Polen

Regierung Tusk – ein Jahr ohne Wunder

Enttäuschung vom Kabinett, Vertrauen in sein Oberhaupt – 365 Tage Tusk an der Spitze Polens

(n-ost) - Vor einen Jahr wurde mit großen Hoffnungen gefeiert, heute wird mit den Versprechen abgerechnet. Für das Kabinett Tusk hat sich das Regieren komplizierter als erwartet herausgestellt. Als im November 2007 die liberale Regierung ihre Arbeit aufnahm, bekam sie riesiges Vertrauen der Wähler. Doch das Jahr an der Macht stand im Schatten von Sozialprotesten und einem heftigen Kampf zwischen der Regierung und dem Präsidenten, Lech Kaczynski.Nur jeder dritte Pole ist mit der Regierung zufrieden. Etwa die Hälfte glaubt einer Umfrage der Meinungsforschungszentrale CBOS zufolge, die Regierung realisiere ihre Versprechen aus dem Wahlkampf überhaupt nicht. Als einziges eingelöstes Wahlversprechen gilt der Abzug der polnischen Truppen aus dem Irak, den die Regierung im November durchführte. Im Allgemeinen bekommt die Regierung gerade für die Außenpolitik die besten Noten. Mehr als zwei Drittel Polen glauben, das Kabinett vertrete das Land gut auf der internationalen Ebene.Außenminister Radoslaw Sikorski schneidet bei der Beurteilung deshalb am besten unter allen Ministern ab. Dabei störte es nicht einmal, dass Sikorski im Namen der Regierung das Abkommen mit den USA über das Raketenabwehrsystem in Polen unterschrieb. Damals war mehr als die Hälfte der Bevölkerung dagegen. Geschätzt wird in Polen, dass sich die Beziehungen zu den Nachbarn – Russland und Deutschland – verbessert haben.Ansonsten fehlen der Regierung die großen Erfolge. Aus dem versprochenen Wirtschaftswunder wurde nichts. Weder soziale noch wirtschaftliche Reformen wurden durchgeführt, darunter nicht einmal die wichtigsten im Gesundheitswesen und der Steuergesetzgebung. Dies hatten nicht zuletzt starke Proteste aus der Gesellschaft verhindert. Gerade diese Woche okkupierten Gewerkschafter die Räume der Ministerpräsidentenkanzlei in Warschau, als Tusk auf einer Europareise weilte. Jetzt drohen sie mit einem Generalstreik.Bescheiden beurteilen auch Experten die Ergebnisse der einjährigen Regentschaft. „Es stellte sich deutlich heraus, dass alle Ankündigungen aus dem Wahlkampf über Dutzende von schon fertigen Entwürfen unwahr waren“, sagt Marek Migalski, Politologe der Schlesischen Universität. Vor fünf Wochen setzte sich die Regierung das Ziel, über 200 Gesetzentwürfe zu verabschieden.Der Stichtag sollte das einjährige Jubiläum des Kabinetts Tusk sein. Ein typischer, populistischer Schachzug, sagten die Beobachter. Es hätte wohl einfach vorher nichts zu zeigen gegeben, urteilt der Politologe Marek Migalski. Die Wirtschaftsexperten sehen einige gute Bewegungen in der Wirtschaftsentwicklung Polens, wie zum Beispiel größere Schritte in Sachen Autobahnausbau und EURO 2012, allerdings erst in den jüngst vergangenen Monaten. Mindestens sechs Monate seien jedoch vollkommen verloren gewesen, so die überwiegende Meinung.Die Bevölkerung ist gegenüber ihrer Regierung und vor allem ihrem Chef jedoch großzügiger als die Experten. Immerhin wird das jetzige Kabinett besser beurteilt als sein Vorgänger mit Jaroslaw Kaczynski an der Spitze. Es sei eine bessere Atmosphäre in der Regierung selbst zu spüren als vorher. Diese Regierung wurde nicht von Streitereien und Affären erschüttert, wie das unter Kaczynski der Fall war.Die internen Probleme zwischen den Koalitionspartnern der jetzigen Regierung dringen selten bis an die Öffentlichkeit. Paradoxerweise steigert der Streit Tusks mit Präsident Lech Kaczynski noch seine Popularität. Obwohl die Polen finden, dass eine solche Situation eine Blamage für Polen ist, geben sie die größte Schuld an den Streitereien Kaczynski. Jeder zweite hält Donald Tusk, den Ministerpräsidenten, für ein gutes Kabinettoberhaupt.
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