Russland

RUSSLANDS ARBEITER MACHEN MOBIL

Westliche Konzerne wie Renault und VW profitieren in Russland von niedrigen Löhnen – und tun sich schwer mit Gewerkschaften(n-ost) – „Tretet in die Gewerkschaft ein. Es ist die einzige Kraft, die Eure Interessen schützt“, ruft Pjotr Podiwilow über eine selbstgebaute Lautsprecheranlage. Etwa 30 Leute haben sich vor der Fabrik „Aftoframos“ im Südosten Moskaus versammelt. Hier wurde früher der legendäre Sowjet-Kleinwagen „Moskwitsch“ gebaut. Heute gehört das Werk mit seinen 2.500 Mitarbeitern der französischen Firma Renault, die in den Riesen-Hallen eine Endmontage für den
Kleinwagen „Logan“ aufgebaut hat. Seit einem Jahr versucht der 33-jährige Podiwilow in dem Betrieb eine unabhängige Gewerkschaft aufzubauen. 200 Leute hat er schon zusammen. Doch die Unternehmensleitung wolle keine Gewerkschaften im Betrieb, schimpft der Qualitätskontrolleur. „Die haben eine Anweisung aus Frankreich bekommen.“ Jetzt hat sich Podiwilow Unterstützung geholt. Mitglieder linker Gruppen sind gekommen. Sie halten rote Fahnen in die Höhe und fordern auf Schildern höhere Löhne und das Recht auf Streik. Die jungen Flugblattverteiler mühen sich redlich, die Arbeiter, die zum Schichtende das Werk verlassen, in ein Gespräch zu verwickeln. Doch nur wenige Bandarbeiter bleiben stehen. Wer an einer Kundgebung vor dem Werk teilnimmt, riskiere die Kündigung, erzählt Podiwilow. Die meisten Malocher ziehen mit eingezogenem Kopf weiter. Man weiß nicht genau, ob es der Wind ist, der den Autowerkern die Schneeflocken ins Gesicht treibt oder die Angst aufzufallen, denn in Sichtweite der Gewerkschaftsaktivisten stehen zwei Autos mit heruntergelassenen Fensterscheiben. „Die filmen“, meint Dmitri (Name geändert), einer der jungen Gewerkschafter, der selbst am Band arbeitet. Dmitri geht im Monat mit 20.000 Rubel (555 Euro) nach Hause, 16.000 Rubel Grundlohn und 4.000 Rubel Prämie. Der 24-Jährige meint, für die schwere Bandarbeit sei das zu wenig. Moskau sei bekanntlich die teuerste Stadt der Welt. Aber es ist nicht nur der Lohn, über den sich Dmitri ärgert. In der Fabrik liege vieles im Argen. Die Unternehmensleitung habe die Info-Tafel der unabhängigen Gewerkschaft abgenommen. Die Arbeiter seien zum Mittagessen aus der Kantine verbannt worden. Angeblich wollten die Angestellten nicht mit den Arbeitern Essen. Was schwerer wiegt: Die Betriebsleitung vertusche Arbeitsunfälle, erzählt Dmitri. Als vor ein paar Tagen ein Kanister mit giftigem Lösungsmittel auslief und sich Arbeiter mit Vergiftungserscheinungen beim Betriebsarzt meldeten, sei dieser angewiesen worden, keine Vergiftungsfälle zu registrieren.
