FADE BRÜHE IM KOCHTOPF DER DEUTSCHEN MEDIEN
Die Zutaten in der Berichterstattung über die russischen Wahlen haben ihr Verfallsdatum längst erreichtBedrohung aus dem Osten auf allen Kanälen: Im ZDF sucht Russland "neue imperiale Größe", Arte berichtet über die "Machtergreifung des Wladimir Putin". Laut ARD werden erneut die alten Ziele des KGB verfolgt: "Kontrolle aller Lebensbereiche und Weltmachtstreben". Kein nützliches Rezept, um Russland besser zu verstehen. Viele der aktuellen Berichte über die bevorstehende Präsidentschaftswahlen sind aus Zutaten gemischt, die ihr Verfallsdatum fast erreicht - wenn nicht gar überschritten - haben. Dazu gehören erstens, als unverzichtbare Grundlage sozusagen: Präsident Wladimir Putin, der ehemalige KGB-Offizier, und der Personenkult. Zweitens seine antidemokratische Regierungsweise und des Herrschers eiserne Faust sowie drittens geknebelte Medien und ermordete Journalisten. Auf keinen Fall fehlen darf als vierte Komponente die Energiewaffe, das "staatlich kontrollierte" Gasprom. Und fünftens schließlich, die Prise Salz, die dem Ganzen den Geschmack verleiht: Gerhard Schröder und seine Vetternwirtschaft. Ganz schön fade - dabei würde das Kochbuch deutsch-russischer Beziehungen weitaus mehr hergeben. Personenkult um Putin Der Stern schreibt: "Dank eines inszenierten Personenkults aber ist er [Putin] unter seinen Landsleuten sehr populär". Die Packungsbeilage dieser Zutat ist mit Vorsicht zu genießen, ihre weiteren Inhaltsstoffe könnten den Genuss beeinträchtigen. Zum Beispiel die Tatsache, dass erst unter Putin Lehrer und andere staatliche Angestellte nach Monaten endlich wieder Lohn erhielten. Außerdem sind die Reallöhne seit 2000 um 75 Prozent gestiegen, ist die Armut halbiert worden. Russland geht ins zehnte Jahr eines ununterbrochenen Wachstums von durchschnittlich sieben Prozent. Schulden aus der Sowjetzeit wurden frühzeitig zurückgezahlt. Ende 2007 lagen die Devisenreserven bei 317 Milliarden Euro. Das waren die drittgrößten Reserven der Welt. "Unter diesen Umständen wäre es suspekt", meint Politikwissenschaftler Nicolai Petro, "wenn Putin weniger als 70 Prozent Beliebtheit hätte".Demokratie und die MedienDie Zutaten zwei und drei im Kochtopf der deutschen Medien ergänzen sich hervorragend, denn die russische Demokratie, so wird behauptet, sei jetzt "gleichgeschaltet". Die Medien seien vom Kreml kontrolliert, von Putin überwacht. Diese Zutaten müssen sorgfältig gewaschen werden, um den Beigeschmack der 62.335 Zeitungen und Zeitschriften loszuwerden, die es in Russland gibt. Sie könnten ja ein Zeichen einer kritischen Presselandschaft sein. Aber was ist mit dem Fernsehen? Man hört, es gäbe keine Privatsender mehr. Unbeachtet liegt unterm Tisch des offiziellen Berichterstattungsmahls der kleine, kritische, von der Bertelsmann-Tochter RTL Group übernommene Sender Ren-TV. Doch was ist das schon verglichen mit freien deutschen Privatsendern wie RTL, ProSieben und Sat.1, die hierzulande verantwortungsbewussten Enthüllungsjournalismus betreiben?Der journalistische Gaumen erfreut sich am chronologischen Vergleich: Klaus Bednarz, ehemaliger Auslandskorrespondent in der Sowjetunion und Redakteur bei Monitor, erlebt ein Déjàvu, wenn er heute russische Nachrichten anschaut - sie erinnern ihn an die Zeiten Breschnews. Ganz anders seien die 90er Jahre unter Jelzin gewesen. Das war, meint Bednarz, die Zeit der wirklich freien Medien. Diese Würze in der Suppe ist äußerst vorsichtig zu verwenden, sie hat einen bitteren Nachgeschmack. Jelzins Popularität zum Beispiel stand im Januar 1996 laut Umfragen bei etwa acht Prozent. Bei einer Wahl wäre er damit nur neunter geworden. Sechs Monate später wurde er mit über 50 Prozent als Präsident wiedergewählt. Woher der Zuwachs? Nicht nur die britische Zeitung The Daily Telegraph gibt als Grund die "rücksichtslose Manipulation der Medien" durch die Freunde und die "Familie" Jelzins an, denen die Medien gehörten. Die Wirtschaftsbarone rund um den Präsidenten hatten sich verabredet, ihre geballte Sender-Macht für seine Wiederwahl einzusetzen. Schöne freie Medienwelt. Diese beiden Zutaten - fehlende Demokratie und geknebelte Medien - haben einen eher deftigen Geschmack. Der Spiegel berichtet, dass die OSZE Putins Sieg 2004 für undemokratisch hält. Einen wesentlichen Grund dafür nennt OSZE-Sprecher Julian Yates: "Die staatlich kontrollierten Medien berichteten einseitig zu Gunsten des Amtsinhabers." Dieses Gewürz sollte in einer Dose mit der Aufschrift "undemokratisch" aufbewahrt werden - und nicht aus Versehen in die Büchse "Amtsinhaber haben immer mehr Fernsehpräsenz" gelangen. Denn darin liegen die Ergebnisse des Medienforschungsinstituts Medientenor, die belegen, dass George Bush vor der Präsidentschaftswahl Mitte 2004 doppelt bis dreimal so oft in den Hauptnachrichten des Fernsehens präsent war wie Konkurrent John Kerry. Auch Tony Blair hatte 