Szene-Kneipen für das jüdische Viertel von Budapest
In-Lokale könnten die Zukunft der abbruchreifen Häuser im jüdischen Viertel von Budapest retten
(n-ost) – Ruinen-Café – das wäre eine passende Beschreibung für dieses Lokal im jüdischen Viertel von Budapest. Doch die Gründer drücken es positiv aus: „Szimpla kert“, zu Deutsch „simpler Garten“, heißt das Szenelokal, das sein Äußeres zum Markenzeichen gemacht hat: Zwischen unverputzten Wänden und Sperrmüllmöbeln sitzen täglich rund 800 Gäste. Das Lokal in der ehemaligen Stahlfabrik in der Kazinczy-Straße ist ein Beispiel dafür, wie das vor dem Zerfall stehende jüdische Viertel von Budapest gerettet werden könnte.
Das „Szimpla kert“ - ein auch international bekannter Szene-Treffpunkt. Foto: Sebastian Garthoff
Grundstücksverkäufe, Abriss und gesichtslose Neubauten machen dem alten, teils denkmalgeschützten und am Rande eines Unesco-Weltkulturerbe-Gebietes liegenden Viertel den Garaus. Eine Bürgerinitiative protestiert gegen die rücksichtslose Politik der Bezirksverwaltung und versucht, die historische Bedeutung des Viertels ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Viele der einst jüdischen Bewohner emigierten nach dem Zweiten Weltkrieg, und auch spätere Bewohner zogen weg oder wurden ihrer Wohnungen verwiesen.
Das „Szimpla kert“ von außen – es steht wie das gesamte jüdische Viertel von Budapest vor dem Zerfall. Foto: Sebastian Garthoff
Von Ruinen und Zerfall wollen die Inhaber des „Szimpla kert“ indes nichts hören, denn schließlich ist das Lokal kein Abrissprojekt. In den dämmrigen Nischen des Gebäudes mit Bars, alten Couchgarnituren, Wiener Kaffeehaus-Tischen, ausrangierten Telefonkabinen und Postkasten treffen sich einheimische Intellektuelle und ausländische Gäste. Längst hat sich der „Szimpla kert“ als In-Lokal herumgesprochen – über die Grenzen Ungarns hinaus. So ist wieder junges, lebendiges Leben in die alten Gemäuer des jüdischen Viertels gezogen. Neben dem „Szimpla Kert“ gibt es weitere neu eröffnete Restaurants und ein jiddisches Cabarét.
„Es war zur Jahrtausendwende, als die Idee entstand, die alten Häuser des jüdischen Viertels trotz ihres schlechten Zustandes eine Zeit lang zu nutzen“, sagt Geschäftsführer Attila Busák. Geld war nicht vorhanden, umso mehr aber Ideen. Es gelang den Gründern, eine billige Miete auszuhandeln. Befreundete Architekten halfen ihnen, die einsturzgefährdeten Gemäuer fachgerecht zu sicheren. Möbel und Einrichtung besorgten sie sich auf dem Flohmarkt oder von Freunden und Bekannten.
Das "Szimpla kert" - hier treffen sich Touristen zum Entspannen ebenso wie Arbeitskollegen. Foto: Sebastian Garthoff
Attila Busák erinnert sich: „Wir konnten nie für eine lange Zeit denken, wir haben alles nach und nach aufgebaut, so billig wie es möglich ist. Trotzdem wollten wir auch, dass es gut aussieht.“ Mehr noch: Eine anspruchsvolle Küche und vielschichtige kulturelle Veranstaltungen prägen das „Szimpla kert“ heute. Es zeigte sich, dass es möglich ist, eine alternative Kultureinrichtung zu finanzieren und abbruchreife Gebäude weiterhin zu nutzen.Die Kneipe floriert ebenso wie zwei weitere Lokale unter dem Szimpla-Namen. Einige Straßen weiter gibt es das „Szimpla Café“ und das „Dupla Restaurant“, die über einen Keller miteinander verbunden sind. Die Marke „Szimpla“ hat sich in Europa inzwischen einen Namen gemacht hat und ist zu einem beliebten Treffpunkt für junge Leute aus ganz Europa geworden, die mit Billigfliegern schnell mal in die ungarische Hauptstadt jetten.So hoffnungsvoll diese Entwicklung für das jüdische Viertel ist, so unstet ist sie. Denn inzwischen haben viele Kneipen wieder geschlossen. Vor einigen Jahren gab es einen Boom alternativer Szenekneipen – zu Hochzeiten gab es sechs, sieben Open-Air-Bars in der Umgebung. Doch dann wollte die Bezirksverwaltung diese Entwicklung stoppen. Sie kündigte den Lokalen, die in ihren Immobilien aufgemacht hatten. Die Häuser stehen jetzt wieder leer und warten auf den Abriss.
Innen ist im „Szimpla kert“ nichts von Abrissstimmung zu spüren – eine gemütliche, kultige Kneipe hat sich etabliert. Foto: Sebastian Garthoff
Ein Grund dafür war sicher der nächtliche Geräuschpegel. Anwohner beschwerten sich über den Lärm, der bis nach Mitternacht andauerte. „Deswegen gab und gibt es ständig Probleme mit der Bezirksverwaltung“, sagt Attila Busák. Zeitweise war sein Lokal gezwungen, jeden Tag pünktlich um Mitternacht zu schließen. Immerhin brauchen die „Szimpla kert“-Macher keinen schnellen Rauswurf zu fürchten. Das Gebäude ist nicht nur denkmal-, sondern auch Unesco-geschützt und kann nicht eben mal schnell für viel Geld verkauft und abgerissen werden.Hintergrund-Kasten:Geschichte:1786 ermöglichte das Toleranzedikt des österreichischen Kaisers Josef II. die Ansiedlung von Juden knapp außerhalb der Budapester Stadtmauer. So entwickelte sich ein eigenständiges jüdisches Stadtviertel mit allem, was dazugehört: Handwerksbetrieben, koscheren Lebensmittelgeschäften, Cafés, Restaurants und Synagogen.
Dem pulsierenden Leben wurde im Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende gesetzt. 60.000 Menschen waren damals im jüdischen Ghetto monatelang zusammengepfercht. Knapp die Hälfte der Juden kamen ums Leben. Viele der Überlebenden emigrierten nach dem Krieg, weil sie im Kommunismus keine Zukunft für sich sahen. Aber einige blieben auch im jüdischen Viertel.
Die Verwaltung des VII. Budapester Bezirks, des jüdischen Viertels, ist am Erhalt der historischen Bausubstanz heute so gut wie nicht interessiert: Sie will die Grundstücke lieber für schnelles Geld verkaufen. Die Denkmalschutzbehörde kann oft nur machtlos zusehen, wie das architektonische Erbe des jüdischen Viertels verschachert wird. Bei umstrittenen Bauprojekten schieben sich die Parlamentarier gegenseitig die nötigen Stimmen zu, die Bezirksverwaltungen betreiben oft einen wahren Kuhhandel.
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