TV-Sender gegen den Eisernen Vorhang
Von Polen aus wollen Journalisten ihre weißrussischen Nachbarn mit Informationen versorgen„Wir wollen eine andere Welt zeigen”, sagt Pavel Mazeika mit Überzeugung. Er spricht weich, zieht die Worte etwas in die Länge. Die Treppen zu seiner Redaktion führen tief ins Dunkle, bis man den Eindruck hat, tiefer ginge es nun wirklich nicht mehr. Nur ein paar kleine Fenster ganz oben unter der Decke lassen ein wenig Licht in den Raum, der tatsächlich wie ein Keller wirkt. Die Kacheln an den Wänden erinnern an alte Werkküchen aus sozialistischen Zeiten. An einfachen Tischen arbeiten mehrere Leute an Computern, kyrillische Buchstaben blinken auf ihren Bildschirmen. „Wie im echten Untergrund“, sagt Pavel Mazeiko und lächelt. Er arbeitet als Journalist für den neuen weißrussischen TV-Sender Belsat. Der Keller, in dem er steht, ist in Wirklichkeit ein Newsroom. So provisorisch sei es nur noch, bis die Renovierung der Räume im vierten Stock abgeschlossen sei. Dann könnten sie endlich wie echte Journalisten arbeiten, erzählt Pavel stolz, so wie die Kollegen aus den polnischen Programmen.
Der jüngste Fernsehsender Weißrusslands hat seinen Sitz nicht in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, sondern in Warschau. Von dort aus werden die meisten Programme gesendet, ein weiteres entsteht im litauischen Vilnius. Warum das so ist? Von Polen und Litauen aus dürfen Pavel und seine Kollegen – anders als aus Minsk – die Programme senden, die sie selbst gern sehen würden. Vor allem objektiv müssten die sein, erklären die Journalisten von Belsat. Sie müssten Probleme von mehreren Seiten betrachten, Journalismus wie in einem demokratischen Land eben.
Pavel Mazeika arbeitet bei TV Belsat.
Agnieszka Hreczuk
Nicht zufällig lief die erste Sendung von Belsat am 10. Dezember über den Äther, am Tag der Menschenrechte. „Die Regierung in Minsk tut seit Jahren alles, um die letzten freien Medien in Weißrussland zu zerstören“, sagt Alaksiej Dzikavicki, weißrussischer Journalist und Nachrichtenchef des neuen Senders. Für die polnischen Projektmitarbeiter steht Belsat in der Tradition von „Radio Freies Europa“. Dieser Sender hatte während des Kalten Krieges von München aus Informationen in den damaligen Ostblock gesendet. „Jetzt wollen wir diese Schuld zurückzahlen“, begründete ein polnischer Journalist seine Unterstützung für Belsat.Bis der neue Sender genauso einflussreich wird, wie einst das „Radio Freies Europa“, muss allerdings noch einige Zeit vergehen. Das merken die Belsat-Journalisten selbst oft genug. Zum Beispiel, wenn die Kollegen anderer Nachrichtensender, die im selben Haus arbeiten, bei der Frage nach der Belsat-Redaktion nur hilflos mit den Schultern zucken. „Hier bei uns? Keine Ahnung. Meinen Sie vielleicht die Redaktion für ethnische Minderheiten?“Zur weißrussischen Minderheit zählen in Polen etwa 300.000 Menschen, die meisten leben an der Grenze zu Weißrussland. Die Regierung in Warschau fördert ihre kulturellen Organisationen und Schulen. Paradoxerweise benutzen die Weißrussen ihre Sprache im polnischen Ausland häufiger als in der Heimat. Doch der neue Sender hat sich nicht in erster Linie die Sprachpflege zum Ziel gesetzt. Und verlangt auch von den polnischen Kollegen keine umfassenden Sprachkenntnisse. Schließlich ist es das erste Projekt dieser Art in Polen: ein öffentlich-rechtlicher Sender, der nur für das Ausland sendet. „Belsat. Dein Recht auf Wahl”, sagt der Radiosprecher auf weißrussisch. „Ein Sender