Belarus

MENSCHENRECHTLER WOLLEN WAHL BOYKOTTIEREN

In Weißrussland wird in drei Monaten ein neues Parlament gewählt(n-ost) – Drei Monate vor der Parlamentswahl in Weißrussland hat die Menschenrechtsorganisation „Charta 97“ zu einem Wahlboykott aufgerufen. Für die Gegner von Staatspräsident Alexander Lukaschenko hat die weißrussische Repräsentantenkammer mit einer wirklichen Volksvertretung nichts zu tun. Sie ist viel eher ein verlängerter Arm der Präsidialverwaltung, ein Staatsorgan, in dem präsidententreue Politiker die Entscheidungen Lukaschenkos in Gesetze verwandeln. Deshalb ist die Parlamentswahl für die „Charta 97“ eine Farce – ebenso wie die Ankündigung Lukaschenkos, Oppositionspolitiker ins Parlament ziehen zu lassen. „Keine unnötige Legitimation dem Kämmerlein“, heißt ihre Devise mit Bezug auf das zur stillen Kammer verkommene Parlament.Diesem Aufruf folgen die wichtigsten weißrussischen Oppositionsparteien, die unter dem Dach der „Vereinigten Demokratischen Kräfte“ zusammenarbeiten, allerdings nicht. Sie wollen sich am Kampf um die Mandate in 110 Wahlkreisen beteiligen. Neben der Vereinigten Bürgerpartei gehören den Vereinigten Demokratischen Kräften so unterschiedliche Gruppierungen wie die national-konservative Belarussische Nationale Front (BNF), die sozialdemokratische Partei „Hramada“ und die Partei der Kommunisten Weißrusslands an. Ins Parlament einziehen will die Opposition aber nicht um jeden Preis. „Wir haben uns das Recht vorbehalten, unsere Kandidaten zurückzuziehen, wenn wir nicht zur Stimmauszählung zugelassen werden“, erklärte Anatoli Lebedko, Vorsitzender der liberalen Vereinigten Bürgerpartei, der Zeitschrift „Politika“ nach einem Treffen der führenden Oppositionspolitiker. Was mit der Zulassung zur Stimmauszählung gemeint ist, darüber gehen die Vorstellungen indes auseinander. Die Zentrale Wahlkommission, die in Weißrussland für die Durchführung von Wahlen zuständig ist, hat ihre Bereitschaft erklärt, Vertreter der Opposition „in beratender Funktion“ hinzuzuziehen. Dies ist den Vereinigten Demokratischen Kräften aber zu wenig. Sie verlangen, den Verlauf der Wahlen nicht nur zentral von Minsk aus, sondern auch in den Wahlkommissionen der einzelnen Wahlkreise beobachten zu können. Lidia Jermoschina, die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, lehnt dies bisher ab. Jermoschina zählt zu den hochrangigen weißrussischen Staatsfunktionären, die mit einem Einreiseverbot in EU-Länder belegt sind. Ihr wird die Beteiligung an den  massiven Wahlfälschungen in der Vergangenheit vorgeworfen.Neben Vertretern von Parteien werden in den kommenden drei Monaten auch weißrussische Menschenrechtsorganisationen den Verlauf der Wahlen überwachen. Rund 300 einheimische Experten, Juristen und Journalisten wollen sich daran beteiligen. Ein Einsatz, der nicht ohne Risiko ist. Denn wer im Staatsdienst beschäftigt ist, kann seinen Arbeitsplatz verlieren. Und das ist nicht die einzige Sanktionsmöglichkeit des Regimes. „Jede kritische Stimme eines unabhängigen Beobachters ist von einer Geld- oder Gefängnisstrafe bedroht“, sagt Stefanie Schiffer von der Organisation „Europäischer Austausch“ in Berlin. Der Europäische Austausch unterstützt die weißrussischen Wahlbeobachter dabei, ihre Ergebnisse international bekannt zu machen. Illusionen über die Wirkung der Wahlbeobachtung in Weißrussland  macht sich aber kaum jemand. „Die neuesten unabhängigen Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Befragten Wahlmanipulationen erwartet“, sagt Stefanie Schiffer. „Allerdings erklären nur wenige von ihnen sich bereit, für ihre Rechte auf der Straße einzustehen.“Welche Strategie Staatspräsident Lukaschenko bei den anstehenden Wahlen verfolgt, ist Gegenstand  vieler Spekulationen. Hoffnungen bei seinen Gegnern weckte Lukaschenkos jüngste Ankündigung, er könne sich vorstellen, einige Oppositionelle im Parlament zu sehen. Allerdings fügte der Präsident hinzu, dass das Volk diese ja doch nicht wählen werde. Also alles nur Rhetorik? Juri Drakochrust, politischer Kommentator der weißrussischen Redaktion von Radio Freies Europa, glaubt dies nicht. Für ihn hängt Lukaschenkos Taktik bei den Parlamentswahlen von der Außenpolitik ab: „Je schlechter die Beziehungen zu Moskau, je höher der Gaspreis, den Gazprom fordert, und je ernsthafter der Dialog von Minsk mit Europa, desto wahrscheinlicher ist es, dass es drei bis sieben oppositionelle Abgeordnete ins Parlament schaffen.“Das Anforderungsprofil für alle, die sich um einen Sitz in der Repräsentantenkammer bewerben wollen, hat Alexander Lukaschenko bereits beschrieben: „In das Parlament müssen arbeitsfähige Leute gewählt werden, die bereits irgendwo einen Acker umgepflügt, gebaut oder gelehrt haben“, sagte der weißrussische Präsident kürzlich vor Journalisten. „Wenn ihr Leute seht, die in ihrem Leben noch nicht einmal einen Pflock eingerammt haben, macht einen Bogen um sie.“ ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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