Gitarren statt Panzer
Als der Jumbojet über Moskau einschwebte, lag Wandel in der Luft. „Es war ein gewaltiges Abenteuer.” Klaus Meine schüttelt noch immer den Kopf, wenn er an den August 1989 zurückdenkt. In dem „Magic Bus”, so hatten die Rocker den Jet kurzerhand getauft, um die Magie des Augenblicks zu beschwören, saß nicht nur der Scorpions-Sänger mit seiner Band. An Bord befand sich die Weltelite des Hardrock: Ozzy Ozbourne, Mötley Crüe, Bon Jovi, Skid Row. Sie alle hatten ein Vorbild: das Woodstock-Festival exakt 20 Jahre zuvor.
Und sie alle verband eine Mission: „Mit unserer Landung brachten wir den Rock’n’Roll nach Russland”, ist Meine noch heute überzeugt. Für den Hannoveraner, der mitten im Kalten Krieg aufgewachsen ist, „am Zonenrand, ganz nah am Stacheldraht”, war die Moskauer „Rock-Revolution” Teil der Zeitenwende des Jahres 1989. „Unsere Eltern waren 1941 mit Panzern gekommen, wir kamen mit Gitarren.”Die Magie des Augenblicks – der 61-Jährige spürt sie heute, 20 Jahre später, noch immer – in Hannover, mitten in der deutschen Provinz, aus der das Angstgefühl längst gewichen ist, das die nahe Grenze einst ausstrahlte.
Alles ist ruhig dort. Und alles anders als am 12. und 13. August 1989. Damals rockten die Scorpions beim „Moscow Music Peace Festival” vor 300.000 Fans. „Was dort im Lenin-Stadion abging, war für den KGB kaum noch zu kontrollieren”, erinnert sich Meine und wiegt wieder und wieder den Kopf. „Als wir auf die Bühne rauskamen, ging ein unbeschreiblicher Aufschrei durch die Massen. Selbst die Soldaten, die für die Sicherheit sorgen sollten, hat das mitgerissen. Die schleuderten ihre Mützen in die Luft und rockten genauso ab wie die Fans.”Der Zauber jener Zeit inspirierte Meine zu seinem Jahrhunderthit „Wind of Change”, den er in den Wochen nach dem Moskauer Festival schrieb. Der Song, 14 Millionen Mal verkauft, stürmte in fast 80 Ländern in die Charts und wurde zur Hymne der friedlichen Revolutionen.
„Die Welt veränderte sich vor unseren Augen”, sagt der Scorpions-Sänger nachdenklich. Meine spricht langsam, in kurzen Sätzen, Beschwörungsformeln gleich: „Da war eine unglaubliche Energie zu spüren. Durch Moskau wehte der Wind des Wandels. Und das war die Grundlage für Wind of Change.”Im Jahr zuvor hatten die Scorpions bei einer ersten Konzertreise in die Sowjetunion noch die Kraft und die Macht der alten Zeit erlebt. „In Leningrad 1988 wusste niemand, ob der KGB uns und die Fans gewähren lassen würde. Es war eine Gratwanderung. Wir wurden frenetisch gefeiert. Aber kurz vor der Abreise hat der KGB unser Hotelzimmer auf den Kopf gestellt. Das war schon heikel.” Doch in den Monaten danach frischte der Wind des Wandels kräftig auf: „1989 sind wir mit dem Gefühl nach Hause gefahren: Der Kalte Krieg ist endgültig vorbei.”Bis zum Ende der Sowjetunion sollte es allerdings noch zwei Jahre dauern. Doch auch diese weltgeschichtliche Wendung erlebte Meine live mit.
Am 14. Dezember 1991, wenige Tage vor der Auflösung der UdSSR, empfing Michail Gorbatschow die Scorpions im Kreml. „Ein rockhistorischer Moment”, urteilt Meine heute. „Wir hatten ,Wind of Change’ vorher auf Russisch eingespielt. Das war wohl ein Grund, warum uns Gorbatschow eingeladen hatte. Diese Version haben wir dann im Kreml gesungen.” Der sowjetische Staatspräsident höchstselbst war es auch gewesen, der 1989 das Moskauer Festival genehmigt hatte.„Unser Auftritt im Kreml hat Gorbatschow, seiner Frau Raissa und der Tochter Irina sichtlich gefallen”, erzählt der Scorpions-Sänger und fügt eine Anekdote über Berührungspunkte zwischen Politik und Rockmusik an: „Ich habe Gorbatschow bei unserem Treffen auf Chruschtschows Auftritt vor der UN-Vollversammlung Anfang der 60er Jahre angesprochen und ihm geschildert, was wir damals empfunden haben: Als der mit seinem Schuh auf das Pult getrommelt hat, sind wir, sind die Menschen weltweit vor Angst erstarrt.
Und jetzt sitzen wir hier, in der Höhle des Löwen.” Darauf habe Gorbatschow nur geantwortet: „Chruschtschow mit dem Schuh, das war doch reinster Rock’n’Roll!”