in weißrussischer Sprache, von Weißrussen, für Weißrussen und über Weißrussland“, fasst Agnieszka Romaszewska-Guzy, die Leiterin Belsats, das Selbstverständnis des Senders zusammen. Der erfahrenen Journalistin liegt das neue Programm sehr am Herzen. Als Auslandkorrespondentin hat sie selbst aus Minsk berichtet, bis ihr die Einreise verweigert wurde. Jetzt ist sie eine der wenigen Polen in der Redaktion. In der Technikabteilung gäbe es noch ein paar polnische Kollegen, sagt Romaszewska. Ansonsten seien alle Journalisten „echte Weißrussen“. Die Journalisten in ihrem Newsroom sind durchschnittlich Mitte zwanzig – junge Köpfe, die erst vor Kurzem ihr Studium abgeschlossen haben, das sie teilweise auch im Ausland verbrachten. Insgesamt 60 Journalisten produzieren das Programm von Belsat. 40 von ihnen drehen vor Ort in Heimat, 10 sitzen in der Warschauer Redaktion. „Die Menschen in Weißrussland wollen ja wissen, was in ihrem Land gerade passiert“, erklärt Romaszewska. „Deshalb konzentrieren wir uns in den Nachrichten darauf. Damit haben wir einen klaren Vorteil im Vergleich zu anderen alternativen Programmen“, ist sie überzeugt. Denn Belsat ist nicht der einzige alternative Sender für Weißrussland. Im Auftrag der EU und der deutschen Media Consulta läuft täglich ein 30-minütiges Programm über den russischen Sender RTVI, doch es ist auf Russisch und behandelt vor allem das Leben in der EU. Denn es will über die demokratische Welt unterrichten. „Was interessiert uns die Regierungsbildung in Belgien, wenn wir gar nicht wissen, wie das Leben bei uns zu Hause aussieht?“, fragt sich Sascha von Belsat. „Objektiv“ heißt die Nachrichtensendung in seinem Sender. Sie berichtet über Streiks von Kleinhändlern und über Jugendliche, die ihre Empörung über gestrichene Ermäßigungen als Graffiti an die Wände sprühen, über Universitätsvorlesungen, in denen die weißrussische Fachterminologie gestrichen werden soll. „Solche Nachrichten werden im staatlichen Fernsehen nicht gesendet“, ist der junge Journalist überzeugt. „Die Behörden lassen keine Nachrichten über Proteste gegen ihre Entscheidungen zu.“ Und bald werde es noch schlimmer, denn die Regierung wolle den Zugang zum Journalistikstudium begrenzen. Vielleicht dürfen dann nur noch Mitglieder der Jugendfraktion aus Lukaschenkos Partei studieren „Deshalb ist unsere Arbeit bei Belsat so wichtig“, erklärt Sascha.Er heißt eigentlich anders, doch er will weder sein Namen noch sein Gesicht in Medien sehen. Oder besser: Er will es andere nicht sehen lassen. Genau wie die meisten anderen Journalisten in der Redaktion. „Weißt du”, erklärt Sascha, „eines Morgens schlägt der weißrussische Botschafter eine Zeitung auf und staunt: ‚Aha, ein Sender im Exil’. Er liest genauer, erkennt Namen oder Gesichter. Und er schreibt sich die Namen auf. Dann bist Du erledigt: Kein Job mehr zu Hause und vielleicht nicht einmal mehr eine Einreise nach Weißrussland“. Die Angst vor dem Regime, das seine Augen überall hat, scheint groß zu sein. „Nein, keine Angst, eher Vorsicht“, sagt Sascha. Auch die Nachrichten werden bei Belsat aus dem Off gelesen. Pavel Mazeika aus Grodno in Weißrussland ist einer der wenigen, die ein größeres Risiko in Kauf nehmen. Jede Woche moderiert er die Sendung „Gast von Belsat“, in der er mit prominenten weißrussischen Oppositionellen spricht. Zuletzt war Stanislav Schuschkievitsch, der erste Präsident Weißrusslands, bei ihm.Pavel Mazeiko weiß, dass es mit seiner Arbeit jederzeit vorbei sein kann. Regelmäßig