ROTE HALSTÜCHER UND PISTOLEN
Im Kampf um Sende-Minuten ist Russlands Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow jedes Mittel recht. Jetzt verkleidete sich der Präsidentschaftskandidat als Rotarmist.Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow - einer von vier Kandidaten bei den russischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag - hat ein Problem: Man kennt ihn zwar, aber er bekommt nicht genug Zeit im Fernsehen. Über die Hälfte der O-Töne kommen von Dmitri Medwedjew, nur 18 Prozent entfallen auf Sjuganow, wie das "Zentrum zur Erforschung der politischen Kultur" errechnete.
Gennadi Sjuganow - Präsidentschaftskandidat der Kommunistischen Partei
Ulrich Heyden
Die Juristen der KP haben deshalb Klagen bei zwei Moskauer Gerichten eingereicht. Doch die Richter haben die Klagen abgewiesen. Ihr Argument: Medwedjew werde viel im Fernsehen gezeigt, weil er nicht nur Präsidentschaftskandidat sondern auch stellvertretender Ministerpräsident ist, also ein Mann im Amt. Und was Medwedjew in seinem Amt tut, darüber muss das Fernsehen natürlich berichten. Wer in Russland als Politiker eine Rolle spielen will, schafft das nur übers Fernsehen. Das weiß Sjuganow nur zu gut. Also versucht er, mit Tricks auf die Mattscheibe zu kommen. Mit einem Kostüm ergattert man sich sicher ein paar Sendeminuten, dachte sich Sjuganow, und zeigte sich am Sonnabend zum 90. Jahrestag der Roten Armee mit einer Budjonowka, der berühmten spitzen Filzmütze mit rotem Stern. Dann fuchtelte der sonst betuliche Parteichef auch noch mit einer Uralt-Pistole, die er wohl aus einem Museum hatte. Selbst Moskauer Liberale - sie werden ebenfalls von den Staats-Kanälen gemieden - nutzen neuerdings das Sowjet-Outfit für ihre Ziele. Bei der Präsentation des neuen Polit-Magazins "Russischer Pionier" in der mondänen Moskauer "Weinfabrik" schlugen Kinder in weißen Blusen die Pionier-Trommel. Gekommen waren Künstler, die Schickeria und sogar ein Minister. Man wolle "Pionieren auf allen Gebieten" eine Plattform bieten, erklärte der liberale Starjournalist und "Pionier"-Chefredakteur Andrej Kolesnikow, der auch Putin auf seinen Reisen begleitet. Kolesnikow trug ein rotes Halstuch und las ein Gedicht von Revolutionsdichter Majakowski vor, "Gespräch mit dem Genossen Lenin". Doch statt "Lenin" sagte er "Putin". Der echte Kommunist Sjuganow hat andere Sorgen. Laut einer Umfrage des angesehenen "Lewada"-Meinungsforschungs-Instituts wollen nur elf Prozent der Wähler ihm ihre Stimme geben. Dabei wäre mehr drin. 31 Prozent der Befragten haben positive Gefühle gegenüber dem KP-Chef. Nach Jelzins Chaos-Jahren hatte der KP-Chef es einfacher. Bei den Präsidentschaftswahlen 2000 erhielt er satte 29 Prozent. Doch dann kam Putin und stahl Sjuganow mit seinem Mischmasch aus Marktwirtschaft und Sowjetnostalgie die Show.Vor Journalisten gibt sich Sjuganow trotz schlechter Medienpräsenz aufgeräumt. Zwei Anekdoten pro Pressekonferenz müssen schon sein. "Kennen sie den?", fragt er spitzbübisch. Da verirrt sich ein Mann in einem Wald und ruft um Hilfe. Plötzlich steht hinter ihm ein großer Bär und fragt, "was schreist du?" Der Mann antwortet, er habe sich verlaufen, worauf der Bär fragt, "und nun, wo ich hier bin, geht es dir besser?" Bär heißt auf Russisch "Medwed". Und Putins Kronprinz heißt Medwedjew. Die Ähnlichkeit lädt zu Wortspielen ein.Über die anderen Kandidaten verliert Sjuganow kein gutes Wort. Schirinowski sei ein Trinker, Bogdanow unbedeutend und Putins Kronprinz ohne jede Lebenserfahrung. Medwedjew sei nie Minister gewesen und kenne die Russen in der Provinz nicht. Er werde das tun, was ihm seine liberalen Berater, Finanzminister Alexej Kudrin und Anatoli Tschubais, "einflüstern". An Putin lässt Sjuganow kein gutes Haar. Der Kreml-Chef habe auf der Sicherheitskonferenz in München eine "laute Rede" gehalten. Aber wirklich beeindrucken könne man den Westen nur, wenn Russland auch wirtschaftlich stark ist. Wenn Moskau eine "richtige Politik" macht, dann werde es in Tschechien und Polen keine amerikanischen Raketen-Basen geben, flötet der KP-Chef, der zu anderen Gelegenheiten gerne den Generalissimus Stalin preist. Sjuganow rechnet am Sonntag mit Wahlfälschungen. Aber mit dem Ex-Ministerpräsidenten Michail Kasjanow und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow will er nicht zusammen auf die Straße gehen. Wer Jelzins Politik unterstützte, mit dem will sich der KP-Chef nicht zusammen in der Öffentlichkeit zeigen. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87