AUCH IN RUSSLAND GEHT DIE KRIEGSANGST UM
(n-ost) - Irina, eine 40jährige Mitarbeiterin einer PR-Agentur, ist über die angespannte Lage zwischen Russland und dem Westen beunruhigt. "Auf der Arbeit diskutieren wir gerade, ob es besser ist Geld in Rubel, Dollar oder einer Währung anzulegen. Natürlich sorgen sich die Menschen um ihre Kinder und Familien." Irina ist Einiges gewohnt. In den letzten 17 Jahren gab es häufig Spannungen, die beiden Tschetschenienkriege, Terror-Anschläge, die Finanzkrise. Die Russen rechnen - aus Erfahrung - immer mit allem Möglichen. "Ich bin immer in einer Anspannung", sagt Irina. Dann grinst sie und sagt: "In der Sowjetzeit wussten wir vieles nicht, deshalb war alles ruhig und schön".Kurz vor der Anerkennung von Abchasien und Südossetien glaubten bei einer Umfrage des Meinungsforschungs-Zentrums Lewada noch 48 Prozent der Befragten, dass die Spannungen wieder abklingen. Doch schon zu diesem Zeitpunkt meinten 35 Prozent der Russen, dass es jetzt eine "neue Runde im Kalten Krieg" gibt.Das Verhältnis zu den USA ist nach Meinung der Russen so schlecht wie schon lange nicht mehr. Nach einer Mitte August durchgeführten Umfrage des Lewada-Zentrums, waren im August 2004 -- also auf dem Höhepunkt des weltweiten Anti-Terror-Krieges -- 66 Prozent der Befragten der Meinung, dass es zwischen Russland und den USA "normale" bis "freundschaftliche" Beziehungen gibt. Mitte August 2008 waren nur noch 22 Prozent der Befragten dieser Meinung. Jetzt bezeichnen 67 Prozent der Befragten die Beziehungen zu den USA als "kühl" bis "gespannt", acht Prozent sogar als "feindlich".Noch schlechter als das Verhältnis zu den USA ist nach Meinung der Russen das Verhältnis zur Ukraine. Dass die Ukraine und Georgien eng mit den USA zusammen arbeiten, ist aus der Sicht der meisten Russen unverzeihlich. Mitte August 2008 bezeichneten 72 Prozent der Befragten die Beziehungen zur Ukraine als "kühl" bis "angespannt" und zehn Prozent sogar als "feindlich". Nur 15 Prozent der Befragten meinten, die Beziehungen seien "normal" bis "freundschaftlich",Über das, was im Krieg im Kernland Georgiens passierte, wissen die Menschen fast nichts. Das russische Fernsehen hat kaum darüber berichtet und der Kreml-kritische Radio-Sender "Echo Moskwy" sowie kritische Websites können diese Informationslücke nicht ausgleichen. Die beiden Studentinnen der Weltwirtschaft, Ina und Polina, haben nichts davon gehört, dass Flugzeuge den Flughafen von Tiflis bombardiert haben. "Möglicherweise handelte es sich um einen irrtümlichen Abwurf. Vielleicht war es aber auch eine Video-Montage der Amerikaner", meint Ina.Wladimir, ein 55 Jahre alter Fernmeldetechniker, hat keine Angst vor einer neuen Eiszeit. "Auf die westlichen Staaten habe ich keinen Hass." Warum Russland so weit in das georgische Kernland vorgerückt ist? "Russland schützte seine Bürger in Südossetien." Und warum besetzten die russischen Truppen Gori? Da kommen gleich Gegenfragen. "Warum besetzten die georgischen Truppen Zchinwali? Und warum sind USA-Truppen im Irak?"Dima, ein 25 Jahre alter Programmierer, glaubt, dass mit der Anerkennung von Abchasien und Südossetien der Konflikt mit Georgien beendet ist, denn die Abchasen und Osseten seien von Georgien unterdrückt worden. Warum die russischen Truppen soweit vorgedrungen sind? "Wenn es eine Aggression gibt, muss man den Ursprung dieser Aggression, Flughäfen und Kommunikationszentren angreifen, sonst werden sie russische Ziele angreifen." Wie er zu den Georgiern steht? "Das sind gute Leute. Das war keine Aggression der Georgier, sondern eine Aggression der georgischen Regierung."Ljudmilla, eine 60 Jahre alte ehemalige Buchhalterin, die jetzt als Hausfrau arbeitet, glaubt nicht, dass es zu einem neuen Krieg kommt. "Warum soll ich vor dem Westen Angst haben? Dort leben doch keine Dummköpfe." An dem Georgien Krieg habe Saakaschwili und Amerika Schuld. "Amerika sagt heute eine Sache und macht eine andere. Vor Bush junior war es besser."Dass der Einmarsch russischer Panzer in Georgien in Europa Ängste auslöste, können sich viele Russen nur sehr abstrakt vorstellen. Kein Wunder, denn die eigene Geschichte ist kaum bekannt. Nach einer im Februar durchgeführten Umfrage des Lewada-Zentrums, wussten 55 Prozent der Befragten nichts über den "Prager Frühling" und den Reformer Alexander Dubchek, der 1968 einen Sozialismus mit menschlichem Gesicht für sein Land wollte. 15 Prozent der Befragten meinen, sie hätten von dem Ereignis aus sowjetischen Zeitungen erfahren, 15 Prozent meinen, sie hätten erst in der Perestroika-Zeit - also ab Mitte der 1980er Jahre - und später von den Ereignissen in der Tschechoslowakei erfahren.Nur bei den Kindern gibt es offenes Mitleid für die Georgier. "Ich bin dagegen, dass man sich gegenüber der Zivilbevölkerung so brutal verhält," meint die 12jährige Lisa. Wer angefangen hat? "Ich glaube Georgien". Und die Georgier? "Die Georgier sind auch Menschen. Nicht alle von ihnen kämpfen." Hart und unversöhnlich geben sich dagegen viele Erwachsene. "Die Georgier haben sich eine Führung gewählt wie die Deutschen 1933", meint der Techniker Roman.Ein bestimmtes Meinungsbild von Georgien bekommen die Russen täglich vom Fernsehen eingetrichtert. Gnadenlos zeigt es alle Patzer und komischen Bewegungen von Saakaschwili, zum Beispiel wie er ungelenk einen Fußball ins Tor schießt, wie ihm die Haare wirr in die Stirn fallen und wie er - in eine Splitterweste gepackt - nervös zum Himmel guckt, wo russische Kampfflugzeuge kreisen. "Wann ist es mit diesem Saakaschwili endlich zu Ende", stöhnt eine Zeitungsverkäuferin, die schon Rentnerin ist. "Kann man ihn nicht einfach abknallen?" Wer sich gegen Russland erhebt, dürfe nicht mit Nachsicht rechnen.ENDE Nachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0