Russland

Ex-Yukos-Chef Chodorkowski bleibt in Haft

(n-ost) - Fünf Jahre sitzt Michail Chodorkowski, einst Russlands reichster Mann, nun schon hinter Gittern. Das soll nach dem Willen des Kremls auch so bleiben Am Freitag lehnte ein Gericht im sibirischen Tschita den Antrag auf vorzeitige Haftentlassung ab. Damit zerschlug sich die leise Hoffnung, der neue Kreml-Chef, Dmitri Medwedew, könnte den ehemaligen Öl-Magnaten begnadigen.Der 45-jährige ehemalige Chef des Öl-Konzern Yukos erklärte gegenüber den Richtern, er werde im Falle seiner Begnadigung nicht wieder in das Öl-Geschäft zurückkehren, sondern sich humanitären Projekten und seiner Familie widmen. Ein Schuldeingeständnis lehnte Russlands prominentester Häftling jedoch ab. Während der Verhandlung stand Chodorkowski in einem Metall-Käfig, wirkte aber entspannt und selbstbewusst.Die Staatsanwaltschaft hatte bereits im Juli ein neues Verfahren gegen den ehemaligen Yukos-Chef vorbereitet, wonach ihm weitere 22 Jahre Arbeitslager drohen. Angeblich soll Chodorkowski zusammen mit dem ehemaligen Mit-Eigner von Yukos, Platon Lebedew, das gesamte von den Yukos-Töchter-Unternehmen geförderte Öl im Wert von 18 Milliarden Euro durch falsche Deklarierung entwendet haben. Die Verteidigung beanstandete, dass die Staatsanwaltschaft ihr keine Einsicht in die von den Sicherheitsorganen beschlagnahmten Firmen-Unterlagen gewährt. Sie befürchtet, die Unterlagen könnten inzwischen gefälscht worden sein.Chodorkowski war nach einem Zerwürfnis mit dem Kreml im Oktober 2003 verhaftet und im Mai 2005 - trotz internationaler Proteste - wegen Steuerhinterziehung und Betrug zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Nach der Verhaftung wurde der Ölkonzern Yukos, der einen Wert von 40 Milliarden Dollar hatte, zerschlagen. Verschiedene Staatsunternehmen wie Rosneft und Gasprom erwarben die Yukos-Anteile -- unter zweifelhaften Umständen, wie Experten meinen.Nach dem russischen Strafrecht können Häftlinge, die die Hälfte ihrer Haftzeit verbüßt und sich gut geführt haben, aus der Haft entlassen werden. Das Gericht folgte der Argumentation des Staatsanwalts, wonach im Falle einer Begnadigung Fluchtgefahr bestehe und Chodorkowski Zeugen beeinflussen könne. Die Richter kritisierten auch, dass der ehemalige Öl-Magnat weiter jede Schuld bestreitet.Angesichts der internationalen Bedeutung des Falles liegt es nahe, dass der Kreml beim Begnadigungsverfahren ein Wörtchen mitgeredet hat. äInDie Entscheidung des Gerichts in Tschita zeigt, dass man den "Häftling Nr. 1", wie der ehemalige Öl-Magnat in Kreml-kritischen Medien genannt wird, weiter als abschreckendes Beispiel braucht. Alle Russen - nicht nur die Geschäftsleute - sollen sehen: So ergeht es einem, der versucht, am Kreml vorbei Politik zu machen.Für Experten ist klar, dass der Vorwurf Steuerhinterziehung nicht der wirkliche Grund für die Verurteilung des ehemaligen Yukos-Chefs ist. In den wilden 90er Jahren, als das Staatseigentum zu Billig-Preisen verscherbelt wurde, umgingen fast alle russischen Unternehmen die Steuergesetze. Zauderer und Angst-Hasen hatten in der Geburtsphase des neuen, russischen Kapitalismus keine Chance.Chodorkowski verbüßt seine Haftstrafe 6.000 Kilometer von Moskau entfernt, nahe der chinesischen Grenze. Zunächst war er in einem Arbeitslager in Krasnokamensk, dann in einem Gefängnis in Tschita, wo für den "Häftling