UNDISZIPLINIERT UND SCHLECHT TRAINIERT
Nach dem Georgien-Krieg will Russland seine Armee modernisieren und dabei mit Geld „nicht sparen“(n-ost) – Fast wöchentlich zeigt das russische Fernsehen Kreml-Chef Dmitri Medwedew bei Besuchen der russischen Streitkräfte, mal auf einem Raketenkreuzer im Nordmeer, mal beim Teststart einer strategischen Topol-M-Rakete in der Taiga, mal beim Besuch eines Manövers mit Panzern und Haubitzen im Ural. Allmählich wird Medwedew zum Oberkommandierenden. Er wird ernster und zackiger, seine Stimme härter. Immer wieder verkündet der Kreml-Chef bei seinen Armeebesuchen, bei der Modernisierung der Streitkräfte werde man mit Geld „nicht sparen“.Die Erfahrungen im Georgien-Krieg, bei dem die russische Armee einige ernste Verluste einstecken musste – unter anderem wurden sieben russische Flugzeuge abgeschossen – sind für die russischen Militärs jetzt Anlass, die Modernisierung der Streitkräfte zu beschleunigen. Möglich ist dies durch die gestiegenen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Russland will seine Verteidigungsausgaben im nächsten Jahr auf 66 Milliarden Dollar steigern.Bisher waren die Reformen der Armee auf kosmetische Änderungen beschränkt. Die Zahl der Soldaten wurde zwar von drei Millionen (1991) auf gut eine Million verringert, aber die russische Armee sei heute immer noch eine „verkleinerte Kopie der sperrigen und veralteten sowjetischen Militärmaschine, die für die Führung von globalen Kriegen geschaffen wurde“, schreibt die Moskauer Zeitung „Kommersant“.Die Schwerpunkte der Armee-Modernisierung umriss Medwedew am Rande eines Manövers im Ural: Zielgenaue Waffen, mobile Einheiten, neue U-Boote mit Marschflugkörpern, die Zusammenfassung von Raketenabwehr und Weltraumaufklärung sowie eine bessere soziale Versorgung der Soldaten, das sind die selbst gesteckten Ziele. Die Armee soll mobiler werden, um schneller auf lokale Konflikte reagieren zu können.Statt in Divisionen und Regimenter will man die Streitkräfte jetzt – nach westlichem Vorbild – in Brigaden aufteilen. In den sechs russischen Militärbezirken will man jeweils eine Brigade mit 3.000 Mann als schnelle Eingreiftruppe stationieren, als Grundstock der neuen Struktur.Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow hat angeordnet, die Zahl der Offiziere schrittweise von 335.000 auf 150.000 zu halbieren. „Es bleiben nur Offiziere, die wirklich Einheiten leiten und nicht Soldaten in irgendeinem Nachschub-Lager“, schreibt die Zeitung „Nesawisimaja Gaseta“. Die Zahl der Generäle will man von 1.100 auf 900 reduzieren.Im Kampf um Südossetien trafen das erste Mal in der jüngeren russischen Geschichte Vertragssoldaten von zwei erfahrenen Armeen aufeinander. Auf russischer Seite kämpfte die 58. Armee mit Tschetschenien-Erfahrung, ihnen gegenüber standen von US-Ausbildern gut trainierte Soldaten mit Irak-Erfahrung und einem für georgische Verhältnisse imposanten Monatslohn von 350 Euro. Die russischen Vertragssoldaten („Kontraktniki“) bekamen einen Grundsold von nur 220 Euro.Doch nicht alles klappte so fantastisch, wie es von der Kreml-nahen Presse dargestellt wird. Eine Reporterin des Kreml-kritischen „Kommersant“ berichtete, dass die russische Panzerkolonne im Rokski-Tunnel häufig stecken blieb, weil immer wieder defekte russische Fahrzeuge den Weg versperrten. Nach Aussagen von General Wladimir Boldyrew, dem Chef des russischen Heeres, mangelte es den russischen Truppen an gebirgstauglicher Fernmeldetechnik.Die russische Armee bräuchte in Zukunft vor allem komplexe, computergesteuerte Systeme, die den gesamten Bereich von der Aufklärung, der eigenen Deckung bis zur Feind-Vernichtung abdecken, so Boldyrew. Der Präsident der russischen Akademie für Militärwissenschaften, Machmut Garejew, sagte, im Kriegsgeschehen gehe es heutzutage nicht um das Zerstören einzelner feindlicher Waffen, sondern um die Zerstörung des Informationsraumes und der feindlichen Kommandozentrale.Große Hoffnung setzten die russischen Militärs auf das vor vier Jahren eingeführte System der Vertragssoldaten („Kontraktniki“), das in Zukunft die Hälfte aller Soldaten stellen und das Rückgrat der Streitkräfte sein soll. Von den „Kontraktniki“ versprechen sich Armee- und Staatsführung mehr Disziplin, eine höhere Qualifikation und Kampffähigkeit.Doch weil die Ausbildung und Bezahlung nicht attraktiv sind und es immer noch Probleme mit dem Wohnraum für Soldaten gibt, hat man bisher erst 80.000 Vertragssoldaten rekrutiert. Die Fluktuation ist groß. Es melden sich bisher vor allem zwielichtige Personen, die im normalen Berufsleben gescheitert sind. Als Anreiz für gute Leistungen hat Medwedew jetzt die Einführung eines Prämiensystems angekündigt. 700 bis 3.100 Euro winken den russischen Soldaten für herausragende Leistungen.Mit Geld allein werden sich Probleme der russischen Armee aber nicht lösen lassen. Die Streitkräfte leiden immer noch an der „Herrschaft der Großväter“, einem an das Mittelalter erinnernden Ritual, bei dem die jüngeren Jahrgänge die älteren Soldaten bedienen müssen und von diesen schikaniert werden. Im Jahre 2006 wurden nach offiziellen Angaben 6.700 Rekruten von Vorgesetzten misshandelt. 2007 setzten 224 Soldaten ihrem Leben selbst ein Ende. Das waren sieben Prozent mehr als 2006. Nach Einschätzung der russischen Organisation „Soldatenmütter“ sterben pro Jahr etwa 3.000 Wehrdienstleistende, ein großer Teil in Folge von Misshandlungen.Das größte Problem der Armee ist jedoch – neben der inneren Zerrüttung – der Mangel an geeignetem Nachwuchs. 70 Prozent der Jugendlichen im wehrpflichtigen Alter sind aus gesundheitlichen Gründen nicht diensttauglich. Und weil ab dem nächsten Jahr die geburtenschwachen Jahrgänge ins wehrpflichtige Alter kommen, denken die Militärs schon jetzt über die Verlängerung des Wehrdienstes von einem auf drei Jahre nach.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0