Ein optimistischer Realist / Interview mit Serhij Zhadan
Serhji Zhadan ist ein zierlicher, aber durchaus sportlicher junger Mann mit einem Lausbubenlächeln im Gesicht. Am Lenin-Denkmal auf dem noch immer vom Sowjet-Gigantismus geprägten Zentralen Platz im Herzen von Charkiw steht er mit einem schelmischen Grinsen. „Für mich kein Thema”, soll das wohl heißen. Warum der Osten nicht Osten bleiben soll und welche Rolle die Kunst dabei spielt, erzählt er im Interview.
Poet und Prosaiker – Serhij Zhadan / Getman/ Suhrkamp Verlag
ostpol: In einem früheren Interview haben Sie einmal gesagt, es sei eine ganz schöne Idee, wenn der Osten einfach der Osten bliebe und der Westen der Westen.
Serhji Zhadan: Das habe ich gesagt? Naja, unsere heutigen Politiker arbeiten mit diesem Ost-West-Thema. Meiner Meinung nach sind die Unterschiede nicht so stark, wie sie behaupten. Es ist eine Ukraine. Für mich wäre allerdings die Idee einer föderativen Ordnung interessant.
Sie betonen aber oft, dass Politik Sie nicht als Thema Ihrer Kunst interessiert. Was sind denn die Themen Ihrer Kunst?
Zhadan: Für mich ist das alltägliche Leben der Menschen, die hier wohnen, interessant. Ein bisschen hochtrabend könnte man das vielleicht als Realismus bezeichnen. Es geht mir um die Leute, die hier bleiben. Die nicht in den Westen gehen und die dieses Land aufbauen und dieses Leben verändern wollen. Das zählt für mich.
Das klingt recht positiv. Im Westen wird Ihre Literatur oft als düster beschrieben. Der Tod spielt in Ihren Büchern eine große Rolle.
Zhadan: Ich glaube, das ist ein Missverständnis. Wenn man in der EU wohnt und diese ganzen Mafia-Geschichten hört, dann wirkt das natürlich düster. Sicher gibt es in der Ukraine viele Probleme, viel Negatives, das ich beschreibe. Aber die wesentliche Tendenz ist optimistisch. Meine Altersgenossen zum Beispiel: Das ist die erste Generation, die etwas Eigenes aufbaut. Sicher, in den 90er-Jahren mussten diese Leute mit Kriminellen zusammenarbeiten. Hier ist viel Schreckliches passiert. Aber sie sind hier geblieben, und sie wollen etwas Gutes entwickeln. Darüber schreibe ich auch meinen neuen Roman, der nächstes Jahr fertig werden soll. Meine Literatur, das ist optimistischer Realismus, wenn man so will.
In der „Süddeutschen Zeitung” war zu lesen, dass die eigentliche Prüfung Ihres Talents noch ausstehe – nämlich ein größeres episches Werk zu schreiben.
Zhadan: Ja, das habe ich gelesen, und das hat mir gefallen. Es stimmt. Mein neuer Roman soll darauf eine Antwort geben.
Serhji Zhadan wurde 1974 in Starobilsk in der Ostukraine geboren, siedelte aber früh mit seinen Eltern nach Charkiw um. Dort studierte er Germanistik. In den frühen 90er Jahren lebte Zhadan in der Charkiwer Punk-Szene und gründete die Performancegruppe „Roter Wagen”.
Dabei tat er sich mit experimentellen Gedichten hervor, die ihm bald den Ruf eines „ukrainischen Rimbaud” einbrachten. Später wandte er sich auch der erzählenden Lyrik und der Prosa zu. Wichtigstes Thema seiner an Roadmovies erinnernden Romane ist das Leben der Jugend in der postsowjetischen Ukraine. In seinen Gedichten thematisiert Zhadan dagegen oft auch die existenziellen Fragen des Menschseins - die Fragen nach dem Woher und dem Wohin, nach Liebe und Tod.
Für die Kulturszene in der Ostukraine ist Zhadan, der über enge Kontakte in die Westukraine, aber auch nach Russland, Polen und Westeuropa verfügt, ein Glücksfall - regelmäßig organisiert das Multitalent Lesungen, Konzerte und andere Aufführungen.
Schreiben Sie nebenher auch weiter Gedichte?
Zhadan: Ja, sicher. Im vorigen Jahr habe ich einen Lyrikband geschrieben, mit dem Titel „Maradonna”. Da gibt es viele Balladen, genau über diese Mafia-Geschichten. Derzeit mache ich eine Koproduktion mit einigen Musikern – Rock und Lyrik.
