SOMMER AUF DER DATSCHA
Urlaub im Bungalow ist der Renner für Moskauer Familien, aber fast die Hälfte der russischen Kinder bleibt zu Hause(n-ost) – Schenja und Nikita, zwei zwölfjährige Moskauer Jungs, kommen gerade vom Fußballspielen und sind ziemlich aufgedreht. Montag soll es los gehen – auf die Datscha, wie jedes Jahr im Sommer. Überall im Moskauer Umland gibt es Datschen-Siedlungen. Man fährt ein, zwei Stunden mit dem Auto oder mit der Elektritschka, dem Vorortzug, und dann ist man in einer herrlichen Natur. Es gibt Wiesen, Wald und meist auch einen See oder Fluss zum Baden. In den Datschen-Siedlungen warten schon die Freunde, die man vom letzten Urlaub kennt. Die beiden Jungs werden Fußball spielen, baden oder durch den Wald streifen. Bären gibt es dort nicht, aber „Hasen und weiße Eichhörnchen“, erzählt Schenja. Ihre Eltern haben schon alles vorbereitet. „Um acht Uhr morgens geht es los“, erklärt Schenja. Der Hund kommt auch mit. „Als ich klein war, dachte ich, die Datscha wäre weit entfernt. Aber so weit weg ist sie gar nicht“, weiß der Zwölfjährige jetzt. So wie Schenja und Nikita auf der Datsche machen 15 Prozent der russischen Kinder Urlaub.Die anderen Kinder fahren mit ihren Eltern ans Schwarze Meer (sieben Prozent) oder an andere Orte in Russland (fünf Prozent), sie fahren ohne ihre Eltern zu den Großeltern oder anderen Verwandten (sechs Prozent). Nur zwei Prozent der Kinder fahren mit ihren Eltern ins westliche Ausland. Weniger als ein Prozent der Kinder fährt alleine ins westliche Ausland. Fast die Hälfte der russischen Kinder (45 Prozent) bleibt im Sommer zu Hause. Der Grund: Die Haushaltskasse ist knapp.Wlad, ein Freund von Schenja und Nikita, fährt dieses Jahr in ein Ferienlager seiner Schule auf die Krim. „Ich werde im Schwarzen Meer baden“ freut er sich. Die Reise bezahlt der Staat. Wlad gehört zu den zehn Prozent der russischen Kinder, die nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungs-Instituts in ein Ferienlager fahren. Wlads Eltern brauchen nichts zu zahlen, können aber auch keine großen Ansprüche stellen. Für Eltern, die ihren Kindern einen Aufenthalt in einem Ferienlager bezahlen können, ist die Auswahl dagegen groß. Es gibt Lager mit verschiedenen Schwerpunkten, Sport, Sprachen, Literatur und Abenteuern. Die Lager kosten – je nach Angebot und Ausstattung – zwischen 100 und 1.000 Euro. Aber nur wenige Eltern können es sich leisten, ihr Kind zu einem Sprachkurs ins westliche Ausland zu schicken, denn das ist noch teurer.Die 35-jährige Tatjana hat ihre 13-jährige Tochter Polina für 20 Tage in ein Ferienlager geschickt. Polina hat ein Handy mitgenommen und gerade gemeldet, dass sie schon neue Freunde gefunden hat. „Der Austausch unter den Kindern ist das Wichtigste“, sagt die Mutter, „wichtiger als die Spiele und Ausflüge, die man dort veranstaltet.“ Den Urlaub für Polina zahlt der Staat, weil die Mutter, Tatjana, alleinstehend ist. „Manchmal erinnert sich die Sozialbehörde an mich“, erzählt die Mutter, halb zufrieden mit dem Engagement der Behörde. „Der russische Staat kümmert sich nicht so gut wie ich es mir wünsche, aber er kümmert sich.