Rumänien

Maisbrei explodiert doch

Rumänien erlebt die größten sozialen Proteste seit anderthalb Jahrzehnten. Nach massiven Lohnkürzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst stehen eine Gesundheitsreform und ein großes Privatisierungsprogramm an. Die Machthaber versuchen, die Proteste auszusitzen, auch die Opposition hat keine Rezepte anzubieten. Beobachter warnen davor, dass sich die Empörung der Bürger zu einem „anti-systemischen Protest“ ausweiten könnte.

Bukarest (n-ost) – Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Am Mittwochabend wandte sich der rumänische Staatspräsident Traian Basescu in einer öffentlichen Erklärung an seine Landsleute, vor allem an die, die nunmehr die dritte Woche gegen den sozialen Kahlschlag und gegen die Selbstherrlichkeit der politischen Elite demonstrieren – trotz schwerer Schneestürme im Land.

Basescu gab „Patzer“ und „Kommunikationsfehler“ zu. Doch dann verfiel er wieder in jene Klischees, derer viele Rumänen längst überdrüssig sind. „Ich bin Schiffskommandant und habe mein Ziel nie verfehlt“, sagte der Ex-Kapitän Basescu. „Auch mit Rumänien werde ich es nicht verfehlen.“ Es klang hilflos. Nach der Rede höhnte Cristian Tudor Popescu, ein bekannter Fernsehkommentator: „Basescu sollte sich eine Yacht kaufen, Rumänien drauf schreiben und davon segeln, das wäre besser für ihn und für uns.“

Rumäniens politische Elite reagiert konfus auf die sozialen Proteste. Es sind zwar nur einige tausend Menschen, die täglich auf die Straße gehen, doch die Machthaber ahnen wohl, wie explosiv die Lage ist. „Maisbrei explodiert nicht“, soll Ceausescus Vorgänger Gheorghiu-Dej einmal abfällig über das rumänische Volk gesagt haben. Offenbar falsch: Es war ein wütender Telefonanruf des Staatspräsidenten in einer Fernsehsendung, an denen sich die größten sozialen Proteste seit der Bergarbeiterrevolte 1999 entzündeten. Am 9. Januar hatte Traian Basescu einen beliebten Beamten des Gesundheitsministeriums, den palästinensischen Arzt Raed Arafat, Begründer der modernen Notfall- und Rettungsmedizin in Rumänien, mitten in einer Talk Show verbal niedergemacht – die Zuschauer konnten live mithören.

Raed Arafats Rücktritt als Unterstaatssekretär am 10. Januar löste zunächst Solidaritätskundgebungen und dann fast umgehend Proteste gegen die rechtsliberale Regierung und vor allem gegen die drastische Sparpolitik aus. Nach der Finanzkrise 2008 musste Rumänien beim Internationalen Währungsfond um Notkredite bitten und dafür ein drastisches Spar- und Reformprogramm umsetzen, das nun ins dritte Jahr geht. Im Sommer 2010 beispielsweise wurden die Gehälter im öffentlichen Dienst um 25 Prozent sowie Renten und viele Sozialleistungen um 15 bis 25 Prozent gekürzt. Bis dato wurden 200.000 Angestellte der Staatsverwaltung und des öffentlichen Dienstes entlassen. Dieses Jahr stehen eine Gesundheitsreform und ein gewaltiges Privatisierungsprogramm von Staatsbetrieben auf dem Plan.

Als „verheerend“ bezeichnet der Bukarester Politologe Cristian Parvulescu die sozialen Folgen dieser Politik. „Heute sind in Rumänien nicht einmal mehr die minimalsten Elemente der sozialen Demokratie geschützt“, sagt Parvulescu. Ein Beispiel ist das völlig marode Gesundheitswesen: Der rumänische Staat gibt in diesem Bereich seit Jahren mit 3,5 bis 4 Prozent des BIP nur etwa die Hälfte des EU-Durchschnitts aus, in ländlichen Gebieten existiert Gesundheitsvorsorge nur noch ansatzweise, zehntausende Ärzte fehlen im Land.

Von der Verzweiflung vieler Menschen über solche Zustände ahnt ein Großteil der rumänischen Elite offenbar nichts. Ausgerechnet Rumäniens inzwischen entlassener Außenminister Teodor Baconschi nannte die Protestierenden „verblödete, gewalttätige Vorstadt-Hooligans“. Dabei war er kurz zuvor vom Regierungschef Emil Boc explizit beauftragt worden, einen „Dialog mit der Zivilgesellschaft“ zu organisieren. Am Montag zog Boc die Notbremse und entließ Baconschi.

Doch nicht nur mit der Sparpolitik der Regierung sind die meisten Rumänen unzufrieden, sondern mit den politischen Verhältnissen generell. Von der Opposition, etwa den wendekommunistischen Sozialdemokraten, erwartet die Mehrheit ebenso wenig eine Lösung ihrer Probleme wie von den amtierenden Rechtsliberalen, und tatsächlich hat die Opposition außer Forderungen nach einem Machtwechsel keine glaubwürdigen Rezepte anzubieten.

Das Vertrauen der rumänischen Bürger in die Institutionen des Staates, in Parteien, in die Demokratie überhaupt sinkt seit langem. Die Menschen klagen tief frustriert über Rechtsunsicherheit und Korruption. Deshalb diskutieren viele rumänische Beobachter dieser Tage besorgt die Frage, wie groß die Krise der rumänischen Demokratie sei und ob sich die jetzigen Demonstrationen zu „anti-systemischen Protesten“ ausweiten könnten. „Wenn Rumänien keinen inneren Ansporn zur Überwindung der jetzigen Krise findet, dann wird es die Errungenschaften der Demokratie nicht bewahren können“, warnt der Ökonom Daniel Daianu, „dann lassen sich die Schäden nicht mehr begrenzen.“

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