RUSSLAND WILL ZWEITE SUPERMACHT SEIN
Außenminister Sergej Lawrow lobt Verhandlungserfolge bei der geplanten Raketenabwehr (n-ost) – Für US-Außenministerin Condoleezza Rice und Pentagon-Chef Robert Gates hat sich das Treffen mit Wladimir Putin und seinem Nachfolger Dmitri Medwedew Anfang der Woche in Moskau gelohnt. Die beiden US-Minister hatten erneut versucht, die russischen Vorbehalte gegen die geplante Raketenabwehr in Osteuropa zu zerstreuen – und sie waren erfolgreich. Der Schild soll sich gegen Raketen aus dem Iran richten.Der russische Außenminister Sergej Lawrow schlägt gegenüber den USA jetzt einen sanften Ton an. Am Donnerstag erläuterte er in einem Interview mit der russischen Zeitung Iswestija, was aus seiner Sicht ein russischer Verhandlungserfolg ist. Die USA hatten Russland am Mittwoch in schriftlicher Form Sicherheitsgarantien für die geplante Raketenabwehr angeboten. Bisher hatte es nur mündliche Zugeständnisse gegeben. Lawrow zeigt sich höchstzufrieden. „Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir erreicht, dass die Amerikaner endlich anerkennen: Unsere Sorgen sind nicht unbegründet.“ Für Russland sei nicht „die Absicht, sondern das Potential“ der geplanten Raketenabwehr wichtig. Die amerikanische Seite habe nun eine ganze Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die Russland zufrieden stellen sollen. „Wir werden die Möglichkeit haben zu verfolgen, was der Radar macht und in welchem realen Zustand sich die Basis mit den Abfangraketen befindet.“Details wurden bisher nicht bekannt. Aber nach Berichten der Zeitung Kommersant waren in den letzten Monaten von amerikanischer Seite mündlich bereits drei Vorschläge gemacht worden: Russische Spezialisten dürfen den Amerikanern auf den Abwehrstationen in Polen und Tschechien über die Schulter gucken. Die Abfangraketen in Polen sollen nicht in Schächten, sondern überirdisch stationiert werden. Der Radarschirm in Tschechien wird technisch so eingerichtet, dass er nicht in das russische Hinterland hineinhorchen kann. Russlands Vorschlag, die Amerikaner könnten sich, statt ein neues Raketenabwehrsystem zu bauen, an der russischen Radar-Anlage in Aserbaidschan beteiligen, stieß in Washington hingegen nicht auf Gehör.Lawrow lässt in dem Interview keinen Zweifel daran, dass Russland die geplante Raketenabwehr nach wie vor ablehnt, denn das geplante System „schwäche die strategische Stabilität in der Welt“. Lawrow meint, die USA planten ein Abwehrsystem rund um Russland, von Großbritannien über Osteuropa, die Türkei, über Südostasien bis nach Japan.„Russland und die USA – das sind Staaten, die kein Recht haben nicht über ihre Verantwortung für die Sicherheit in der weltweiten Arena nachzudenken“, erklärte Lawrow im Interview und deutet damit an, dass Russland die zweite Supermacht sein wolle. Zwischen den USA und Russland gäbe es zwar Meinungsverschiedenheiten über die Themen Raketenabwehr, Kosovo und Wahlbeobachtung in Russland, „aber in vielen Positionen fallen unsere Interessen zusammen“. Der russische Außenminister nennt in diesem Zusammenhang den Kampf gegen den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie die Kontrolle über die friedliche Nutzung der Kernenergie. Doch bei den russischen Militärs bleibt ein bitteres Gefühl. Russland hat seine Abhörstation in Kuba abgebaut und den Flottenstützpunkt in Vietnam geschlossen. Gleichzeitig musste Moskau zusehen, wie die Nato sich nach Osten ausdehnte. Die Regierung von George W. Bush will – unterstützt von den Staaten Ostmitteleuropas – auch Georgien in die Nato aufnehmen – ein Thema, das auf dem Nato-Gipfel Anfang April in Bukarest zur Sprache kommen wird. Vertreter des russischen Militärs planen nun den Gegenschlag, vorerst allerdings ohne Gefechtslärm. Am 9. Mai, dem Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland, werden das erste Mal seit 17 Jahren wieder schwere Panzer und Interkontinentalraketen über den Roten Platz rollen. Auf einem Truppenübungsplatz vor Moskau wird seit Wochen für die große Parade geübt.Das Spektakel zeigt, dass es wieder gefährlich wird auf der Welt. Die Rüstungskontroll-Verträge der 70er und 80er Jahre werden von USA und Russland zunehmend in Frage gestellt, ohne dass es bisher neue Verträge gibt, die den neuen Verhältnissen entsprechen. 2001 kündigte die Bush-Administration den ABM-Vertrag, der eine flächendeckende Raketenabwehr verhindern sollte. Letztes Jahr suspendierte Russland den KSE-Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa. Im nächsten Jahr läuft der Start-I-Abrüstungsvertrag aus, ohne dass bisher Ersatz in Sicht wäre. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87