Russland

90 Jahre Friedensvertrag von Brest-Litowsk

Das Diktat der Mittelmächte und seine Folgen(n-ost) - Am 3. März ist es 90 Jahre her, dass die Mittelmächte - Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei - und Sowjetrussland in Brest-Litowsk nach jahrelangen Kämpfen einen Friedensvertrag schlossen. Immer noch diskutieren Historiker heftig über Vorgeschichte und Verlauf der Vertragsunterzeichnung sowie über die Beziehungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem radikalen Teil der russischen Revolutionäre, den Bolschewiki.  Die erste Verlautbarung der Bolschewiki, herausgegeben kurz nach der Oktoberrevolution 1917 während der 2.  Allrussland-Konferenz der Sowjets, war das so genannte "Dekret über den Frieden". Dieses Dekret erklärte den Rückzug des revolutionären Russlands aus dem Krieg und rief alle Kriegsparteien zum Beginn von "Verhandlungen für einen gerechten und demokratischen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen" auf. Grundlage des Vertrags sollte das Selbstbestimmungsrecht der Nationen sein. Die Entente lehnte das ab, Deutschland und seine Alliierten wollten aber weiter mit Russland verhandeln.  Lenins defätistische Position passte während des Ersten Weltkrieges gut zu den Interessen der deutschen Regierung: Mit dem Auszug Russlands aus dem Krieg durch die Revolution mussten Deutschland und seine Alliierten keine Militäroperationen mehr in der Ostfront führen und konnten sich auf die Front im Westen konzentrieren. Als Lenin sich in der Schweiz aufhielt, wurden Kontakte zwischen ihm und der deutschen Regierung geknüpft. Die Rolle des Vermittlers übernahm dabei der deutsche Sozialist und Geschäftsmann Alexander Helphand-Parwus, der auch bei der Finanzierung der russischen Revolution behilflich werden sollte.Lenin führte allerdings hinter dem Rücken seiner Mitstreiter Separat-Verhandlungen mit der deutschen Regierung. Der russische Exil-Historiker Georgi Wernadski bringt folgende Bemerkung eines französischen Detektivs an: Ende Dezember 1916 sei Lenin in die deutsche Botschaft in Bern gegangen und erst am nächsten Tag Morgen wieder heraus gekommen. Sicher wären nicht alle Revolutionäre damit einverstanden gewesen, hätten sie gewusst, worüber Lenin mit den Deutschen verhandelt. Man kann heute vermuten, dass die Aufgabe der westlich gelegenen russischen Territorien zwischen der deutschen Regierung und Lenin bereits vereinbart war, bevor er im plombierten Zugwagon über Deutschland nach Russland zurückkehren durfte. Die sowjetische Geschichtsschreibung nahm, basierend auf Vorwürfen Lenins, in erster Linie Leo Trotzki für den Misserfolg der Verhandlungen mit den Deutschen in Haftung: Trotzki vertrat Russland damals als Volkskommissar in Auswärtigen Angelegenheiten. Man könnte die Kritik Lenins aber auch als Ablenkungsmanöver betrachten, um seine voreiligen Vereinbarungen mit Berlin zu vertuschen. Die Verhandlungen in Brest-Litowsk begannen am 22. Dezember 1917, aber bereits am 15. Dezember wurde zwischen den Kriegsparteien ein kurzer Waffenstillstand vereinbart. Erst am 18. Januar 1918 überreichte der Chef des deutschen Generalstabs an der Ostfront, General Max Hoffmann, Trotzki eine Karte, auf der die deutschen Gebietsansprüche verzeichnet waren: Jetzt musste Russland nach Finnland auch Polen und die baltischen Länder als Einflusssphäre aufgeben. Russland sollte darüber hinaus auch die Unabhängigkeit der Ukrainischen Volksrepublik anerkennen, wogegen es sich seit Monaten gesträubt hatte. Trotzki vertrat in den Verhandlungen keine klare Position, er wollte weder den Krieg fortsetzen noch unter Zwang Frieden schließen. Lenin setzte sich kompromisslos für den Frieden ein, den er mit seinen langfristigen politischen Zielen in Einklang sah. Die so genannten "Linkskommunisten" kämpften innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) gegen Lenin und Trotzki: Sie forderten einen "revolutionären Krieg". Ihrer Meinung nach konnte nur ein solcher Krieg gegen Deutschland und seine Alliierten zur kommunistischen Weltrevolution führen, die sie als Endziel ihres Kampfes betrachteten. Zu den Linkskommunisten gehörten so bekannte Persönlichkeiten wie Nikolai Bucharin und Alexandra Kollontai, sowie Lenins Geliebte Inessa Armand. Lenin kämpfte in der Partei entschlossen für seine Position und konnte sie letztendlich auch durchsetzen. Noch während die Bolschewiki um die Bedingungen des Friedensvertrages mit den Deutschen rangen, entschied sich Berlin für die Fortsetzung der militärischen Operationen. Trotzkis Reaktion darauf wird in seinem Telegramm an die deutsche Regierung vom 17. Februar deutlich: "Heute erhielten wir… Bescheid, General Hoffmann erklärte, dass ab dem 18. Februar, 12:00 Uhr die Militäroperationen zwischen Deutschland und Russland wieder aufgenommen werden… Entsprechend den Bedingungen des Waffenstillstandes muss eine Warnung sieben Tage vorher erfolgen und nicht wie geschehen, zwei Tage vor der Eröffnung kriegerischer Handlungen." Nach der begonnenen Offensive schickte das Kaiserreich am 21. Februar neue, härtere Bedingungen an die russischen Revolutionäre: Jetzt verlangte es von der neuen russischen Regierung, ihre Truppen auch aus dem westlichem Teil Weißrusslands und Kars, Ardehan in Ostanatolien sowie aus Batum im Südkaukasus zurückzuziehen. Die russische Armee sollte total demobilisiert werden, zudem wurden von den Bolschewiki sechs Milliarden Goldmark als Kontribution verlangt. Trotz der aufflammenden Debatten unter den Bolschewiki gewann Lenins Position wieder die Oberhand. Am 3. März 1918 unterzeichneten die entsandten Delegationen der Mittelmächte und Sowjetrusslands in Brest-Litowsk einen Friedensvertrag zu eben diesen Bedingungen, der am 15. März von der 4. Allrussland-Konferenz der Sowjets ratifiziert wurde.          Der deutsche Historiker Werner Hahlweg kommentiert den Friedensvertrag von Brest-Litowsk folgendermaßen:  "Die Frage, ob der ‚plombierte' Waggon tatsächlich den deutschen Interessen gedient hat, lenkt den Blick auf Brest-Litowsk… War Brest-Litowsk ein Erfolg für Deutschland oder eher ein Fehlschlag?" Vielleicht hat der harte Diktatfrieden gegen Russland später auch zum Friedensdiktat von Versailles beigetragen, nachdem Deutschland schließlich den Krieg verlor und sehr schmerzhafte Bedingungen durch die Alliierten auferlegt bekam. Die zeitgenössische russische Historikerin Irina Michutina konzentriert sich bei der Betrachtung des Prozesses um Brest-Litowsk auf die ukrainische Frage: Ihrer Meinung nach trug die deutschfreundliche Führung der Ukrainischen Volksrepublik, welche am 9. Februar 1918 einen Friedensvertrag mit den Mittelmächten abschloss, maßgebliche Miterantwortung für die harten Friedensbedingungen, die Berlin schließlich diktierte. Nach der Novemberrevolution von 1918 in Deutschland und dem Friedensvertrag von Compiègne zwischen den Mittelmächten und der Entente, die den Friedensvertrag von Brest-Litowsk nicht anerkannte, annullierte die Bolschewiki-Regierung den "räuberischen und ausbeuterischen Vertrag". Sie versuchte danach sogar, die abgetretenen Territorien wieder zurückzuerobern. Polen, Finnland und die baltischen Länder konnten ihre Unabhängigkeit bewahren. Es gelang den Bolschewiki allerdings, die Ukraine - mit Ausnahme ihres westlichen Teils - wieder an Russland anzugliedern.
 
