BAUBOOM VOR WINTEROLYMPIADE
In Sotschi will der Kreml 2014 die Welt mit der Schönheit des Kaukasus beeindrucken – doch die wird durch olympische Bauten bedroht(n-ost) – Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit hat Russlands Präsident Wladimir Putin US-Präsident George W. Bush überraschend nach Russland eingeladen. Das Gipfel-Treffen findet an diesem Wochenende (5. und 6. April) in Sotschi statt – nicht zufällig. Immer wieder hat Putin in den vergangenen Jahren Staats- und Regierungschefs in seiner Urlaubsresidenz am Schwarzen Meer empfangen und so den Boden für die erfolgreiche Olympia-Bewerbung der Stadt bereitet. Die Olympiade ist Putins Lieblingsthema.
Skihang in Sotschi.
Tatjana Cherkezyan2014 sollen die Spiele stattfinden. Aber allzu viele Wettkampfstätten wird der russische Präsident seinem amerikanischen Gast noch nicht präsentieren können. Nahezu die gesamte Infrastruktur muss mit Milliardenaufwand erst noch geschaffen werden. Sotschis Trumpf sind die idyllische Lage am Meer und die wilde Natur der nahen Kaukasusberge. Doch genau diese Natur wird durch Olympia bedroht. In dem russischen Kurort hat ein wilder Baumboom eingesetzt. Die Gründstückspreise explodieren und erreichen Moskauer Niveau. Eine Million Dollar für hundert Quadratmeter Bauland wurden bereits gezahlt, wie die Moskauer „Nesawisimaja Gaseta“ berichtete. Seit feststeht, dass die Olympiade kommt, will alles was in Moskau Rang und Namen hat, eine Residenz im Schwarz-Meer-Kurort. Versperrter Blick aufs MeerZu den Kritikern des Baubooms gehört die Architektin Olga Kosinskaja und ihr Mann Oleg Kosinski, der bis 2004 Chefarchitekt der Stadt war. Die Beiden haben ihr Büro auf einem Berg am Stadtrand von Sotschi. Wenn sie aus dem Fenster gucken, geht der Blick über die Dächer der Stadt. Wenn nicht die neuen Hochhäuser wären, gäbe es auch einen freien Blick über das Meer, das bei gutem Wetter hellblau schimmert. Für Olga und ihren Mann Oleg ist es schwer Aufträge zu bekommen, die sie mit ihrem ökologischen Gewissen vereinbaren können. „Wir lehnen viele Projekte ab, weil es keinen neuen Generalplan für die Stadt gibt.“ Der letzte Generalplan stammt aus den 60er Jahren. Damals hatte die Stadt 150.000 Einwohner, inzwischen ist sie auf 400.000 Einwohner gewachsen. Die Infrastruktur ist überfordert, es herrscht Planlosigkeit. „So wird spontan gebaut, oft auch mitten in den Kurzonen“. Schon jetzt kommt es wegen der Überlastung zu Stromausfällen und Störungen in der Wasserversorgung. Das Klärwerk ist überlastet. Was sich an Abwässern in Straßen und Höfen sammelt, fließt ungefiltert ins Meer. An den Stränden im Stadtzentrum baden nur die unwissenden Touristen. Die Straßen sind ständig verstopft. Wer von außerhalb in die Stadt zur Arbeit fährt, steht morgens bis zu zwei Stunden im Stau. „Briefe an Putin wandern die Instanzen nach unten“Die neuen Hochhäuser mit den Eigentumswohnungen „sind vor allem eine Kapitalanlage“, meint Olga. Die Eigentümer - meist reiche Moskauer - wohnten in den Luxus-Wohnungen nur zwei Wochen im Jahr. „Die restliche Zeit stehen die Wohnungen leer.“ Aber man könne die Investoren zu nichts zwingen. Die Gerichte einzuschalten, sei sinnlos. „Sie entscheiden oft nicht im Interesse der Bürger.“ Zusammen mit anderen Anwohnern und Ökologen versucht die Architektin deshalb die Öffentlichkeit zu mobilisieren. 1.500 Bürger waren schon auf einer Kundgebung gegen den Hochhausbau in gewachsenen Wohnsiedlungen. Man hat einen Brief an Putin geschrieben. Der habe bei einem Besuch in Sotschi versprochen, dass die Interessen der Menschen berücksichtigt werden. „Aber die Schreiben an Putin wandern die Instanzen nach unten und von dort wird uns dann mitgeteilt, dass alles in Ordnung ist.“ Mit der Metro ins Ski-GebietBoris Michailowitsch ist Wildhüter in einem Gehege im Bergdorf Krasnaja Polana („Schöne Wiese“), wo 2014 die alpinen Wettkämpfe stattfinden sollen. Michailowitsch ist stolz auf seine Tiere, Gämse, Eulen, Wildkatzen, Wölfe. Auch einen jungen Wisent hat er in seinem Gehege. 160 dieser Tiere leben frei im Westkaukasischen Naturpark, nicht weit von Krasnaja Polana. Viele Tiere sind vom Aussterben bedroht, müssen aber jetzt mit der Olympiade zurechtkommen, die in unmittelbarer Nähe des Westkaukasischen Naturparks stattfinden soll. Wegen seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt hat die Unesco den Park 1999 zum Welterbe erklärt. Die Olympiade wird nach Meinung der Ökologen zu einer schweren Belastung für die Natur. Noch ist Krasnaja Polana ein verträumtes Dorf mit nur 4.000 Einwohnern. Doch 2014 werden in dem Bergtal täglich bis zu 200.000 Menschen erwartet.
