"Bitte nicht dramatisieren"
Finanzkrise lässt Löhne in Russland sinken / Starke Einbrüche beim Automobilbau und im Bausektor (n-ost) – Aus Angst vor den Auswirkungen des Kurssturzes an der Wall Street hatte man die Börsen in Moskau am Freitag erst gar nicht geöffnet. Das ist in der russischen Hauptstadt schon nichts Neues mehr. Seit die Finanzkrise wütet, wurde der Aktienhandel schon mehrmals ausgesetzt, um extreme Kurs-Schwankungen zu verhindern, wie die Aufsichtsbehörde erklärte. Die russische Regierung hat bereits 190 Milliarden Dollar ausgegeben, um den Finanzmarkt zu stabilisieren. Systembildende große Banken werden mit öffentlichen Geldern gestützt. Geholfen hat es bisher nichts. Manche Privatbanken kollabieren bereits. Am Mittwoch wurde die in Not geratene Investmentbank Kit Finanz für symbolische 100 Rubel (2,7 Euro) von der russischen Staatsbahn RZD und dem Diamantenförderer IG Alrosa aufgekauft. Die russische Führung gibt sich angesichts der Finanzkrise demonstrativ gelassen. Man verweist auf die staatlichen Rücklagen aus dem Öl- und Gasgeschäft und hat offenbar auch noch Geld für andere Länder übrig. Am nächsten Mittwoch will das Finanzministerium über den geplanten Vier-Milliarden-Euro-Kredit an das in Not geratene Island beraten. Mit diesem Schachzug versuche Russland, seine Position beim Kampf um die Einflusszonen am Nordpol zu verbessern, meint die Tageszeitung Nesawisimaja Gaseta. Dort werden reiche Schätze an Öl und Gas vermutet. Der Leiter des Instituts für die Probleme der Globalisierung, Michail Deljagin, kritisiert den geplanten Island-Kredit als unnötige Machtdemonstration. „Unsere Regierung versteht offenbar die Tiefe der Krise nicht“, erklärte Deljagin gegenüber der Nesawisimaja Gaseta. Mit dem Geld solle man besser der russischen Wirtschaft helfen. Die Finanzkrise wird in Russland einschneidende soziale Auswirkungen haben, darüber sind sich die Experten einig. Deljagin rechnet mit der Entlassung von fünf Millionen Gastarbeitern, die im Bausektor beschäftigt sind. Die festangestellten russischen Arbeiter und Angestellten müssten zunächst nicht mit Entlassungen sondern mit Reallohneinbussen von 30 Prozent und verspäteten Lohnzahlungen rechnen, meint Wladimir Gimpelson vom Zentrum für Arbeitswissenschaften. Schon vor der Finanzkrise waren die Russen mit einer steigenden Inflationsrate konfrontiert. Jewgeni Gontmacher, Leiter des Zentrums für Soziale Politik, erklärte, die Reallöhne seien im ersten Halbjahr um bis zu 10 Prozent gesunken.Der erste Unternehmer, der das Einfrieren von Groß-Projekten ankündigte, war der Chef des Bau-Unternehmens Mirax Group, Sergej Polonski. Die Baufirma, welche zur Zeit den 360 Meter hohen Förderationsturm im Hochhaus-Areal Moskau City hochzieht, ist ein Symbol für das russische Wirtschaftswachstum, das sich vor allem im Bausektor abspielt. Polonski bat nun in einem Brief an russische Journalisten, die Situation nicht zu dramatisieren. Immerhin hingen vom Bausektor Hunderttausende Arbeitsplätze ab.Das Einfrieren von Bau-Projekten schlägt bereits auf die Lieferanten von Baumaterial durch. Das legendäre Stahlunternehmen Magnitogorsk im Ural will seine Produktion in diesem Monat um 25 Prozent zurückfahren. Auch in der Automoil-Branche werden Einbrüche verzeichnet. Das Unternehmen GAS stellt seine Lastwagenproduktion bis Mitte Oktober ein und schickt seine Die Arbeiter für zwei Drittel des Arbeitslohnes in den Urlaub geschickt. Der Lastwagenbauer KAMAS arbeitet nur noch vier Tage in der Woche. Auch hier wurde ein Teil der Arbeiter in den Urlaub geschickt. Ministerpräsident Wladimir Putin traf sich am Donnerstag mit der Duma-Fraktion der Kommunistischen Partei und erklärte, die Möglichkeiten des Staates zur Milderung sozialer Krisen-Folgen seien begrenzt. Immerhin: Gestern folgte Wladimir Putin seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel und erklärte, der Staat übernehme die Garantie für alle Spareinalgen von bis zu 20.000 Euro. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0