ZWISCHEN PROVOKATION UND DIPLOMATIE
(n-ost) - Nach dem Einmarsch russischer Truppen in Georgien trauen manche im Westen Russland weitere Invasionen zu. Neben den baltischen Staaten wird immer wieder auch die Krim genannt. Auf der Halbinsel im Schwarzen Meer, die Chruschtschow 1954 in einer Laune der Ukraine schenkte, sind heute 58 Prozent der Bevölkerung Russen, 24 Prozent Ukrainer und 12 Prozent Krimtataren. Das Außenministerium in Tiflis behauptete, auf der Krim würden bereits massenhaft russische Pässe ausgegeben. Doch Korrespondenten-Berichte von der Krim bestätigen diese Meldung nicht.Putin wies Befürchtungen, um die Krim könne sich ein Konflikt wie in Südossetien entwickeln, schroff zurück. Diese Frage "rieche nach Provokation", erklärte der russische Premier in einem Interview mit der ARD. Die Krim sei "kein kritisches Territorium". Dort habe es keinen "ethnischen Konflikt" gegeben. "Und Russland hat längst die Grenzen der heutigen Ukraine anerkannt."Doch was Kreml-Chef Dmitri Medwedew zwei Tage später in einem Interview mit russischen Fernsehkanälen erklärte, ließ aufhorchen. Priorität in der russischen Politik habe "der Schutz und die Würde unserer Bürger, wo sie sich auch befinden," erklärte Medwedew gegenüber den Kanälen Rossija, ORT und NTW. Für Russland gebe es Regionen, in denen man "besondere Interessen" habe. Dazu gehörten Länder, mit denen Russland "traditionell freundschaftliche" und "historisch besondere Beziehungen" pflege. Damit sind offensichtlich nicht nur Weißrussland, Armenien und die zentralasiatischen Republiken gemeint, sondern auch die Ukraine.Meinungsumfragen zufolge sind zwei Drittel der Menschen in der Ukraine gegen einen Nato-Beitritt. Deshalb muss derzeit nicht daran gezweifelt werden, dass Moskau die territoriale Integrität der Ukraine anerkennt. Dennoch gibt es Hardliner wie den Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow. Er hat bereits das achte Sanatorium auf der Krim gekauft und betont bei jeder Gelegenheit, Sewastopol sei eine russische Stadt, die man der Ukraine nicht überlassen könne. Politiker wie er stützen sich mit ihren Äußerungen zwar auf eine weit verbreitete Stimmung in der russischen Bevölkerung, bestimmen aber bisher nicht die Kreml-Politik.Doch die Debatten unter Moskauer Politologen sorgen im Westen für Unbehagen. Zwar gebe es für einen Kalten Krieg heute "keine Grundlage", sagte der Kreml-nahe Politologe Sergej Markow gegenüber Radio "Echo Moskwy". Zwei "unterschiedlichen Ideologien" wie früher gebe es nicht. Russland strebe auch nicht, wie die Sowjetunion, nach der "Führerschaft in der Welt". Jedoch erinnere die Situation an das Jahr 1914, "als niemand den Ersten Weltkrieg wollte."Russland sei in einer ungünstigen Lage, umgeben von "einem Kreis feindlicher, von außen gesteuerter Regime", in denen die Russen "benachteiligt" würden, denn nach Lettland und Estland würden nun auch die Russen in der Ukraine in ihren Bürgerrechten beschnitten. Wer dieser Argumentation folgt, könnte die Russen in der Ukraine durchaus als Druckmittel gegen einen NATO-Beitritt sehen.Auch Fjodr Lukjanow, der liberale Chefredakteur der Zeitschrift "Russland in der globalen Politik", gibt für die nahe Zukunft keine Entwarnung. Die USA seien mit ihrem Anspruch, die Welt zu führen, in eine "Falle" geraten. Nach der militärischen Niederlage des georgische Präsidenten Michail Saakaschwili könne Washington die "jungen Demokratien" nun nicht hängen lassen. Und wenn die NATO für Georgien und die Ukraine keine Sicherheitsgarantien übernehme, müsse die USA dies tun, um nicht das Vertrauen der "neuen Demokratien" zu verlieren. "Militärische Garantien" der USA für Tiflis und Kiew würden in Moskau aber auf noch größeren Widerstand stoßen als eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens.Der Einmarsch russischer Truppen in Georgien war vor allem ein Signal an die Nato, Georgien und die Ukraine nicht aufzunehmen. Die Befürchtungen in Europa, Moskau werde nun auch die Unabhängigkeitsbewegungen in Berg-Karabach und Transnistrien stärken, bewahrheiteten sich nicht. Um das Ziel, ein weiteres Heranrücken der NATO an die Grenzen Russlands zu verhindern, stehen Moskau noch andere Mittel zur Verfügung.So versucht Moskau auf die Regierungen in Aserbaidschan und der Moldau-Republik Einfluss zu nehmen. Aserbaidschan wurde angeboten, Gas zum Weltmarktpreis zu kaufen. Und am 25. August - einen Tag, bevor Russland Abchasien und Süd-Ossetien anerkannte - überredete Kreml-Chef Medwedew den Präsidenten der Republik Moldau, Wladimir Woronin, bei einem Treffen in Sotschi, die Verhandlungen mit den Separatisten der international nicht anerkannten Transnistrien-Republik wieder aufzunehmen. Moskau möchte, dass sich Moldau auf Neutralität verpflichtet und kein Mitglied der Nato wird.Am 3. September traf Medwedew auch Igor Smirnow, den Präsidenten der Republik Transnistrien. Der störrische Smirnow wurde daran erinnert, dass seine Republik bei Russland Gas-Schulden in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar hat. Der Fingerzeig wirkte. Smirnow gab sein Einverständnis zu Verhandlungen mit der Regierung in der moldauischen Hauptstadt Cisinau.Moskau wolle die internationale Verhandlungsgruppe zum Transnistrien-Konflikt wieder beleben, berichtete der "Kommersant". Dazu gehören Russland, die Ukraine, die OSZE, Moldau, Transnistrien, die USA und die EU. Mit diesem Vorgehen, so das liberale Moskauer Blatt, wolle der Kreml der Welt demonstrieren, "dass es in der Lage ist, Territorialkonflikte mit politischen Mitteln zu lösen."ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0