Kroatien

Der Premier geht – das Land rätselt

Der konservative kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader ist völlig überraschend zurückgetreten – und niemand weiß wirklich, warum. Eine ganze Nation rätselt über die Gründe – Frustration über die blockierten EU-Beitrittsverhandlungen haben aber zumindest eine Rolle gespielt. Mehr als 20 Seiten widmete „Jutarnji List“, eine der größten Tageszeitungen Kroatiens, am Donnerstag dem Rücktritt des Premierministers, der die Regierung seit Dezember 2003 geführt hat. Das Konkurrenzblatt „Vecernji List“ druckte sogar eine 16-seitige Sonderausgabe. Dabei geht es vor allem um die eine Frage: Warum? Denn eine klare Antwort wollte der 56-jährige Ivo Sanader bei seiner Rückzugsankündigung am Mittwoch, die das Fernsehen nicht einmal direkt übertragen durfte, nicht geben. Sanader sagte lediglich: „Meine Arbeit ist getan, mein politisches Leben ist zu Ende“, es sei die Zeit für neue Kräfte gekommen.

Sanader dementierte Gerüchte, er sei krank oder er wolle bei der kroatischen Präsidentenwahl 2010 antreten. Auch werde er keine „Position bei einer europäischen Institution übernehmen“, obwohl ihm dies angeboten worden sei. Immerhin gab er zu, dass der zermürbende Grenzstreit mit dem EU-Mitglied Slowenien einen Einfluss auf seine Rücktrittsentscheidung gehabt habe: „Ich kann nicht sagen, dass dem nicht so ist.“Deutlicher wurde Sanader am Donnerstag in „Jutarnji List“. Er beklagte sich bitter über die Europäische Union: „Die EU-Mitgliedsländer haben kein Verständnis für Kroatien gezeigt, obwohl mir alle europäischen Politiker immer wieder versichert haben, dass Kroatien im Streit mit Slowenien im Recht ist.“ Wegen eines bilateralen Konflikts um Sloweniens Zugang zum offenen Meer und um kleine Abschnitte der Landgrenze blockiert Ljubljana seit Monat die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, das nach Meinung der meisten Experten gut für die EU gerüstet ist.

Als seine Nachfolgerin hat Ivo Sanader die bisherige Vize-Ministerpräsidentin Jadranka Kosor vorgeschlagen – sie könnte schon am Freitag vom Parlament bestätigt werden. Die 56-jährige ehemalige Journalistin, die 2005 bei der Präsidentschaftswahl dem linksliberalen Amtsinhaber Stjepan Mesic klar unterlegen war, soll von Sanader auch den Vorsitz der regierenden Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) übernehmen. Machtverschiebungen und Streit innerhalb der konservativen HDZ sehen viele Beobachter als einen möglichen Hauptgrund für Sanaders Rückzug aus der Politik. Der Premier habe in seiner Partei keine ausreichende Unterstützung mehr gefunden, „vor allem für seinen Kurs der Korruptionsbekämpfung“, vermutet der Zagreber Politologe Nenad Zakosek. Drahtzieher des „Putsches“, wie „Vecernji List“ schreibt, sei der extrem rechte Flügel der HDZ, der in verschiedene Skandale verwickelt sei. In einigen Medien ist sogar davon die Rede, Sanader sei vom organisierten Verbrechen erpresst und zum Rücktritt gezwungen worden. Andere spekulieren über eine ernsthafte Erkrankung einer seiner beiden Töchter.

Sanaders Rücktritt trifft Kroatien mitten in der tiefsten Wirtschaftskrise seit zehn Jahren. Allein in den ersten drei Monaten 2009 sank das Brutto-Inlandsprodukt um fast sieben Prozent. Die Opposition warf denn Sanader auch „Feigheit“ vor und verlangte Neuwahlen. Radimir Cacic, Vorsitzender der linksliberalen Kroatischen Volkspartei (HNS), kritisierte den Premier scharf: „Eine Führungsfigur, die hauptverantwortlich für die Krise und den wirtschaftlichen Kollaps ist, darf und kann nicht einfach das sinkende Schiff verlassen.“Verschiedene kroatische Medien spekulieren indes, hinter Sanaders Rücktritt könnte knallhartes politisches Kalkül stecken. In der tiefsten Krise überlasse er es der oft als „politische Marionette“ belächelten Jadranka Kosor, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, damit Sanader selbst bei den Präsidentschaftswahlen dann doch antrete – als Retter des Landes.


Hintergrund: Vom Nationalisten zum Modernisierer – Der 1953 in der Hafenstadt Split geborene Ivo Sanader war mehrere Jahre ein enger politischer Weggefährte des nationalistischen ersten kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman. Ab 1993 war er dessen stellvertretender Außenminister. Nach Tudjmans Tod übernahm Sanader im April 2000 den Vorsitz der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ). Er distanzierte sich immer mehr vom Nationalismus seines Vorgängers und Ziehvaters, modernisierte die HDZ und machte sie zu einer in Europa geachteten demokratischen konservativen Partei. 2003 wurde Sanader nach dem Wahlsieg der HDZ erstmals Ministerpräsident, 2007 trat er die zweite Amtszeit an. Kroatien hat 4,5 Millionen Einwohner und ist seit April 2009 Mitglied der Nato.


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