Ermordeter Anwalt beigesetzt
350 Trauergäste nehmen Abschied von Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa
(n-ost) - Als der Sarg in die Gruft hinab gelassen war und die Arbeiter des Beerdigungsunternehmens Erde in die Grube schippten, begann ein leiser Schneeregen. „Wir sagen bei uns, die Natur weint“, flüsterte Tatjana, eine Russin in mittlerem Alter, die die Familie des ermordeten Anwaltes Stanislaw Markelow gut kannte. Dann wispert sie noch: „Er war ein reiner, leuchtender Mensch“.Auf dem Ostankino-Friedhof im Norden Moskaus herrschte Schweigen. Es gab keine Ansprachen. Der Bruder des Toten wollte keine politische Demonstration. Auf den Gesichtern der etwa 350 Menschen, die gekommen waren, um Abschied zu nehmen, lag tiefe Trauer und die unausgesprochene Frage: Wann wird wieder jemand umgebracht? Wer schützt uns vor den Mördern?
Rund 350 Trauergäste nahmen Abschied von dem erschossenen Anwalt Stanislaw Markelow. Foto: Ulrich Heyden
Der Kreml schweigt zu dem Doppel-Mord. Ein Mann mit Wollmütze und Schal hatte am Montag den Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und seine Begleiterin, die Journalistin der „Nowaja Gaseta“ Anastasija Baburowa, auf einer belebten Straße im Zentrum von Moskau mit einer Makarow-Pistole erschossen. Warum schweigt Präsident Dmitri Medwedew, der sich als liberal bezeichnet, während der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko ein Beileids-Telegramm schickte? Das fragen sich viele Moskauer Menschenrechtler, Links-Aktivisten und Journalisten, die zu der Beerdigung der beiden gekommen waren.Zu den Trauernden gehörte auch Natalija Estemirowa, die Leiterin der Zweigstelle der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Estemirowa berichtete von einer Protest-Kundgebung in Grosny mit 2.500 Teilnehmern, unmittelbar nach dem Doppel-Mord. In Moskau waren unmittelbar nach dem Anschlag nur ein paar Hundert Menschen auf die Straße gegangen. „Das war ein Protest gegen den Mord an einem Anwalt, den man in Tschetschenien gut kannte. Auf der Kundgebung gab es Forderungen gegen die vorzeitige Entlassung von Budanow,“ berichtet die Menschenrechtlerin.Der russische Oberst Budanow hatte während des Tschetschenien-Krieges im Jahre 2000 die 17-jährige Tschetschenin Elsa Kungajewa vergewaltigt und erwürgt. Letzte Woche war Budanow vorzeitig aus der Haft entlassen worden, was in Tschetschenien einen Protest-Sturm auslöste, den auch der vom Kreml eingesetzte Präsident der Kaukasus-Republik, Ramsan Kadyrow, nicht ignorieren konnte. Kadyrow verlieh dem Toten einen tschetschenischen Orden für seine Arbeit als Anwalt. In Moskau gab es die Vermutung, dass Ultranationalisten hinter dem Mord an Markelow stecken könnten. Denn bevor Budanow zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, hatten Kosaken und Rechtsradikale für den von ihnen so genannten „Helden Russlands“ demonstriert.
Beisetzung des Menschenrechtsanwalts Stanislaw Markelow. Foto: Ulrich Heyden
Markelow war in ganz Russland als Anwalt für schwierige, risikoreiche Fälle bekannt. Deshalb gibt es bisher nur Vermutungen, wer den Mord in Auftrag gegeben hat. „Der Schlag könnte aus verschiedenen Richtungen kommen“, sagte Swetlana Gannuschkina, die sich als Menschenrechtlerin um politische Flüchtlinge und Gastarbeiter aus Zentralasien kümmert. Markelow übernahm Fälle von entführten und ermordeten Tschetschenen, nicht entlohnten Gastarbeitern und Umweltschützern, die sich gegen die Abholzung des Chimki-Waldes bei Moskau wehrten.Henri Resnik, Präsident der Moskauer Anwaltskammer und einer der wenigen Prominenten, die den Weg zum Moskauer Ostankino-Friedhof gewagt hatten, sprach nach der Trauer-Zeremonie mit Achtung von seinem Kollegen. „Er wusste um die Bedrohungen, die für ihn existierten. Aber er hat die Angst aus seiner Seele verjagt.“ Stanislaw Markelow hinterlässt zwei Kinder. „Sie wissen noch nicht, dass ihr Vater tot ist“, sagt die Russin Tatjana. „Sie sind noch zu klein, um das zu verstehen.“
Trauernde auf dem Moskauer Ostankino-Friedhof. Foto: Ulrich Heyden
Im Westen Moskaus, im Trauersaal des Zentralen Krankenhauses, lief parallel die Abschieds-Zeremonie für die ermordete Journalistin Anastasija Baburowa. Studenten der Moskauer Journalismus-Fakultät kamen mit weißen Rosen und Nelken, um von ihrer Kommilitonin, die nach russischer Sitte im offenen Sarg aufgebahrt war, Abschied zu nehmen. Sie soll in Sewastopol (Ukraine) beigesetzt werden. Für die Trauerfeier waren ihre Eltern aus Sewastopol angereist. Die Mutter erzählte, sie seien dagegen gewesen, dass „Nastja“ Journalistin wird. Unter Tränen bat sie um Vergebung, dass sie ihre Tochter nicht schützen konnte.Baburowa schrieb über Skinhead-Gruppen und arbeitete zusammen mit Kollegen der „Nowaja Gaseta“ an Recherchen, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden. „Wir wissen ziemlich viele Dinge, über die wir vorläufig noch nicht reden“, erklärte am Donnerstag der Milliardär Aleksandr Lebedew, dem zusammen mit Michail Gorbatschow 49 Prozent des Kreml-kritischen Blattes gehören. Der Milliardär vermutet, dass der Mord an Anastasija mit der Tätigkeit der „Nowaja Gaseta“ zusammenhängt.Ulrich Heyden
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