Noch einmal zurück zur Politik. Sie fordern für die Ukraine, die oft als gespaltenes Land bezeichnet wird, eine förderative Ordnung – wie in Deutschland beispielsweise?
Zhadan: Ja, genau, mit Bundesländern oder etwas Vergleichbarem. Die Ukraine ist groß, und da wäre es gut, wenn die einzelnen Regionen jeweils ihre eigene Stimme bekämen.
Ist das realistisch?
Zhadan: Nein, nein. Die Idee ist bei uns nicht populär. Da heißt es dann immer gleich: Bist du Seperatist?
Welche Idee von der Ukraine ist denn populär?
Zhadan: Eine Idee, die das Land eint, gibt es nicht. Die einen wollen die Integration der Ukraine in die Europäische Union, die anderen wollen eine Annäherung an Russland.
Also ist die Ukraine doch gespalten zwischen Ost und West!
Zhadan: Nein. Denn für die einfachen Leute ist das ganze Thema unwichtig. Im alltäglichen Leben interessieren sie sich für diese Fragen nicht. Sie denken an ihre Arbeit, ihre Familien. Ich glaube auch nicht, dass das Ost-West-Thema wichtig ist. Meiner Meinung nach wäre es am besten, wenn die Ukraine neutral bliebe zwischen der Nato und Russland.Frage: Wie ist es um das nationale und kulturelle Selbstverständnis der Ukrainer bestellt?
Gibt es die eine ukrainische Nationalkultur?
Zhadan: Die hat sich entwickelt. Vor 10, 15 Jahren war die Situation hier in Charkiw zum Beispiel eine ganz andere. Das war eine russischsprachige Stadt. Jetzt gibt es hier eine ukrainische Kultur.
Verstehen denn hier alle ukrainisch?
Zhadan: Ja, sicher. Ich zum Beispiel spreche die ganze Zeit ukrainisch. Auch wenn auf den Straßen fast alle russisch sprechen. Aber zu Hause sprechen viele so eine Art Pidgin-Ukrainisch, eine russisch-ukrainische Mischsprache. Wichtig ist aber doch: Wenn du auf der Straße ukrainisch sprichst, gibt es keine Probleme, keine Aggressionen. Und in der Jugend wird das Ukrainische auch immer populärer. Die jungen Leute interessieren sich für ukrainische Musik, ukrainische Literatur und so weiter. Für mich ist das überhaupt kein Problem, dass die einen ukrainisch, die anderen russisch sprechen. Aber unsere Politiker machen auch daraus ein Problem!
Inwiefern?
Zhadan: Die prorussischen Politiker wollen das Russische als Amtssprache. Sie sagen: Wir müssen uns an Russland orientieren. Aber ich verstehe nicht, warum wir das müssen. Wo ist denn das Problem zu sagen: Der spricht russisch – o.k., das ist ein russischsprachiger Ukrainer? Die Politiker erzeugen künstliche Spannungen. Das ist nicht gut.
Welche Rolle spielen die Medien in dieser Situation?
Zhadan: Natürlich hat sich nach der orangenen Revolution manches zum Guten verändert. Aber wirklich frei sind unsere Medien nicht, denn sie gehören alle irgendwelchen Oligarchen und schreiben und senden nur, was die hören, sehen und lesen wollen.
Wo bleibt die journalistische Ethik?
Zhadan: Die ist total zerstört. Das gefällt mir überhaupt nicht. Und eine landesweite unabhängige Zeitschrift gibt es bei uns auch nicht. Das ist alles zersplittert. Aber immerhin wissen die Leute, dass die Medien nicht frei sind.
Und das Internet?
Zhadan: Das Internet ist frei, erreicht aber nur wenige Leute, ein bestimmtes Publikum.Frage: Spielen vor diesem Hintergrund Künstler und Intellektuelle eine größere Rolle in der Gesellschaft?Zhadan: Nein. Sie spielen nur eine marginale Rolle.
Untertreiben Sie da nicht? Zu den Lesungen und Konzerten, die Sie organisieren, kommen doch ziemlich viele Leute.
Zhadan: Wenn 400 Zuhörer zu meinen Lesungen kommen, dann ist das natürlich eine tolle Sache. Das ist viel für eine Lesung. Aber Charkiw hat zwei Millionen Einwohner. Da relativiert sich das. Die Autorität der Künstler in der Ukraine ist gering.