Polen

Harte Verhandlungen über US-Raketenabwehr

Premier Donald Tusk stellt das geplante Raketenabwehrsystem in Frage und erhebt hohe Forderungen (n-ost) - "Entweder die Amerikaner akzeptieren unsere Bedingungen oder der Raketenschild wird gar nicht gebaut", kündigte der polnische Premier Donald Tusk in der vergangenen Woche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk an. Diese Botschaft nimmt er mit auf seine erste Reise als Ministerpräsident in die USA. "Es ist nicht so, dass die Entscheidung über die Stationierung des Raketenschilds schon gefallen wäre und wir eventuell später irgendwelche Zugeständnisse von den Amerikanern bekommen", erklärte er. Tusk zog einen Vergleich zum polnischen Engagement im Irak und in Afghanistan. Damals sei Polen viel versprochen worden, doch im Endeffekt trage sein Land nur die Kosten des Einsatzes.
 
"Polen braucht den Raketenschild nicht unbedingt", unterstützte Verteidigungsminister Bogdan Klich seinen Premier. Und Außenminister Radoslaw Sikorski hält es für möglich, dass erst mit der neuen US-Regierung endgültig über das Abwehrsystem verhandelt wird, sollte die derzeitige US-Regierung die polnischen Vorschläge nicht akzeptieren.  Der Knackpunkt in der Verhandlungen: Polen fordert finanzielle Hilfe bei der Modernisierung seiner Armee und des Verteidigungssystems in Höhe von 20 Milliarden Euro, und dazu vor allem Patriot-3-Raketen. Ähnliche Hilfsangebote hätten die Türkei oder Israel von den USA erhalten, begründet die Regierung in Warschau ihre Forderungen, obwohl sich Polen international weit stärker als Verbündeter Washingtons engagiere. Bisher hat die US-Regierung nicht auf diese Forderungen reagiert. Polens unnachgiebige Position unter Donald Tusk, der seit November 2007 Premier ist, bedeutet in den Verhandlungen mit den USA eine unerwartete Wende. Die beiden Vorgänger-Regierungen hatten amerikanische Vorschläge bezüglich des Raketenschilds bisher praktisch bedienungslos akzeptiert. Präsident Lech Kaczynski rief zwar während seines Besuchs in Washington im Sommer 2006 dazu auf, seinem Land umfassendere Sicherheitsgarantien zu geben - doch in der Praxis hieß die Regierung seines Bruders Jaroslaw Kaczynski die Pläne der USA ohne jeden Einwand gut. Die neue polnische Regierung betonte zwar seit Beginn ihrer Amtszeit, sie würde bessere Bedingungen für Polen in den Verhandlungen einfordern und Premier Tusk bezeichnete sich selbst als "weniger enthusiastisch in Sachen Raketenschild" als sein Vorgänger. Von einem Abbruch der Gespräche war jedoch nie die Rede. Vor zwei Wochen noch hatte die Regierung versichert, die Gespräche würden in eine gute Richtung laufen. Die endgültige Zusage zur Stationierung des Raketenabwehrsystems hätte während des bevorstehenden Besuchs von Tusk in Washington stattfinden sollen. Doch nun pokert der polnische Staatschef hoch gegen die USA - und findet damit viele Sympathisanten. Roman Kuzniar, Politikwissenschaftler und Forscher an der Warschauer Universität, lobt die neue Politik seiner Regierung. "Polen muss sich endlich von der alten Strategie in den Beziehungen zu den USA verabschieden, nach der die Handlungen nicht vom Verstand, sondern vom Gefühl gesteuert wurden", findet Kuzniar. Schließlich sei der Raketenschild nicht für die Sicherheit Polens von Bedeutung, sondern für die der USA. Deshalb sei es an Washington, Polen Angebote zu machen und nicht umgekehrt. Aufgrund ähnlicher Äußerungen war Kuzniar unter der Regierung Kaczynski aus dem Staatlichen Institut für Internationalen Angelegenheiten entlassen worden. Lediglich von seinem Vorgänger Jaroslaw Kaczynski wird Tusk in Polen für seine neue Linie kritisiert. Als Vorbild nannte Kaczynski die Tschechen und äußerte die Hoffnung, Polen könne auf den gleichen, pro-amerikanischen Weg wie seine Nachbarn zurückkehren. Auch der tschechische Ministerpräsident Mirko Topolanek kritisierte die Politik Polens vor einigen Tagen heftig. Die Forderungen aus Warschau seinen deutlich zu hoch, meinte Topolanek. Die