2002 bei den untersuchten Themen einen 70- bis 78-prozentigen Anteil an den Nachrichten auf den beiden wichtigsten britischen Sendern. Bedrohte russische JournalistenZwei weitere Inhaltsstoffe werden oft zusammengemischt, wenn es um russische Journalisten geht. Wie in einer Überschrift der Berliner Morgenpost: "Russische Journalisten leben gefährlich", Unterzeile: "Trotzdem kämpfen einige wenige Reporter gegen die Allmacht des Kreml". Geschickt zieht die Morgenpost selbst keine direkte Verbindung zwischen dem "gefährlich leben" und dem "kremlkritisch" sein. Dem Leser ohne geschulten Gaumen fällt es schwer, die beiden Geschmacksrichtungen auseinander zu halten und zu erkennen, dass nicht alle Journalisten deshalb gefährlich leben, weil sie kremlkritisch sind. In gleiche Richtung geht eine Sendung auf 3sat vom 25. Februar, die weit von sich weist, die russische Staatsmacht des Mordes zu bezichtigen: "Denn Mord ist nur das brutalste Mittel, Journalisten in Russland mundtot zu machen. Die Mittel der Staatsmacht sind vielfältig und subtil." Das Beispiel Anna Politkowskaja zeigt in der Tat, wie gefährlich kritische Journalisten in Russland leben. Die Organisation Reporter ohne Grenzen zählt die bedenkliche Zahl von sieben ermordeten Journalisten seit 2004. Aber diese Morde ohne Beweise mit dem Kreml in einem Topf aufzukochen, kann schnell zu Magenverstimmungen führen.Gasprom und die UkraineUnbedingter Grundsatz deutscher Journalisten: Wenn Gasprom erwähnt wird, niemals den Zusatz "staatlich kontrolliert" vergessen. Und dann ganz schnell einrühren, um nicht zu lange beim Aroma der Zahlen zu verweilen. Ein kleiner Vergleich könnte stutzig machen: Der russische Staat kontrolliert 50,01 Prozent von Gasprom. Die norwegische Regierung kontrolliert 62 Prozent der norwegischen Firma Statoil, die britische Regierung kontrollierte lange Zeit fast 70 Prozent von BP. Bis 1987 blieb sie Großaktionär bei der Firma, bevor sie die Aktien verkaufte. Großbritannien hat dadurch zwar jetzt Staatschulden von circa 700 Milliarden Euro, ist im Namen der Demokratie aber sicherlich zufrieden. Deutschland kontrolliert auch keine Öl- oder Gaskonzerne. Und seine Staatschulden liegen lediglich bei circa 1,5 Billionen Euro.Zur Zubereitung von Berichten über Gasprom (oder sagen wir einfach "Russland") und die Ukraine den Herd stets auf höchste Stufe stellen. Anfang 2006 wurde ein Preiskonflikt zur Lieblingsspeise "Bedrohung für den Westen" aufgekocht. Die Schlagzeilen lauteten "Russland schwingt die Energie-Keule" (Neue Zürcher Zeitung) oder "Kalter Krieg um Erdgas" (taz). Die Europäische Union und die Welthandelsorganisation (WTO) rümpften bei dieser Speise allerdings die Nase. Schließlich hatten beide von Gasprom gefordert, es solle aufhören, durch subventionierte Preise für die Ukraine (50 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter statt eines Marktpreises von 230 US-Dollar) Verluste im Gasgeschäft zu machen. Die EU hatte ihre Unterstützung für Russlands Aufnahme in die WTO an die "Liberalisierung" des Energiemarkts gebunden - und damit an eben jene Preiserhöhung. Pascal Lamy, Generaldirektor der WTO, hatte der Ukraine im französischen Fernsehen empfohlen, den von Russland verlangten Preis zu bezahlen. Schröder und die VetternwirtschaftZum Abschmecken des Gerichts fehlt jetzt nur noch eine Prise Salz der Marke "Gerhard Schröder", der jetzt im Aufsichtsrat der Ostsee-Pipeline sitzt. Es steht in jedem Küchenschrank unter "Vetternwirtschaft und Interessenkonflikt". Für diese Marke wird viel Werbung gemacht. Hingegen wurde eine Studie der Nichtregierungsorganisation LobbyControl zum häufigen Wechsel von Politiker in die Wirtschaft schnell zum Altapier gelegt. Sie hatte auf ähnliche Marken hingewiesen wie "Otto Schily" (Ex-Bundesinnenminster, der sich für die Einführung biometrischer Daten in Ausweisen einsetzte und nun im Aufsichtsrat zweier Biometrie-Firmen sitzt), "Wolfgang Clement" (Ex-Wirtschaftsminister, der tief greifende Arbeitsmarktreformen durchführte und inzwischen im Aufsichtsrat von Dienstleistungsfirmen sitzt) sowie "Matthias Berninger" (Ex-Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, der jetzt beim Süßwarenkonzern Mars arbeitet).Was folgt aus dieser Art Berichterstattung über "Putins Russland"? Sie bevorzugt die Darstellung von Putin als Bedrohung für den Westen. Andere mögliche Sichtweisen der russischen Politik finden in den Medien nur wenig Beachtung. Dies führt zu einer überheblichen Einstellung gegenüber der russischen Regierung und ist schädlich, wenn der Westen wirklich daran interessiert ist, die demokratische Entwicklung Russlands zu fördern. Ein derart einseitiges Kochrezept führt dazu, dass Gäste - allen voran russische - die einheimische Küche nicht vertragen. Sie bleiben dem Mahl fern und nehmen nicht mal eine Kostprobe der empfohlenen Speisen. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87