“Lila, ein Mädchen mit langen schwarzen Locken, ist 13 Jahre alt. Von ihren 28 Klassenkameraden fahren fünf ins Ausland. Lila erzählt, dass sie einen Monat zur Oma nach Odessa fährt und danach mit der Mutter zwei Wochen nach Griechenland. Darüber, ob das teuer ist, macht sich Lila kaum Gedanken. „Wenn meine Mutter nach Griechenland fahren kann, wird sie wohl genug Geld haben“, sagt sie kokett. Ihre Mutter ist Buchhalterin, der Vater Jurist. Lila ist ein Einzelkind. Weil ihre Eltern Geld verdienen, fährt Lila nicht ins Ferienlager. In die kostenlosen Ferienlager der Schulen fahren nur die Kinder, die sonst keine andere Möglichkeit haben, sagt Lila. Außerdem hat sie genug von diesen Lagern. „Ich war mal in so einem Lager in der Nähe von Moskau. Das war im Herbst. Es war kalt und es regnete die ganze Zeit. Es war nicht so interessant wie im Ausland. Meine Freundin war auf einem Lager für Kinder in Kroatien. Das hat ihr sehr gut gefallen.“ „Artek“, das berühmte Ferienlager an der Südküste der Krim, wo Kinder zu Sowjetzeiten nur über ein strenges Auswahl-Verfahren hinkamen, ist immer noch in Betrieb. Allerdings hat das Lager große Schulden, deshalb ist derzeit nicht klar, wie es weiter geht. Die Immobilien-Firmen äugen längst gierig auf das 200 Hektar große Areal mit verschiedenen Kinderdörfern, Schwimmbädern, Sportplätzen und dem acht Kilometer langen Strand. Im letzten Jahr kamen 17.000 Kinder zur Erholung dorthin, etwa ein Drittel davon aus Russland. 1.500 Mitarbeiter kümmern sich um das Wohl der Kinder. Das Lenin-Denkmal auf dem „Artek“-Gelände steht immer noch. Man würde den 42 Meter hohen Klotz – angeblich der höchste höchste Lenin in der Ukraine – ja gerne demontieren, aber es fehlt das Geld. Und so, wie Lenin noch immer dort thront, scheint auch die Zeit in dem Lager stehen geblieben zu sein. Die Kinder in „Artek“ singen immer noch Lieder von einer glücklichen Kindheit und ewiger Freundschaft. Sie gucken immer noch verträumt in das Lagerfeuer. Und sie tragen immer noch Halstücher, weiße, blaue und türkisfarbene. Die Preise für einen Urlaub im Ferienlager „Artek“ indes sind happig und beschränken den Zugang. Der Aufenthalt dort kostet zwischen 600 und 2.500 Euro. Doch der hohe Preis schreckt die Eltern nicht. „Artek“ hat immer noch einen guten Ruf. Viele Eltern, die ihre Kinder dorthin schicken, träumten selbst einmal davon, dort ihre Ferien zu verbringen.Unter älteren Jugendlichen ist Aktiv-Urlaub auf eigene Faust beliebt. So auch bei drei Studenten der Moskauer Universtität. Die beiden Jungens und das Mädchen tragen Base-Caps und weite Hosen im Militär-Look. „Wir fahren mit dem Fahrrad ins Moskauer Umland und grillen uns dort Schaschlik.“ Das Mädchen erzählt, sie arbeite neben dem Studium an der Uni und verdiene im Monat 3.000 Rubel (80 Euro). Damit kann sie natürlich keine großen Sprünge machen. Da springen dann wieder die Eltern ein. Die drei Studenten wollen mit ihnen nach Sotschi und auf die Krim fahren. Wahrscheinlich, so hoffen sie, auf Kosten der Eltern. Viele Moskauer Studenten, insbesondere die, die Abendkurse besuchen oder zu Hause studieren, verdienen nebenbei Geld. Davon können sie etwas sparen, wenn sie noch bei den Eltern leben. Viele finanzieren sich so einen Urlaub in Ägypten, der Türkei, Kroatien oder Griechenland. Begehrte Reiseziele bei jungen Leuten sind auch Goa in Südindien oder Nepal. Ein Drei-Sterne-Hotel in Goa kostet für zehn Tage 500 Euro. Das kann sich auch ein Moskauer Student, der nebenbei jobbt, schon leisten. Ganz Verwegene trampen sogar nach Nepal.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0