Tschechen ihrerseits hätten sich mit der Zusage der USA zufrieden gegeben, ihr Land mit Forschungstechnologien zu unterstützen. Damit herrsche weitgehende Einigkeit über das Abkommen bezüglich des tschechischen Teils des Raketenschildes, das noch vor dem Nato-Gipfel im April in Bukarest fertig gestellt werden soll. Die Strategie von Tusk sei nicht unlogisch, finden Beobachter. In der polnischen Bevölkerung sind die Gegner des Raketenschilds deutlich in der Mehrheit. Über die Hälfte der Polen lehnt die Stationierung ab, nur jeder Dritte befürwortet sie. Immer häufiger wird in der Öffentlichkeit die Frage gestellt, welchen Sinn ein derartiger Schild für Polen hat. Als Mitglied des europäischen Blocks sei das Land selbst nicht militärisch gefährdet, urteilen zahlreiche Politologen und Journalisten. Auch von Seiten Russlands drohe keine akute Gefahr, im schlimmsten Fall würde Moskau während eines Streits den Gashahn zudrehen. Der Schild würde vielmehr die Position der USA stärken und deren Sicherheit erhöhen. Das ist in der Tat ein gewichtiges Argument für die Republikaner von George W. Bush, die damit noch unentschiedene Wähler gewinnen wollen. Der US-amerikanische Präsident hatte ursprünglich geplant, mit dem Aufbau des Schilds noch vor Ende seiner Amtszeit zu beginnen. Das Parlament in Washington hat jedoch im Haushalt für den Raketenschild keinerlei Ausgaben eingeplant, die die Forderungen Polens nach finanzieller Hilfe für die Armee abdecken könnten. Falls die Demokraten die nächste Wahl gewinnen, steht das gesamte Abwehrsystem in Europa in Frage, denn ein Großteil der Partei lehnt den Schild und dessen Finanzierung ab. Weder Barack Obama noch Hillary Clinton als mögliche künftige US-Präsidenten werden die Idee mit der gleichen Vehemenz verfolgen wie George W. Bush. In diesem Fall hätte Polen durch Zugeständnisse in den Verhandlungen nichts gewonnen, dafür aber die Beziehungen zu seinen Nachbarn belastet. Dieser Logik folgen viele Polen, und das weiß Ministerpräsident Donald Tusk sehr gut. Hinzu kommt, dass die Sympathie für die USA in der polnischen Bevölkerung immer weiter sinkt. Hatten noch in den 90er Jahren über die Hälfte aller Polen eine pro-amerikanische Einstellung, sind es jetzt nur etwa 40 Prozent. Zu viele Polen empfinden die gegenseitigen Beziehungen als ungleich. Dazu hat vor allem die Enttäuschung darüber beigetragen, dass Washington den Polen seit Jahren den visumsfreien Reiseverkehr verweigert. Auch das militärische Engagement polnischer Truppen im Irak und in Afghanistan hat Warschau nach eigener Ansicht keinerlei Vorteile oder Zugeständnisse von amerikanischer Seite gebracht. Polen schickt seine Soldaten momentan teilweise mit veralteter Ausrüstung in diese Einsätze, denn die USA haben in ihrem Haushalt jährlich nur 32 Millionen Euro für die polnischen Verbündeten eingeplant - genauso viel, wie ein Militärflugzeug sie kostet. Die im Gegenzug 2003 von Polen gekauften Jagdflugzeuge des Typs F 16 zu einem Preis von insgesamt sechs Milliarden US-Dollar brachten der polnischen Wirtschaft nicht viel. Zu den wenigen erfolgreichen Projekten in Kooperation mit den Amerikanern gehört der Ausbau der Opelfabrik in Gliwice und der Flugzeugtriebwerke in Rzeszow. Die endgültige Entscheidung über den Raketenschild will Ministerpräsident Donald Tusk selbst treffen. Eine Volksabstimmung lässt er nicht zu. Doch von dem nun eingeschrittenen Kurs darf er nicht mehr abweichen, ansonsten läuft er Gefahr, seine Autorität in Polen zu verlieren. Das riskante Spiel mit hohem Einsatz lohnt sich für die polnische Regierung dabei in jedem Fall: Entweder wird Tusk der erste Regierungschef seit Jahren, der durch internationale Verhandlungen erhebliche Hilfe für sein Land erhält - oder aber er gewinnt den Beifall des Großteils seiner Landsleute und der europäischen Nachbarn, wenn er auf die Zustimmung zu dem umstrittenen Projekt verzichtet.  ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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