Medwedews spätes Beileid
Beileidsbekundungen des Präsidenten zwei Wochen nach dem Mord an einem Anwalt und einer Journalistin
(n-ost) - Zehn Tage nach dem Moskauer Doppelmord an dem Menschenrechts-Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin der „Nowaja Gaseta“ Anastasija Baburowa hat der russische Präsident Dmitri Medwedew sein Schweigen gebrochen. Bei einem Treffen mit dem Chefredakteur der Kreml-kritischen „Nowaja Gaseta“ Dmitri Muratow und dem ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow am Donnerstag sprach Medwedew den Familien der Toten sein Beileid aus.Das Treffen kam laut Muratow auf Initiative der Präsidialverwaltung zustande. Es war „das erste Mal seit mehreren Jahren, dass das Staatsoberhaupt mit Vertretern der Oppositions-Presse sprach“, kommentierte der „Kommersant“. Der stellvertretende Direktor des Zentrums für politische Technologie, Boris Makarenko, sagte jedoch, dass der russische Präsident sich nicht mit Muratow und Gorbatschow getroffen habe, weil die beiden eine Oppositionszeitung vertreten, sondern weil „die Zeitung auf einer Killer-Liste steht“.Bereits vier Mitarbeiter der „Nowaja Gaseta“ sind in den vergangenen Jahren ermordet worden. Der bekannteste Fall war der Mord an Anna Politkowskaja im Oktober 2006. Am Montag vergangener Woche wurden der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin und Expertin für Rechtsradikalismus Anastasija Baburowa im Zentrum von Moskau auf einer belebten Straße von einem maskierten Mann erschossen. Auf den Blogs der Rechtsradikalen wurde der Mord in den vergangenen Tagen mit zynischen Worten abgefeiert.Über das einstündige Treffen mit Medwedew im Kreml berichtete bisher nur der Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“ Dmitri Muratow. Nach seinen Worten kritisierte Gorbatschow den russischen Präsidenten dafür, dass er nicht unmittelbar nach dem Mord sein Beileid ausgesprochen und die Tragödie bewertet habe. Medwedew habe daraufhin erklärt, er wolle sich nicht rechtfertigen, habe aber von einem Beileid und einer Bewertung des Doppelmordes abgesehen, weil jeder Auftritt eines Staatsoberhauptes zu einem politischen Mord die Ermittlungsarbeiten beeinflusse und in eine bestimmte Richtung dränge. Das sei ihm – Medwedew – als Jurist bewusst gewesen, berichtete Muratow.Das Treffen Medwedews mit dem Ex-Präsidenten und dem kreml-kritischen Chefredakteur war dem Bericht Muratows zufolge recht offen: Es wurden viele konfliktreiche Fragen erörtert, die Vertreter des Kreml normalerweise nicht mit oppositionellen Medien-Vertretern besprechen. Nach dem Bericht des Chefredakteurs ging es um die Situation des Journalismus in Russland, die Humanisierung der Gesellschaft und des Strafvollzugs, die Ermittlungen im Fall der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja und um das Projekt eines Gulag-Gedenk-Zentrums. Letzteres ist eine Idee der „Nowaja Gaseta“, die Medwedew offenbar unterstützte.Ob das Treffen in Moskau zufällig gerade zu dem Zeitpunkt stattfand, als Putin auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos weilte, ist bisher unklar. Seit längerem spekulieren Beobachter über mögliche Konflikte zwischen Putin und Medwedew. Der russische Präsident hat sich im Vergleich zu seinem Vorgänger mehrmals öffentlich für eine größere Freiheit der Person ausgesprochen und das Übergewicht des Staates in Russland kritisiert.Ulrich Heyden
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