Noch ist der Olypmiaort Krasnaja Poljana ein verträumters Städchen.
Ulrich HeydenFrüher war Krasnaja Polana nur über eine kleine Serpentinen-Straße zu erreichen. Die erste mehrspurige Straße durch verschiedene Tunnel wurde bereits gebaut. Geplant ist eine zweite moderne Straße und eine Metro, mit der man vom Flughafen direkt ins Ski-Gebiet fahren kann. Anatoli Kudatkin ist Professor für Ökologie und spezialisiert auf Bären und Wölfe. Zwölf Bären haben im Umkreis von Krasnaja Polana ihre Höhlen, erzählt der Forscher, der selbst häufig mit dem Zelt durch die Berge zieht. Wenn er die Gelegenheit gehabt hätte, dann hätte er Putin gesagt, „dass man hier keine Olympiade durchführen darf. Sotschi ist ein Kurort. Hier gibt es eine einzigartige Natur. Wir können mehr Geld verdienen, wenn wir den Touristen die wilde Natur zeigen.“ Nun hofft der Bären-Forscher den Kreml-Chef davon zu überzeugen, dass die Sport-Objekte in Abstimmung mit den Ökologen gebaut werden. Nur so könne man den ökologischen Schaden verringern. Angst vor JournalistenWas denkt der Leiter des Westkaukasischen Naturparks über die Olympiade? „Die Olympiade betrifft uns nicht“, erklärte Naturpark-Leiter Sergej Schewel am Telefon. Ein Interview will er nicht geben. Seit Journalisten berichteten, dass in den Parks von Hubschraubern aus gewildert wird, meiden die Park-Direktoren den Kontakt mit den Medien. Mit der Ruhe ist es im Tal von Krasnaja Polana vorbei. In die Fichtenwälder werden Schneisen für die Sessellifte geschlagen. Hubschrauber bringen Beton und Stahlmasten auf die von Menschenhand bisher unberührten Höhen. Trotz Winterwetter gießen Arbeitsbrigaden aus der Türkei Beton-Dächer für die Liftstationen. Schon die ersten Baumaßnahmen brachten die Ökologen in Rage. Dima Koptsow von der „Ökologischen Wache Nord-Kaukasus“ berichtet, dass das Hotel und das Skizentrum des Konzerns Gasprom direkt auf dem größten Trinkwasser-Reservoir der Region gebaut wurden. Erste RückzieherNach offiziellen Angaben soll die russische Winter-Olympiade 8,5 Milliarden Euro kosten. Doch russische Zeitungen berichteten, dass die nötigen Ausgaben um Einiges höher liegen werden. Auf einer Konferenz hoher Regierungsbeamter Anfang Februar kam zur Sprache, dass einige der geplanten Olympia-Objekte in Krasnaja Polana verlegt werden müssen. Unter anderem geht es um die von Ökologen heftig kritisierte Bob-Rennbahn und das olympische Dorf. Beide Objekte sollten in 900 Metern Höhe auf der „Birnen-Wiese“ (früher wuchs dort die kaukasische Birne) direkt an der Grenze zum Westkaukasischen Naturpark gebaut werden. Untersuchungen ergaben jedoch, dass der Boden den Belastungen einer Rennbahn nicht standhält. Auch die Verlegung der Trassen für Freestyle und Biathlon ist im Gespräch. Doch hinter den Verlegungsplänen stehen keine ökologischen Bedenken, sondern technische und finanzielle Probleme, meinen Beobachter. Die russischen Fernsehkanäle bringen über die Olympia-Vorbereitungen nur Jubelmeldungen. Über die Kritik von Organisationen wie der Nordkaukasischen Öko-Wache, Greenpeace und dem WWF erfahren die Fernsehzuschauer