Russland

PUTIN JETZT PARTEICHEF

Russlands scheidender Präsident wird ohne Gegenstimme zum Vorsitzenden von Einiges Russland bestimmt(n-ost) – Die ehemalige Markthalle gegenüber dem Kreml war ausstaffiert wie bei Partei-Kongressen im Westen. Für den neunten Kongress der Kreml-Partei „Jedinaja Rossija“ („Einiges Russland“) hatten Designer die Halle mit blauer Teppichware ausgelegt und eine Art Amphitheater aufgebaut, offenbar eine Anspielung an die Geburtsstunde der Demokratie im alten Griechenland. Doch wo die Griechen noch stritten und abstimmten, wurde in der umgebauten Markthalle zu Moskau einfach nur abgenickt, ohne Diskussion. Der Parteikongress dauerte am Dienstag, dem Tag als Wladimir Putin zum  Parteivorsitzenden gewählt wurde, nur 45 Minuten. Die 573 Delegierten – viele von ihnen haben hohe Posten in der Verwaltung und in Betrieben – wählten den scheidenden Kreml-Chef und zukünftigen Ministerpräsidenten in öffentlicher Abstimmung ohne Gegenstimmen und Enthaltungen für vier Jahre zum Parteivorsitzenden. In seiner Rede vor den Delegierten erklärte Putin, „Einiges Russland“ habe es geschafft, für das Land einen Weg aus der „allumfassenden Krise“ der späten 90er Jahre zu finden. Wichtige Schritte hin zu einer „innovativen Wirtschaft“, der „Überwindung der Massen-Armut“ und zu einem „unabhängigen außenpolitischen Kurs“ seien gemacht. Putin will nach seinem Ausstieg als Kreml-Chef den Posten des Ministerpräsidenten übernehmen. Er sei bereit, die zusätzliche Verantwortung anzunehmen, sagte er den Delegierten. Diese erhoben sich gemeinsam mit den 2000 geladenen Gästen der Veranstaltung von den Plätzen und applaudierten artig. Von Aufbruchsstimmung war jedoch nichts zu spüren. Es war eher ein Ritual zum Wohlfühlen für die Bürger Russlands, die mehrheitlich hoffen, dass Putin auch in Zukunft in Russland den Ton angibt. Der amtierende Kreml-Chef steht in der Bevölkerung für Stabilisierung und stetigen wirtschaftlichen Aufschwung. Nach Angaben des unabhängigen Meinungsforschungszentrums Lewada liegt Putins Popularitätsrate zurzeit bei 59 Prozent. Putin erklärte, die Partei müsse „offener für Diskussionen“ werden und die „Wählermeinung“ berücksichtigen. Jedinaja Rossija müsse „entbürokratisiert“ und von Karrieristen gesäubert werden. Formal gibt es in der Partei Einiges Russland drei Parteiflügel, die das Spektrum von rechts- bis linksliberal abdecken. Aber faktisch spielen diese Flügel keine Rolle. Über Meinungsverschiedenheiten oder Diskussionen innerhalb der Partei ist in der Öffentlichkeit zumindest nichts bekannt.Mit Demokratie hatte der Parteitag von „Jedinaja Rossija“ wenig zu tun. Putin wurde zwar als Parteivorsitzender gewählt. Er ist aber immer noch kein Parteimitglied. Putin ist also nicht Gleicher unter Gleichen sondern so etwas wie ein Auserwählter. Am Montag beschlossen die Delegierten zudem das Amt des Parteivorsitzenden vom Tagesgeschäft zu entlasten. Putin hat zwar das entscheidende Wort bei den Personalentscheidungen in der Partei, kann sich aber ansonsten voll auf die Regierungsarbeit konzentrieren. Die Tagesgeschäfte von „Einiges Russland“ wird der bisherige Parteivorsitzende Boris Gryslow weiterführen, nur diesmal in der Funktion als Vorsitzender des Parteirates. Neben Putin wird es in Russland mit dem gewählten Präsidenten Dmitri Medwedjew in Zukunft noch einen zweiten „Auserwählten“ geben. Medwedew, der am 7. Mai sein Amt als Präsident antritt, erklärte auf dem Parteikongress, die Führung von „Einiges Russland“ habe ihm die Mitgliedschaft in der Partei angeboten. Für seine Mitgliedschaft sei es jedoch „zu früh“. Als zukünftiger Präsident Russlands wolle er sich keiner Partei anschließen.Laut Verfassung bildet der Ministerpräsident die Regierung. Bei der Ernennung der Minister hat der Kreml-Chef aber das letzte Wort. Die Politologin Olga Kryschtanowskaja sagte der Internetzeitung Gazeta.ru, zwischen Putin und Medwedew herrsche jetzt „Parität“. „Putin wird sich als Parteivorsitzender um alles kümmern, um die Mehrheit in der Duma und im Föderationsrat, in den regionalen Parlamenten und die anderen Machtorganen, wie den Rechnungshof, die Generalstaatsanwaltschaft und die Zentralbank.“ Die Zeitung „Kommersant“ verglich die Wahl Putins mit der Situation in Großbritannien, wo es „dekorative“ Monarchen gibt, die „reale Macht“ aber beim Regierungsoberhaupt liegt.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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