Deutschland

Kleine Schwester der Berlinale

Das Cottbuser „Festival des Osteuropäischen Films“ hat sich als international anerkannte Marke etabliert(n-ost) – Sie ist viel kleiner, aber dennoch spannend, nicht so glamourös, dafür überschaubar. Ihre Exotik kommt nicht aus Übersee, sondern gleich von nebenan: Das Filmfestival Cottbus ist die kleine Schwester der Berlinale. Ihre Liebhaber zieht es aus aller Welt in die brandenburgische Provinz. Sie eint die Sehnsucht nach neuen Bildern – aus dem Osten Europas.

Gründer Lutz Hattenbach hatte es wohl geahnt: Im vereinten Deutschland wird es keinen Platz mehr geben für Regisseure wie den Polen Andrzej Wajda oder den Kroaten Ante Babaja. Das Hollywoodkino wird auch die ostdeutschen Leinwände okkupieren. Eine kleine Gruppe von Cottbusern stellt sich der Bilderflut aus den USA entgegen: Allen voran Lutz Hattenbach, der ehemalige Filmklubleiter und spätere Vorsitzende des Vereins Kommunales Kino.Geht die Gründung der Berlinale auf eine Initiative der amerikanischen Militärregierung zurück, ist das Cottbuser Pendant das Kind einer Bürgerbewegung. Lutz Hattenbach war Filmenthusiast durch und durch. Schon als Student baut er in Jena einen Uni-Filmklub auf. Nach der Wende hebt er in der Lausitz das weltweit erste Osteuropäische Nachwuchs- und Experimentalfilmfestival aus der Taufe, das in diesem Jahr vom 11. bis 16. November als „Festival des osteuropäischen Films“ in die 18. Runde geht.Schon im Januar 1990 schreibt Lutz Hattenbach an Parteien, Organisationen und Verbände, um seine Idee zu propagieren. Bei Bernd Warchold rennt er offene Türen ein. Der damalige Cottbuser Kulturamtsleiter entscheidet in der Umbruchsituation ganz spontan: „Wir probieren das mal aus“. Sein Mitarbeiter Eberhard Nahly wird Hattenbachs rechte Hand und so zum Mitbegründer des Festivals.

Festivalmitbegründer Lutz Hattenbach (vorne) hat die Jury in den Anfangsjahren mit einer sowjetischen Luxuslimousine Marke Tschaika herumchauffiert. Foto: privat
Es ist mutig, ein Ostfilmfest im Osten anzusiedeln. Viele Menschen haben nach der Wende die Nase voll von Geschichten aus den ehemaligen Bruderstaaten. So ist das Festival in den ersten Jahren auch eher eine intime Veranstaltung, ein Ehemaligentreffen ostdeutscher Filmklubmitglieder. Sie schauen sich bis nachts um drei Beiträge an und debattieren anschließend über das kopflastige postsozialistische Filmschaffen. „Der Spaß kam trotzdem nicht zu kurz“, weiß Eberhard Nahly. Einmal leiht sich Lutz Hattenbach sogar eine Tschaika aus. In der sowjetischen Luxuslimousine chauffiert er die Festivaljury umher und sorgt in der ganzen Stadt für Aufsehen.Diese Anekdote beweist auch eine gewisse ironische Distanz: Während die Hauptstadt bei den Filmfestspielen die ganze Welt umarmen will und laut klagt, wenn sich ihr ein Star entzieht, gibt man sich in Cottbus mit weniger zufrieden. Kommt Ehrenpräsident Istvan Szabo, wird applaudiert, bleibt er weg, wie so oft, ist es auch nicht schlimm. In Brandenburg geht es vor allem um die Werke junger Filmemacher, das Drumherum ist nie mehr als Nebensache.Zur Hauptsache wurden die bewegten Bilder in Cottbus erstmals 1911, als der „Weltspiegel“ eröffnete. Diese Festival-Spielstätte ist Deutschlands ältestes noch erhaltenes Filmtheater. Seit dem Bau eines Multiplexkinos am Cottbuser Stadtrand vor zehn Jahren ist das Lichtspielhaus mit seinem großzügigen Saal und dem darüber thronenden Rang mal in Betrieb wie zurzeit und dann wieder nicht. „Cottbus ist die einzige Stadt, die ein Filmfestival hat, aber kein richtiges Kino in der Innenstadt“, hat Festivaldirektor Roland Rust vor Jahren gesagt. Egal wie es läuft, zur Festival wird auch der „Weltspiegel“ reanimiert. In der „Langen Nacht der kurzen Filme“ sind immer alle 500 Sitze besetzt.

