Russland

NUR BEDINGT TAUGLICH

Unter Putin vervierfachte sich der Wehretat / Dennoch ist der Zustand der russischen Armee weiter beklagenswert(n-ost) – Russland ist wieder stark. Das war die Botschaft der großen Militärparade auf dem Roten Platz, bei der am 9. Mai erstmals seit 18 Jahre wieder moderne Panzer und Topol-Atomraketen aufgefahren wurden. Die Zeiten, in denen Flugzeugträger verkauft wurden und Piloten wegen fehlender Finanzen nur einmal im Jahr trainieren konnten, sind vorbei. Russland gibt wieder Unsummen für seine Streitkräfte aus – unter Putin wurde das Militärbudget dank Öl- und Gaseinnahmen vervierfacht. Es wurden neue Mig- und Suchoi-Kampfflugzeuge angeschafft. Viel Geld wird auch für neue Atomwaffen ausgegeben. Auch die Panzer-Truppen und die Flotte soll erneuert werden. Und Russland arbeitet an einem eigenen satellitengestützten Navigationssystem, das auch von den normalen Bürgern genutzt werden kann. Russland hat nach China, den USA und Indien mit 1,2 Millionen Soldaten die viertgrößte Armee der Welt. Doch auch wenn die Soldaten nun neue Uniformen von einem bekannten Moskauer Star-Designer auftragen - von alter Stärke ist die Armee noch weit entfernt. Mit einem Verteidigungshaushalt von 40 Milliarden Dollar im Jahr liegt Russland weltweit auf Platz sieben. Zum Vergleich: Der US-Verteidigungshaushalt umfasst 583 Milliarden Dollar, der Verteidigungshaushalt Deutschlands liegt umgerechnet bei 44 Milliarden Dollar.Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 geriet die Armee nicht nur in eine finanzielle sondern auch in eine geistige Krise. Die Generäle waren durch die vom Kreml betriebene Westöffnung des Landes verunsichert. Inzwischen hat man sich wieder gefangen und das Feinbild USA reaktiviert. Mit der Bildung der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit, dem neben Russland, Weißrussland und Armenien auch die vier zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören, versucht Russland seinen militärischen Einfluss in Eurasien zu erhalten. Verstärkt wird diese Strategie durch gemeinsame Militärmanöver mit China, die 2005 und 2007 stattfanden. Offiziell sind die Manöver dem Anti-Terror-Kampf gewidmet, doch im Grunde handelt es sich um Machtdemonstrationen gegenüber den USA. Der US-Plan für den Bau einer Raketenabwehr in Polen und Tschechien sowie der von Washington unterstützte Beitritt von Georgien und der Ukraine in die Nato ist für die Russen eine Bestätigung altbekannter Ängste. Eine vollständig antiwestliche Politik betreibt der Kreml jedoch nicht. So will man auch der Nato den Landkorridor für den Güternachschub nach Afghanistan öffnen.Der russischen Armee mangelt es zurzeit weniger an Geld als an ethischen Werten und klaren Zielen. Der wilde Kapitalismus in den 90er Jahren, als die Generäle ihre Soldaten als billige Arbeitskräfte an Firmen und zum Datschenbau ausliehen und der Tschetschenienkrieg, der praktisch ein Bürgerkrieg im eigenen Land war, hat zur Verrohung der Sitten in der Armee geführt.
Tausende Wehrdienstleistende werden Opfer der Dedowtschina, einer Hackordnung, bei der sich jüngere Jahrgänge den älteren bedingungslos unterordnen müssen. Im Jahre 2006 wurden nach offiziellen Angaben 6.700 Rekruten von Vorgesetzten misshandelt. 2007 setzten 224 Soldaten ihrem Leben selbst ein Ende. Das waren sieben Prozent mehr als 2006. Nach Einschätzung der russischen Organisation „Soldatenmütter“ sterben pro Jahr etwa 3.000 Wehrdienstleistende, ein großer Teil in Folge von Misshandlungen. Immer wieder kommt es zu Skandalen. Dem Wehrpflichtigen Andrej Sytschow mussten nach Misshandlungen in der Sylvesternacht 2005/2006 beide Beine amputiert werden. In St. Petersburg wurden Wehrpflichtige zur Prostitution gezwungen.Eltern, die es sich leisten können, kaufen ihre Söhne deshalb mit Schmiergeld vom Wehrdienst frei. Alle Forderungen der liberalen Opposition, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen und dafür eine Berufsarmee einzurichten, stoßen bei den Generälen auf taube Ohren. Das einzige, wozu sich diese haben durchringen können, war die Verringerung des Wehrdienstes von zwei bzw. eineinhalb Jahren auf ein Jahr. Doch die neue Regelung führt zu neuen Problemen. Jeder dritte Wehrpflichtige wird nach Angaben des stellvertretenden Generalstabschefs Wassili Smirnow aus Gesundheitsgründen als untauglich eingestuft. Und selbst unter den Einberufenen seien über die Hälfte nur bedingt tauglich.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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