Zwischen Gläubigern und Bankrott
Der Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine wird zum internationalen Politikum
(n-ost) - Der Gasstreit zwischen Gazprom und der Ukraine hat eine neue Qualität erreicht. Um die Ukraine zu den ausstehenden Zahlungen in Milliardenhöhe zu zwingen und einen höheren Preis auszuhandeln, hat Russland die Gaslieferungen so drastisch wie noch nie reduziert. Mehrere europäische Länder haben bereits Ausfälle gemeldet, auch in einigen deutschen Gasleitungen ist der Druck stark gefallen.Der Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine hat eine lange Geschichte. Noch nie, seit die Ukraine unabhängig ist, hat sie das russische Gas im vollen Ausmaß sofort bezahlt. Anfang der 90er Jahre versuchte Gazprom immer wieder, die Zahlungen zu erzwingen. Da durch die Ukraine 80 Prozent der gesamten Gasexportmenge nach Europa geleitet wurden, kam es schon damals immer wieder zu kurzfristigen Lieferstopps. Allerdings wollte Gazprom keinen Konflikt mit den westlichen Abnehmern riskieren und musste den Stopp jedes Mal schnell aufheben.Zum internationalen Politikum wurden diese Gasblockaden damals noch nicht. Der Energiekonzern Gazprom, der von der Ukraine als Transitland abhängig war und auf eine Bezahlung der vereinbarten Gaslieferungen nicht hoffen konnte, fand eine andere Lösung. Er privatisierte einen Teil des Gases, der an die zahlungskräftigen Kunden direkt geliefert werden konnte. Die Verbraucher zahlten an eine Mittelsfirma, die formal von Gazprom wie von der ukrainischen Gasbehörde unabhängig war.Experten vermuten, dass eine Hälfte der Gazprom-Anteile von einflussreichen und rivalisierenden Kreml-Insidern kontrolliert wurde. Die Zahlungen für das Gas gingen also an die die Mittelsfirma kontrollierenden Personen. Zum Kreis der Profiteure, hieß es, gehörten äußerst einflussreiche russische und ukrainische Oligarchen, die imstande seien, den Staatsapparat für ihre Interessen einzuspannen.Hochrechnungen der oppositionellen russischen Politiker Boris Nemzow und Wladimir Milow zufolge sollten während Putins Amtszeit als Präsident 60 Milliarden US-Dollar aus dem Konzern in undurchsichtige Kanäle abgezweigt worden sein. Allerdings vermochten die Regierungen beider Länder auch nach der orangefarbenen Revolution nicht, sich auf einen direkten Handel mit Gas zwischen den staatlichen Akteuren Gazprom und Naftogas zu einigen. So blieb die dubiose Mittelsfirma UkrGasEnergo auch weiter für den Handel, angeblich mit Gas aus Turkmenistan, verantwortlich.Es ist deshalb kein Zufall, dass die heutige ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko in den 1990er Jahren im Volksmund Gasprinzessin genannt wurde und der ehemalige Gazprom-Chef Viktor Tschernomyrdin Botschafter in Kiew wurde. In Russland und in der Ukraine scheinen die höchsten Regierungsämter und die staatliche Infrastruktur für den Kampf zwischen mächtigen Interessenten instrumentalisiert zu werden. Das demonstriert, wie schwach Rechtsstaat und Verantwortung in diesen Ländern entwickelt sind – und wie machtlos Putin, von Juschtschenko ganz zu schweigen, angesichts der konkurrierenden Machtfraktionen erscheint.Aus dieser Perspektive ist sowohl die gegenwärtige Verschärfung der Gaskrise als auch die Bereitschaft beider Seiten, europäische Partner in diese Auseinandersetzung zu ziehen, besser zu erklären. Gazprom hat langjährige Lieferverträge mit den europäischen Abnehmern. Doch der hochverschuldete Monopolist hat nicht genug in die Produktion investiert: Die Gasförderung sinkt. Zugleich könnte die Produktion wegen der fallenden Preise unrentabel werden.Bald naht die Zeit, da Gazprom seine exorbitanten Schulden an ausländische Gläubiger entrichten muss. Zur Disposition steht seine Fähigkeit, längerfristig seine Verpflichtungen gegenüber den Vertragspartnern erfüllen zu können. Selbstverständlich schwinden in dieser Situation auch die persönlichen Einnahmen unbekannter Profiteure, die ohnehin einen Teil ihres Vermögens in der gegenwärtigen Finanzkrise verloren haben dürften.Die Ukraine befindet sich ihrerseits am Rande des Bankrotts. Vor diesem Hintergrund lassen beide Parteien alle Hemmungen fallen. Für Gazprom ist es von Vorteil, den bevorstehenden Ärger mit Europa an die Ukraine umzuleiten. Die zerstrittenen ukrainischen Politiker sind ihrerseits nicht imstande, sich über die eigenen Macht- und Profit-Interessen zu erheben. Das einstige Traumteam Juschtschenko und Timoschenko liefert sich ein Trauerspiel.Experten behaupten, es sei nicht möglich, die Gaslieferungen auf Dauer einzustellen, da die Fördermengen nicht unbegrenzt aufbewahrt werden können. Fest steht auch, dass Gazprom nicht Amok laufen wird. Als verlässlicher Partner mutet der Konzern inzwischen jedoch nicht mehr an. Für Europa ist das ein weiterer Ansporn für eine innovative Energiepolitik.Sonja Margolina
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