Russland

NESTLÈ CONTRA GEWERKSCHAFTEN

Schweizer Konzern verweigert Mitarbeitern in Russland Tarifverhandlungen(n-ost) – Vor der Verwaltung des Nestlé-Konzerns in der Moskauer Innenstadt läuft eine zwei Meter hohe Ratte mit blauem Plüschfell auf und ab. Das Tier trägt ein grünes Nestlé-Emblem auf dem nur ein Wort steht „Shameless“. Mit der Ratte protestieren russische Arbeiter des Schweizer Konzerns, die extra aus der Ural-Stadt Perm nach Moskau gereist sind, gegen die Weigerung der Werksleitung, Tarifverhandlungen aufzunehmen. Die Arbeiter halten Schilder mit den Aufschriften „Keine Scham – kein Gewissen“ und „Wir geben dem Land Kitkat aber bekommen keinen würdigen Lohn“. Der Streit dauert seit vier Monaten an. Zunächst setzte die Werksleitung in Perm auf Totalverweigerung. Am Freitag dann erklärte das Unternehmen, man werde an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die russischen Gewerkschaften, die die Nestlé-Arbeiter unterstützten, verpflichteten sich die Protestaktionen für vier Tage einzustellen. Doch am Montag berichtete die Leiterin der Betriebsgewerkschaft bei Nestlé in Perm, Larisa Seliwanowa, von erneuten Schwierigkeiten. Die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb seien am Besuch einer Versammlung gehindert worden. Das Grundgehalt der Arbeiter in der Fabrik in Perm, die Schokoriegel, Bonbons und Pralinen herstellt, liegt zurzeit bei 160 Euro. Mit Prämien kommt eine Arbeiterin in der Produktion – bei Nestlé in Perm arbeiten vor allem Frauen - auf maximal 350 Euro, selbst wenn sie in der Nachtschicht arbeitet. Nestlé-Fabrikdirektor Martin Ruepp erklärt, das Unternehmen werde die Löhne wie bisher nach eigenem Ermessen festlegen. Auf Verhandlungen über einen Mechanismus für Lohnerhöhungen will sich das Unternehmen nicht einlassen. Der 35-jährige Ruepp hat im Nestlé-Konzern Karriere gemacht. Bevor er nach Perm kam, leitete er eine Fabrik im englischen York. Dort sei Ruepp bereits mit seinem harten Kurs gegen die Gewerkschaft gescheitert, erzählen sich die Arbeiter in der Fabrik in Perm.In Perm hat Nestlé die Löhne in den letzten zwölf Monaten zwar dreimal erhöht (9, 10 und 15 Prozent). Doch diese Erhöhungen reichten kaum, um die hohe Inflationsrate im Gebiet Perm – sie liegt bei 16,5 Prozent - auszugleichen, so die Leiterin der Betriebsgewerkschaft, Larisa Seliwanowa. Eine Reallohnerhöhung hätten die Arbeiter bei Nestlé seit Jahren nicht mehr bekommen. Deshalb forderte die Gewerkschaft im Dezember gleich eine Lohnerhöhung von 40 Prozent. Die Betriebsleitung stellte darauf die Verhandlungen mit der Betriebsgewerkschaft ein. Selbst als die Gewerkschaft ihre Forderung von 40 auf 21,5 Prozent verringerte, kehrte die Unternehmensleitung nicht wieder an den Verhandlungstisch zurück. „Die Forderung der Gewerkschaft über die Lohnerhöhung wurde aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt“, heißt es in einer Presseerklärung des Nestlé-Konzerns. „Das Lohnniveau im Unternehmen entspricht dem Durchschnittslohn in der Stadt Perm.“ Die Beschäftigten der Süßwarenfabrik in Perm haben in den vergangenen Monaten mehrere Protestaktionen durchgeführt. 200 Nestlé-Mitarbeiter und Arbeiter anderer Betriebe versammelten sich bei Minus 26 Grad zu einer Protestkundgebung in der Stadt. Viele Arbeiterinnen gehen schon zum Blutspenden, um ihr Einkommen aufzubessern, berichtete die Rossiskaja Gaseta. Fleisch kommt fast gar nicht mehr auf den Tisch, erzählt Gewerkschafts-Sekretärin Larisa Seliwanowa. Trotz der öffentlichen Proteste und Unterstützung der deutschen Gewerkschaft NGG und der Internationalen Gewerkschaft der Arbeiter in der Nahrungsmittelindustrie ist Nestlé bisher nicht zu Zugeständnissen bereit. Die Gewerkschaft ist starkem Druck von Seiten des Unternehmens ausgesetzt, berichtet Larisa Seliwanowa. In einzelnen Abteilungen werden soziologische Befragungen durchgeführt, bei denen die politische Meinung und die Bereitschaft zu Protesten ermittelt wurden. Der Gewerkschaft wurde das Internet abgeschaltet. Außerdem drohe der Leiter des Nestlé-Werks mit der Betriebsschließung.Der Vorsitzende des russischen Gewerkschaftsdachverbandes, Michail Schmakow, fuhr auf einer Pressekonferenz in Moskau scharfe Geschütze gegen Nestlé auf. Für einen „arbeiterfeindlichen“ Konzern wie Nestlé gäbe es keinen Platz in Russland, erklärte der Gewerkschaftsboss. Während Nestlé die Dividende für Aktionäre um 17,5 Prozent erhöht habe, gingen die Arbeiter in Russland leer aus. Schmakow kündigte eine Klage bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris an und erklärte, notfalls werde man streiken.Larisa Seliwanowa arbeitet seit sieben Jahren für das Schweizer Unternehmen. Zunächst war sie  Bandarbeiterin. Jetzt ist sie freigestellte Gewerkschaftssekretärin. Die ausgebildete Englischlehrerin, die von ihrem Lehrergehalt nicht leben konnte, arbeitete jahrelang bei bis zu Minus 50 Grad auf Freiluft-Märkten, bevor sie bei Nestlé anheuerte. Die Unternehmensleitung hielt anfangs große Stücke auf die Universitätsabsolventin. Doch das änderte sich, als Larisa die Gewerkschaftsarbeit intensivierte und die Mitgliederzahl verdoppelte. „Sie dachten, dass ich mich unterordne“, meint die 48-Jährige. Zwei Drittel der 1.000 Beschäftigten bei Nestlé in Perm sind jetzt organisiert. Nestlé hat in Russland 13 Fabriken mit insgesamt 10.000 Mitarbeitern. Aber nur in vier Fabriken gibt es Arbeitnehmervertretungen. Für die Gewerkschaften hat die Auseinandersetzung in Perm exemplarische Bedeutung. Internationale Gewerkschaften fürchten, dass irgendwann Produktion in das Billig-Lohnland Russland ausgelagert wird, wenn dort die Löhne weiterhin auf niedrigem Niveau verharren. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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