Polen

PATRIOTS FÜR DAS SCHILD

(n-ost) – Nach mehreren Verhandlungsrunden haben sich Polen und die USA über das geplante Raketenabwehrsystem verständigt. Washington erklärte sich bereit, auf die Forderungen Polen einzugehen. Dazu habe der Konflikt in Georgien beigetragen, verlautete in der Nacht zu Freitag aus Regierungskreisen. Als erste Folge der Vereinbarung fror Russland seine Beziehungen nach Warschau ein.„Polen hat den Rubikon überschritten.“ – Mit Triumpf in der Stimme kündigte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk in der Nacht zu Freitag die Einigung mit den USA an. Nach anderthalb Jahren Verhandlungen wurde ein Kompromiss über das künftige Raketenabwehrsystem gefunden. In der Nacht unterzeichneten die Verhandlungsführer, der Pole Andrzej Kremer und sein amerikanischen Kollege John Rood, das Abkommen über den Schild – ein paar Stunden vor der riesigen Militärparade am Tag der Polnischen Armee am heutigen Freitag.Die Verhandlungen waren diesmal geheimer als je zuvor. Die vor den Türen eines Regierungshotels in Warschau versammelten Journalisten wussten noch nicht einmal, wer  wann im Hotel auftaucht. Sie konnten nur Limousinen mit dunklen Scheiben beobachten, die ständig vorgefahren sind. Kein einziges Wort drang während der zwei Tage aus dem Hotel, auch die polnischen Medien fütterten sich nur mit den Spekulationen und Andeutungen aus der Regierung. Erst gegen 21 Uhr am Donnerstagabend war es soweit: Die Abzeichnung wurde von Tusk bestätigt.Das Ergebnis wurde als Erfolg der polnischen Diplomatie dargestellt. Polen bekommt eine Abteilung Patriot-Luftabwehrraketen (solche, wie zurzeit in Ramstein, dem größten Stützpunkt der US Air Force außerhalb der USA, stationiert sind) mit 96 Patronen und eine verbindliche Sicherheitsgarantie: Die USA haben sich dazu verpflichtet, im Fall einer Aggression gegen Polen den Partner mit den gleichen Mitteln zu unterstützen, als wenn die USA selbst angegriffen würden. Ob sich die USA zur Unterstützung der weiteren Entwicklung der polnischen Armee verpflichtet haben und, wenn ja, in welche Höhe, wurde bisher nicht bekannt. Diese drei Forderungen wurden monatelang von den USA abgelehnt, was zu dem Scheitern der Verhandlungen Ende Juli geführt hatte. Das unerwartete Einlenken der Amerikaner sei ein Resultat des Konflikts in Georgien. „Nach dem russischen Angriff sehen die Amerikaner, dass Polen nicht nur durch Raketen von langer Reichweite gefährdet ist, sondern auch durch die von kurzer und mittlerer Reichweite“, sagte Verteidigungsminister Bogdan Klich. Und deshalb seien die Forderungen Polens nach  Patriot-Raketen vollkommen begründet. Diese Argumentation entlarve Beobachtern zufolge die offizielle Begründung für den Schild in Polen als fadenscheinig. Die Anlage sollte eigentlich der Abwehr iranischer Raketen dienen und ursprünglich nicht gegen Russland gerichtet sein. Mit dieser Begründung sind in der Vergangenheit stets die Proteste von Russland beantwortet worden. Kritik gegen die Einigung kam deshalb aus der oppositionellen linken Partei SLD. „Es ist nicht gut, dass die aktuellen Verhandlungen und Entscheidungen über den Raketenschild in einer russlandfeindlichen Atmosphäre verlaufen sind“, sagte der linke Politiker Wojciech Olejniczak am Donnerstagnachmittag. Das werde Polen nichts bringen, ganz im Gegenteil:  Die Einigung könne die Beziehungen mit Russland weiter verschlechtern. Die Regierung wies diese Vorwürfe zurück. Es gehe um die allgemeine Sicherheit Polens und Europas und nicht um eine Bedrohung gegen jemanden, so Außenminister Radoslaw Sikorski. „Nur böse Menschen haben Angst vor dem heutigen Abkommen“ sagte er.Trotz dieser Versicherungen folgten kurz nach der Unterzeichnung die Konsequenzen von russischer Seite. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte seinen für September in Polen geplanten Besuch ab. Die russische Regierung fror die Teilnahme an allen polnisch-russischen Arbeitsgruppen ein.Der Unterzeichnung des Vertrages von Polens Außenminister Radoslaw Sikorski und seiner US-amerikanischen Kollegin Condoleezza Rice ist noch für August vorgesehen. Doch damit ist der Weg für den Schild in Polen noch nicht frei. Das Dokument muss noch von den Präsidenten und Parlamenten ratifiziert werden. In Polen ist das mit Lech Kaczynski und den Sympathisanten des Abkommens im Parlament so gut wie sicher. Doch in den USA kann es schwer werden. Es ist nicht sicher, ob der Vertrag noch vor den Präsidentschaftswahlen ratifiziert werden kann. Bei einer späteren Ratifizierung kann es passieren, dass die Demokraten, wenn sie die Wahlen gewinnen, diese Politik nicht fortsetzen und kein Geld für den Systemausbau ausgeben. Während sich die polnische Regierung und Präsident Lech Kaczynski freuen, lassen sich die meisten polnischen Bürger nur schwer von dem Schild überzeugen. Auch der aktuelle Konflikt in Georgien ändert daran nicht viel. Immer noch sind noch über 60 Prozent der Polen gegen den Schild. Wenn schon ein amerikanisches Abwehrsystem in Polen, dann nur mit deutlichen Vorteilen für Polen, sowohl militärischen als auch wirtschaftlichen. Das fordern sogar die Unterstützer des Schildes. Der Gemeindevorstehender aus Redzikowo, Mariusz Chmiel, kündigt administrative Mittel an, um den Bau des Schildes zu verhindern. Die amerikanische Anlage soll ausgerechnet in seiner Gemeinde gebaut werden, fünf Kilometer östlich von Słupsk in Nordpolen. Chmiel ist in Polen vor einem Jahr bekannt geworden, als er einen Brief an Präsident Bush schrieb, nachdem die damaligen Regierung die lokale Behörde von Redzikowo vollkommen ignoriert hatte. Die Bewohner glauben, der Schild werde eine Gefahr und wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen. Die USA sollen den Plänen zufolge den lokalen Flughafen bekommen, zusammen mit dem umliegenden Grundstück, alles in Wert von ca. 450.000 Euro. Jetzt will Chmiel die Umweltbehörde einschalten, um zu prüfen, ob die Bauten nicht das Naturgleichgewicht in der Umgebung stören. Der Gemeindevorsteher hofft, die Amerikaner und die polnische Regierung damit von der unbeliebten militärischen Investition abzubringen.
ENDE

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