Roland Rust ist seit 1996 hauptamtlicher Direktor des Cottbuser „Festival des Osteuropäischen Films“. Foto: Barbara Breuer
Das ist in den Anfangsjahren des Festivals anders: Damals verlieren sich die Zuschauer in dem großen Saal. Hattenbachs Hoffnungen, dem experimentellen Film ein Podium bieten zu können, zerschlagen sich früh. Im Osten sind Spielfilme auf dem Vormarsch. Und so wird das Filmfestival auch schon bald nach seiner Gründung auf seinen heutigen Namen getauft. Seit 1996 ist Roland Rust hauptamtlicher Direktor der Cottbuser Bilderschau. Unter seiner Leitung werden die Beiträge immer publikumswirksamer. Zum zehnjährigen Jubiläum besuchen mehr als 10 000 Menschen das Festival. Im Jahr 2006 sind es fast doppelt so viele. Lutz Hattenbach erlebt das nicht mehr. Der 55-Jährige stirbt im August 2006 nach schwerer Krankheit.Der Filmschau hat er durch die Ostausrichtung das Leben gerettet. Anders als Berlin, das sich stets mit Cannes und Venedig vergleichen lassen muss, besetzt Cottbus eine Nische, hat ein Alleinstellungsmerkmal. Nicht umsonst soll Berlinale-Chef Dieter Kosslick auf die Frage, warum er den osteuropäischen Film so stiefmütterlich behandele, einmal – fast kapitulierend – gesagt haben: „Dafür gibt es doch Cottbus.“Menschen, die den osteuropäischen Film als Teil ihrer Biografie betrachten oder sich einfach für den Alltag ihrer Nachbarn interessieren, sind das heutige Publikum in der Lausitz. Sie können trotz aller Professionalisierung noch ein Festival erleben, das den Geist einer Bürgerbewegung atmet: Nach Aufführung eines Wettbewerbsbeitrages lassen sich die Regisseure auf eine Diskussion mit dem Publikum ein. Der Meinungsaustausch ist immer noch eine Säule der Filmschau.In diesem Jahr können sich die Zuschauer auf zehn Wettbewerbsbeiträge aus Mittel- und Osteuropa freuen, die häufig das langsame, einfache Leben abseits hektischer, glamouröser Großstädte reflektieren. So auch der Eröffnungsfilm „Tulpan“, das Debüt des kasachischen Regisseurs Sergej Dvortsevoy. Dokumentarisch anmutend erzählt er die Geschichte von Asa, der nach absolviertem Militärdienst in der kasachischen Steppe auf Brautschau geht. Auch als Tulpan, die einzige Unverheiratete weit und breit, ihn wegen seiner Seegelohren ablehnt, gibt Asa nicht auf.

Asa (Askhat Kuchinchirekov) will in der kasachischen Steppe seine Träume wahr werden lassen. Dazu fehlt ihm nur noch eine Braut. Quelle: Copyright Pandora


Diese liebevoll gefilmte Tragikomödie über skurrile Menschen in einer unwirtlichen Region hat in diesem Jahr zu Recht in Cannes den Hauptpreis in der Nachwuchskategorie „Un certain regard“ gewonnen. In Cottbus können neue Talente ebenfalls auf sich aufmerksam machen: Die diesjährige Fokussektion stellt dazu Filmemacher aus dem Baltikum vor. Anders die Retrospektive, die zum Nachdenken über „1968 – Prager Frühling und die Folgen“ anregen möchte. In der Sparte „Nationale Hits“ werden Kinoerfolge aus Osteuropa präsentiert, darunter die unter Juraj Jakubiskos Regie neu gedrehte legendäre Geschichte der ungarischen Blutgräfin Elisabeth „Báthory“.In diesem und weiteren Filmen wird das Erbe von Klaus Hattenbach weiter leben: Die Stadt Cottbus hat beschlossen, das Festival bis 2014 finanziell zu unterstützen. Das ist nur konsequent. Die Bilderschau war auch immer Kino gegen die Krise, nicht nur gegen die Krise des osteuropäischen Films, sondern auch gegen die Krise einer vermeintlich abgehängten Region im Südosten Brandenburgs, gegen die Krise des Kinos in einer Stadt mit immerhin mehr als 100.000 Einwohnern. Dass dies nicht vergebens ist, zeigt das Beispiel junger Filmschaffender, osteuropäischer wie auch deutscher, für die die Lausitz erstmals eine Bühne bereitet. Cottbus als Karrieresprungbrett, das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Ist es aber.Weitere Informationen im Internet unter: http://filmfestival.pool-production.de. Der Kartenvorverkauf findet statt in der Stadthalle Cottbus, Berliner Platz 6, 03046 Cottbus. Ticket-Telefon: 0355 / 7542444.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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