nichts. Doch sobald Putin oder sein Kronprinz Dmitri Medwedew auf einer der neuen Pisten in Krasnaja Polana auftauchen, bringen die Sender ausführliche Berichte. Höhepunkt der Fernsehreportagen ist, wenn Putin oder sein Kronprinz in einer mondänen Hütte – anstatt für ein Getränk zu zahlen – dem Barman ihre Ski-Brillen schenken.Zement aus Abchasien?Von Begeisterung für die Olympiade ist in Sotschi bisher nichts zu spüren. Der Mathematik-Student Wjatscheslaw erwartet nicht, dass sich durch die Olympiade für ihn persönlich etwas verbessert. In seinem Stadtteil fällt regelmäßig der Strom aus. Das Dach seines Plattenbaus ist undicht, in den Wänden breitet sich Schimmel aus, die Kanalisation ist kaputt. Ira, die in einer Boutique vor dem Hotel Moskwa teure italienische Mode verkauft, sagt es ohne Umschweife. „Ich bin gegen die Olympiade. Das bedeutet Verkehrsstaus und verrückte Preise.“ Für Putin ist die Olympiade eine Prestige-Frage. Der Kreml-Chef will, dass Russland Wintersport-Einrichtungen auf internationalem Niveau bekommt. Außerdem will Putin zeigen, dass Russland die Vorherrschaft im Kaukasus beansprucht. Moskau musste bereits hinnehmen, das eine neue, von den USA initiierte Öl-Pipeline von Baku in die Türkei russisches Territorium umgeht. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, dass Russland ausgerechnet in der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien Zementfabriken für die Olympiade-Objekte bauen will. „Wir werden uns verteidigen!“Die Olympiade soll im Großraum Sotschi in zwei Regionen stattfinden, rund um das Bergdorf Krasnaja Polana und direkt am Meer, in der Imeretinskaja-Tiefebene. In Krasnaja Polana werden die Zentren für die alpinen Disziplinen gebaut, am Schwarzen Meer, wo im Sommer subtropisches Klima herrscht, sollen die Hallen für Eishockey, Schlittschuhlauf und Curling sowie das Stadion für die Eröffnungs- und Abschluss-Veranstaltung entstehen.
Tatjana Nikolajewna telefoniert die Anwohner ihrer Sowchose zusammen.
Ulrich HeydenÖkologen kritisieren den geplanten Bauplatz in der Imeretinskaja-Tiefebene, weil in dem moorigen Gebiet Zugvögel ihren Rastplatz haben. Und die Menschen, die in der Sowchose „Rossija“ leben, fürchten, dass man sie umsiedelt. Tatjana Nikolajewna, eine 52-jährige Krankenschwester, hat Angst, dass man ihr das Häuschen nimmt. „Die Investoren“, wie der Groß-Industrielle Oleg Deripaska, dessen Unternehmen „Basowyj Element“ nicht nur die Eissporthallen sondern auch eine Elite-Siedlung und einen Jachtklub bauen will, planten auf dem Boden der Sowchose weitere Luxus-Bauten, erzählt sie. Erste Umsiedlungen gab es bereits. Viele Arbeiter der Sowchose haben es versäumt, auf den Boden, auf dem sie schon zu Sowjetzeiten schmucke Häuser bauten, Eigentumstitel anzumelden. Es war nicht wichtig. Nun ist es zu spät. Tatjana will nicht aufgeben. „Wenn sie uns hier vertreiben wollen, werden wir kämpfen.“ Womit? „Wir werden eine Menschenkette bilden.“ Ihr Sohn Wolodija war Soldat in Tschetschenien. „Er will sich vor das Haus stellen und sich wehren.“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87