Albanien

Boykott im Parlament

Als zu Wochenbeginn das albanische Parlament zu seiner ersten Sitzung nach den Wahlen vom 28. Juni zusammentrat, glaubte man, das starke Erdbeben in Dibra mit Stärke 7 auf der Richterskala habe auch das Herz der albanischen Demokratie getroffen. Knapp die Hälfte des Parlaments war leer. Von den 140 gewählten Abgeordneten nahmen nur 75 Platz. Der Verlierer der Wahl, Tiranas Oberbürgermeister Edi Rama, der nach der Zersplitterung seiner Partei selbst mit dem Rücken zur Wand steht, hatte seine Sozialistische Partei (PS) zwei Tage zuvor offen zum Boykott des Parlaments aufgerufen.

Grund für den Boykott sind vor allem Vorwürfe der Wahlfälschung, die sich gegen den alten und neuen Premier Sali Berisha richten. Dessen Demokratische Partei (PD) hatte die Wahlen knapp für sich entschieden. Bei der Suche nach einem Koalitionspartner war er neben der Republikanischen Partei bei der von den Sozialisten abgespaltenen LSI fündig geworden. Die Partei war eigentlich angetreten, um Berisha gemeinsam mit den Sozialisten abzulösen, hatte ihre Koalitionsaussage aber zugunsten einer Regierungsbeteiligung zurückgezogen. Das war nicht der erste Fall eines machtpolitisch motivierten Kurswechsels in der albanischen Politik.

Rama fordert nun eine Aufklärung der Ereignisse nach den Wahlen, die er ein „Wahlverbrechen” nennt, und zweifelt die Legitimität des neuen Parlaments als vom Volk gewählte Institution an. Zudem fordert er sowohl die Einsetzung einer parlamentarischen Kommission unter Beteiligung von OSZE und ODIHR als auch die teilweise Neuauszählung von Stimmen in den Wahlbezirken Shkodra, Berat und Tirana. Eine weitere Forderung, die er mit Hilfe des Boykotts durchsetzen will, ist die Aufklärung des Mordes am PS-Abgeordneten Fatmir Xhindi im Vorfeld der Wahlen.

Für seinen drastischen Schritt erntete Rama harsche Kritik nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus den eigenen Reihen. Die rechtsgerichtete Plattform in seiner Partei um Ben Blushi bezeichnete den Boykott als undemokratische Vorgehensweise, die primär eine Privatinitiative des Parteivorsitzenden sei. In einem Fernsehinterview forderte der innerparteiliche Herausforderer Ramas zudem den Rücktritt des Parteivorsitzenden nach den verlorenen Wahlen. Auf einem außerordentlichen Parteikongress hatte er bereits Ende August grundlegende Änderungen im Statut der Partei vorgeschlagen, die allerdings von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt wurden.

Die PD-nahe Zeitung „Sot” prägte unterdessen das neue Schimpfwort von der „Ramaskerade”, die die albanische Politik lähme. Ilir Meta, Chef der von den Sozialisten abgespaltenen LSI und mittlerweile kleiner Koalitionspartner der Demokraten Berishas, holte ebenfalls zu einer umfassenden persönlichen Anklage aus. Das Verhalten Ramas sei ausschließlich auf persönliche Interessen und Probleme gegründet. Das Verhalten seiner Partei sei beschämend und führe in die politische Sackgasse.

Noch vor der Eröffnung der Parlamentssitzung reagierte auch der Leiter der OSZE-Mission in Albanien, Robert Bosch, auf den Parlamentsboykott. In einer vom Fernsehen ausgestrahlten Stellungnahme forderte er die PS auf ins Parlament zurückzukehren. Sein Aufruf blieb ohne Reaktion. Stattdessen steht zu erwarten, dass der Parlamentsboykott die Spannungen zwischen den beiden großen Parteien verstärkt und die politische Spaltung des Landes weiter vorantreibt.

Derweil versucht Premier Berisha zur Tagesordnung überzugehen und mit Europa-Rhetorik zu punkten: „Vor 20 Jahren waren wir 250 Jahre von der EU entfernt”, waren seine Worte vor dem neuen Parlament. Er forderte daher, keine Zeit zu verlieren und den Weg in Richtung Europa im vollen Lauf zurückzulegen. Auch die Kabinettsbildung versucht er zügig abzuschließen. Obwohl noch keine endgültige Entscheidung gefallen ist, scheint klar, dass Jozefina Topalli erneut den Vorsitz des albanischen Parlaments übernehmen wird.

Während diese Berufung keine großen Kontroversen auslösen wird, lassen zwei weitere Personalien Zweifel an der Glaubwürdigkeit des neuen Kabinetts aufkommen. Sowohl Lulezim Basha, der erneut für den Posten des Verteidigungsministers vorgesehen ist, als auch Fatmir Mediu von der Republikanischen Partei, der ausgerechnet das Umweltministerium übernehmen soll, sind vor Gericht für die Verstrickung in die Explosion des Munitionslagers in Gërdec angeklagt. Sollten diese Personalien umgesetzt werden, dürfte sich das Misstrauen der Albaner in eine korrupte politische Führungsschicht weiter verstärken.


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