Renault-Sprecherin Oksana Nasarowa bestreitet alle Vorwürfe. Die unabhängige Gewerkschaft im Betrieb werde in keiner Weise behindert. Außerdem gäbe es im Unternehmen noch einen Betriebsrat. Druck auf die Gewerkschafter habe es nicht gegeben hat. Diese seien wohl gescheitert, weil die Arbeiter in sozialistischen Zeiten schlechte Erfahrungen mit Gewerkschaften gemacht hätten. Der Vorfall mit dem Lösungsmittel werde jetzt genau untersucht. Einige Arbeiter seien krankgeschrieben worden. Eigentlich sind die Bedingungen für die russischen Gewerkschaften nicht schlecht, denn der russische Automarkt boomt. Neben Renault haben viele andere westliche Autoproduzenten, darunter Größen wie Ford, Volkswagen, General Motors, Toyota und Nissan im Raum Moskau und St. Petersburg Produktionsstätten für die Endmontage aufgebaut. Doch in keinem Autowerke sei es dem Gewerkschaftsdachverband FNPR bisher gelungen, eine Organisation aufzubauen, klagt der Chef der russischen Automobil-Arbeiter, Viktor Gorenkow; auch nicht im neuen Werk von Volkswagen.Der deutsche Konzern baut in der Stadt Kaluga, südlich von Moskau, eine Endmontage auf. Täglich werden bereits im Vierschicht-Betrieb 160 Fahrzeuge montiert. Vom Band laufen die Modelle Passat, Jetta und Skoda Octavia. Die Arbeiter bei VW gehen im Monat mit umgerechnet 416 Euro nach Hause. Das VW-Werk startete mit Leiharbeitern. Wer sich bewährt, wird nach sechs Monaten übernommen, muss aber nach Angaben der russischen Gewerkschaft dann noch einmal eine Probezeit von sechs Monaten bestehen. Das Unternehmen wollte sich zu den Details dieser Regelung nicht äußern. Zurzeit arbeiten bei VW in Kaluga 450 Mitarbeiter, knapp die Hälfte sind Leiharbeiter. „Wir arbeiten auf der Grundlage der Sozialpartnerschaft“, stand in einem Brief der Automobilarbeitergewerkschaft AFW an Friedrich-Wilhelm Lenz, den VW-Direktor von Kaluga. Man wolle als Gewerkschaft bei Volkswagen gute Beziehungen zur Unternehmensleitung aufbauen. „Doch der Brief blieb unbeantwortet“, sagt Anatoli Sawin, AFW-Gewerkschaftssekretär, der in der Stadt  Kaluga ein Büro hat. „Das Unternehmen lehnt den Kontakt mit uns ab.“VW-Unternehmenssprecher Christoph Adomat weist dagegen den Verdacht zurück, das Weltunternehmen VW halte die Gewerkschaften im Wild-Ost-Kapitalismus auf Distanz. „VW legt großen Wert auf die Wahrung von Arbeitnehmerrechten. Aus diesem Grund wird VW zu gegebener Zeit mit den russischen Gewerkschaften Gespräche führen“, beteuert Adomat. Und der Generalsekretär des VW-Welt-Konzernbetriebsrates, Michael Riffel, erklärt, man habe ein „großes Interesse“, dass es in Kaluga einen Betriebsrat gibt. „Wir nehmen diese Sache sehr ernst“. Die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und etriebsräten sei auch in anderen ausländischen VW-Werken, wie beispielsweise in Südafrika und Brasilien, eine Selbstverständlichkeit. Zu dem Zeitpunkt, wo in Kaluga nur Leiharbeiter beschäftigt waren, hätte man – so Riffel - noch keinen Betriebsrat gründen können. Ende Mai soll nun in einer Konferenz die VW-Sozialcharta und die Mitbestimmungsvereinbarungen des Konzerns vorgestellt werden. Zu der Veranstaltung will man Gewerkschafter und Kommunalpolitiker einladen. VW hat Großes vor. Von Kaluga aus will man den russischen Markt erobern. Arbeitsplätze in Deutschland sind angeblich nicht bedroht. Im Gegenteil: Durch die Lieferung von Einzelteilen aus dem sächsischen Zwickau, Puebla (Mexico) und Mlada Boleslav (Tschechien) in das russische Werk würden in den Herstellerländern Arbeitsplätze geschaffen, heißt es von Seiten des in Deutschland ansässigen Gesamtbetriebsrates. Doch die Zulieferung wird nur bis 2010 von Bedeutung sein. Bis dahin soll in Kaluga die komplette Fertigungskette aufgebaut werden, mit Presswerk, Karrosserie-Bau und Lackiererei. Dann will man mit 3.000 Mitarbeitern 150.000 Autos im Jahr ausschließlich für den russischen Markt produzieren. Niedrige Löhne sind weiterhin ein wichtiges Argument für die Ansiedlung westlicher Konzerne in Russland. Allerdings gehen die Zeiten schwacher Arbeitnehmervertretungen zu Ende. Bei Ford in St. Petersburg, wo jährlich 75.000 Autos der Marke Focus vom Band laufen, setzten die Arbeiter Ende 2007 in einem vierwöchigen Streik bereits Lohnerhöhungen zwischen 16 und 21 Prozent und einen monatlichen Durchschnittslohn von umgerechnet 710 Euro durch. Es war tatsächlich der längste Streik seit dem Zerfall der Sowjetunion, die Medien berichteten ausführlich. Streikführer Aleksei Etmanow wurde sogar zu einem landesweit bekannten Arbeiterhelden. Ein Grund mehr, warum auch Dmitri vor dem Renault-Werk Moskau unerschütterlich sein Schild weiter hoch hält: „Für ein richtiges Mittagessen.“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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