Nr. 1" gleich ein ganzer Trakt hergerichtet wurde. Mit der Verbannung nach Sibirien verfolgte man offenbar die Absicht, die Berichterstattung über ihn zu erschweren. Seine Angehörigen kann Chodorkowski nur durch eine Glasscheibe sehen, Fragen von Journalisten nur schriftlich beantworten.Die Haft ist für Chodorkowski alles andere als einfach. Er kann zwar Zeitungen seiner Wahl lesen, doch die Lager-Leitung macht ihm das Leben schwer. Einmal musste der ehemalige Öl-Magnat in eine Strafzelle, weil man eine Anordnung der Justizverwaltung über die Rechte und Pflichten von Strafgefangenen bei ihm fand. Den Strafgefangenen ist der Besitz dieser Anordnung verboten. Ein andermal ging ein Mithäftling auf ihn los und schlug dem ehemaligen Öl-Magnaten die Nase kaputt. Trotz allem wirkt Russlands prominentester Häftling ungebrochen und körperlich fit. Chodorkowski macht regelmäßig Gymnastik.Die Karriere Chodorkowskis  ist - bis zu seinem Zerwürfnis mit Putin - typisch für viele russische Geschäftsleute. Ende der 1980er Jahre war Chodorkowski Komsomol-Funktionär in Moskau. In dieser Zeit machte er auch seine ersten Schritte als Unternehmer, als unter Gorbatschow die Gründung von Genossenschaften möglich wurde. Chodorkowski gründete 1988 eine Bank, die in der Gründerphase nach dem Zerfall der Sowjetunion unter dem Namen Menatep-Bank bekannt wurde.1995 kaufte Chodorkowski für 309 Millionen Dollar das angeschlagene Öl-Unternehmen Yukos, das der geläuterte Komsomolze bis zur Jahrtausendwende in den größten russischen Konzern verwandelte. Damit stieg auch das Selbstbewusstsein von Chodorkowski, dem man nach dem Macht-Antritt von Wladimir Putin Ambitionen auf das Amt des Kreml-Chefs nachsagte.Der Öl-Magnat begann oppositionelle liberale und kommunistische Duma-Abgeordnete zu sponsern. Er beklagte öffentlich die Korruption im Kreml und erklärte seine Symphatie für die Reform des russischen Systems von der Präsidial- zur Parlaments-Republik. Außerdem plante Chodorkowski den Verkauf von Yukos-Anteilen an den amerikanischen Ölkonzern Chevron. Zwischen Chodorkowski und dem Kreml stieg die Spannung.Mit der Verurteilung des Yukos-Chefs begann eine Kampagne zur Rückgewinnung der Kontrolle über den Energie-Sektor durch den Staat. Bei dem Öl- und Gas-Großprojekt "Sachalin II" erzwang Gasprom die Änderung der Eigentümerstruktur. Der Shell-Konzern, der die Aktienmehrheit hatte, musste 2007 Aktien an den Gasprom-Konzern verkaufen, der damit die Aktienmehrheit bekam.Der Kreml mischt sich seitdem immer wieder in die Angelegenheiten privater Unternehmen ein und droht mit exemplarischer Bestrafung. Im Fall des britisch-russischen Gemeinschaftsunternehmens TNK-BP führten die Auseinandersetzungen vor kurzem zur Flucht von TNK-BP-Chef Robert Dudley aus Russland. Als Premier Putin Ende Juli Export-Praktiken des Kohleminen-Betreibers Mechel kritisierte, sank der Wert des Unternehmens an der Börse innerhalb von Stunden um 30 Prozent. Experten befürchteten ein neuen "Fall Yukos". Putin hatte kritisiert, dass Mechel für seine Produkte in Russland doppelt soviel verlangt, wie auf dem Weltmarkt.Chodorkowskis Anwalt Juri Schmidt hat indes angekündigt, man werde in Berufung gehen. Über den zu erwartenden Urteilsspruch habe er sich "keine Illusionen" gemacht.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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