pendelt er über die Grenze, von Grodno nach Warschau. „Meine Kollegen sagen, dass mich die Grenzer irgendwann nicht mehr raus lassen werden“, erzählt er. Keine unbegründete Vermutung. „Mehrere Kollegen wurden in Weißrussland schon vom Geheimdienst verhört“. Mazeiko bleibt vorerst locker. Bisher ist ja noch nichts passiert, ganz sicher könne man allerdings nie sein.Präsident Aleksander Lukaschenko jedenfalls hat den neuen Sender schon lange vor seinem eigentlichen Start kritisiert. Belsat sei ein „feindliches und unvernünftiges“ Projekt. Also hat Pavel einen Kollegen gesucht, der zur Not schnell für ihn einspringen kann. Für den Ernstfall ist alles geplant. Anders geht es nicht, wenn Belsat langfristig auf Sendung bleiben will. Und die Pläne zumindest sind groß. Waren es zuerst nur zwei Programm am Tag, die Belsat produzierte, sind es inzwischen schon vier. In Zukunft soll bis zu 16 Stunden am Tag gesendet werden. Und zwar ausschließlich auf weißrussisch – eine Ausnahme in der Medienlandschaft des Landes. Laut Statistiken erscheinen dort nur sieben Prozent der Presse und der Radioprogramme in weißrussischer Sprache. Zumeist seien das unwichtige Sendungen, behauptet Redaktionsleiterin Romaszewska. „Die Sprache wird praktisch aus der Öffentlichkeit verbannt. Erst uns ausländischen Journalisten ist damals aufgefallen, dass lediglich die Wettervorhersage und eine einzige weitere Nachricht im ansonsten russischsprachigen Programm auf Weißrussisch verlesen wurden.“ Auf diese Weise würde den Menschen das Gefühl vermittelt, Weißrussisch wäre was Schlechtes, ein ländlicher Dialekt, der es mit der gehobenen russischen Sprache nicht aufnehmen könne. „Es ist derzeit in Weißrussland nicht möglich, eine eigenen Kultur zu entwickeln – sowohl eine Hochkultur als auch die populäre“, sagt Agnieszka Romaszewska. „Wenn wir unseren Nachbarn jetzt nicht helfen, wer soll es sonst tun?“ So ist das Programm auch zur Zuflucht für weißrussische Künstler geworden, für die in ihrer Heimat kein Platz ist. Doch Belsat sei nicht nur für Oppositionelle da, es soll ein ganz normaler Kanal sein, betonen die dort arbeitenden Journalisten, ein Programm „genauso wie in den demokratischen Ländern“. Eine wichtige Zielgruppe sind junge Menschen, die durch Belsat etwas über die westliche Wirklichkeit erfahren. Deshalb sind auch Musik-Sendungen sowie westeuropäische und amerikanische Filme als Teil des Programms vorgesehen.Was für ein Fernsehen brauchen die Menschen in Weißrussland? Pavel Mazeiko überlegt. Dann sagt er langsam, als lege er jedes Wort auf die Goldwaage: „ Ein Fernsehen, das ein anderes Leben zeigt als die Regierung es will, andere Menschen. Und das zeigt, dass diese anderen Menschen, auch wenn sie anders denken als die Behörden es wünschen, ebenfalls an das Wohl ihres Landes denken. Sie brauchen ein Fernsehen, das zeigt, dass nicht nur erfolgreich ist, wer so denkt, wie die Regierung es vorgibt.“ Dass Belsat mit dieser Botschaft alle Weißrussen erreichen kann, glaubt Mazeiko nicht. „Man kann die Leute nicht dazu zwingen, auf einmal alles abzulehnen, woran sie jahrelang geglaubt haben.“ Aber vielleicht würden sie anfangen darüber nachzudenken, ob an den Nachrichten auf Belsat nicht doch etwas dran ist. Schließlich hätten alle Menschen ein Recht darauf, auch die andere Seite der Wirklichkeit zu sehen, sie müssten entscheiden und wählen dürfen. „Belsat – Dein Recht auf Wahl“, beendet der Sprecher im Off sein Programm. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87