Polen

VERTAUSCHTE MÄDCHEN FORDERN ENTSCHÄDIGUNG

(n-ost) – Es ist eine Geschichte wie aus einem amerikanischen Roman: Zwei Babys werden nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht, sie wachsen in fremden Familien auf, erst nach Jahren erkennen die Eltern ihre tatsächlichen Kinder.  Aber diese Geschichte ist  nicht erfunden. Sie wurde zu einem schmerzhaften Erlebnis für zwei polnischen Familien und deren Töchter.1983 kommen in zwei Warschauer Krankenhäusern am selben Tag die Zwillingsmädchen Katarzyna und Nina sowie das Mädchen Edyta zur Welt. Drei Wochen später landen alle drei Babys wegen Lungenentzündung in demselben Krankenhaus, auf der Station für ansteckend kranke Kinder. In dieser Zeit, erzählen die Eltern der Zwillingsschwestern, haben sie ihre Kinder nur durch eine verglaste Wand sehen dürften. Als die Eltern aus den beiden Familien ihre Töchter zwei Wochen später abholen, nehmen sie jeweils ein Kind mit, das nicht ihr eigenes ist. Wahrscheinlich, wird heute vermutet, wurden die Kinder beim Baden vertauscht, nachdem jemand von Personal die Identifikationsarmbänder auf den Händen der Kinder falsch platziert hatte. Fakt ist, dass ein Mädchen mit einem behinderten Fuß ins Krankenhaus eingewiesen wurde, es aber vollkommen gesund verlassen hat. Der Verdacht einer Mutter, dass etwas nicht in Ordnung ist, wird vom Personal schnell beiseite geschoben. Die Gesundung des Mädchens sei ein Resultat der hervorragenden Rehabilitation, heißt es. Dass sich die Zwillingsschwestern immer weniger ähneln, könne bei zweieiigen Zwillingen passieren, wird den Eltern erklärt. Und so wachsen Edyta als Nina und Nina als Edyta bei fremden Eltern auf.Erst 17 Jahre später werden die Familien mit der Wahrheit konfrontiert. Beide Familien wohnen in Warschau, alle Mädchen gehen dort zur Schule. Schulkameraden von Edyta geben den entscheidenden Hinweis: Sie finden es so lustig, dass sie ein neues Mädchen kennengelernt haben, das wie Edytas Doppelgängerin aussieht. Es ist Katarzyna. Sie organisieren ein gemeinsames Treffen. Die Ähnlichkeit der beiden Mädchen ist tatsächlich verblüffend. Im Jahr 2000 treffen sich die beiden Mädchen und ihre Familien zum ersten Mal. Die daraufhin durchgeführten DNA-Untersuchungen sind eindeutig. Als die Vermutungen durch Ermittler bestätigt werden, ziehen die Familien beider Mädchen vor Gericht. Sie verlangen eine Entschädigung vom Krankenhaus und dem Staat als Eigentümer des Krankenhauses sowie von der regionalen Verwaltung und dem zuständigen Ministerium.300.000 Zloty (ca. 98.000 Euro) Entschädigung für jedes betroffene Familienmitglied – eine Summe, die Experten für relativ niedrig halten. Es sei schwer einzuschätzen, welche langfristigen psychischen Folgen die Verwechslung haben könne, begründen sie. Zusätzliche rechtliche Probleme könnte der Status der beiden jungen Frauen auch in Zukunft verursachen, zum Beispiel beim Erben. Erben sie von den biologischen oder den sozialen Eltern? Welche Namen sollen sie tragen?Die Geschichte der Mädchen und ihrer Familien hat kein Happy End á la Hollywood. Nach dem ersten Glück der wiedervereinten Familien treten bald Probleme auf. Die beide Mütter sind seit der Entdeckung der Geschichte in therapeutischer Behandlung. Katarzyna und Nina (in Wirklichkeit Edyta) brechen die Kontakte mit Edyta (Nina) ab. Die wiederum vernachlässigt nach ein paar Jahren nicht nur ihre Kontakte mit den biologischen, sondern auch mit den Eltern, die sie aufgezogen haben.In einem Interview erklärte der Vater der Zwillingsschwestern kürzlich, die gegenseitige Beziehung sei gut, aber man entferne sich immer weiter voneinander. Vor vier Monaten hat Nina ein eigenes Kind geboren. Noch im Kreißsaal wünscht sie sich ausdrücklich zwei Identifikationsarmbänder für ihr Baby. „Damit meinem Kind nicht das passiert, was mir passiert ist“, sagt die junge Frau.
ENDE

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