Die 1919 von Lenin entwickelte Logik zum Vertrag von Brest-Litowsk verfolgte eher propagandistische Ziele: "Wir schlossen den Brester Friedensvertrag in der Erwartung, Bedingungen in Deutschland zu schaffen, die den Sturz Wilhelms ermöglichten. Das zeigte, wie genau unsere Schritte berechnet waren… Wir bezahlten die deutschen Imperialisten mit Gold, jetzt nimmt es ihnen die Entente wieder ab - der Sieger des Raubzugs nimmt dem besiegten Räuber das Gold wieder ab… Während wir uns bei den deutschen Raubzüglern freikauften, stärkten wir unsere Rote Armee, aber bei den deutschen Ausbeutern ist nichts mehr geblieben." Lenin hielt jetzt die Zeit für gekommen, die Regierungsform der Sowjets in alle Länder der Welt zu exportieren. Die Revolution müsse auf den Bajonetten in andere Länder getragen werden.    Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs waren die Bolschewiki bereit, die im Frühjahr 1919 entstandene Bayerische Sowjetische Republik sowie die Ungarische Sowjetische Republik zu unterstützen und den dortigen Kommunisten Teile der Roten Armee zu Hilfe zu schicken. Dies gelang ihnen allerdings nicht. Denn während die Bolschewiki die von der Entente unterstütze Offensive der Weißgardisten im eigenen Land aufhalten mussten, waren die beiden Republiken bereits verfallen. Damit war die erhoffte Ausdehnung der Revolution auf Europa gescheitert.    
 
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