billig sind: Eine einzige kostet rund 15 Millionen Dollar.
Die wichtigsten Öl- und Energiekonzerne der Welt hält das nicht ab, in Polen Untersuchungen durchzuführen. Die Liste der Multis liest sich wie ein Who‘s who der Branche. So suchen die US-Amerikaner von ExxonMobil gemeinsam mit dem französischen Öl-Riesen Total nach Vorkommen. Aber auch ConocoPhilips, Marathon Oil und Chevron haben sich Schürfrechte gesichert. Laut Presseberichten sind auch Kooperationspläne zwischen dem polnischen Ölkonzern PKN Orlen und der kanadischen EnCana weit gediehen, einem Spezialunternehmen für die Förderung von Schiefergas.
Das Interesse der Konzerne zeigt, wie wichtig die Ressource bald werden könnte. Gemeindevorsteher Doering aber gibt sich bescheiden: „Wir wollen nur Sicherheit für unser Land und mehr Wohlstand.“ Allerdings freut er sich über mögliche Konsequenzen auf dem Gasmarkt: „Die Russen müssen sich dann schon überlegen, welche Preise sie nehmen. Alles diktieren werden sie nicht mehr können.“