IN DEN MÜHLEN VON PUTINS JUSTIZ
(n-ost) – Von Michail Chodorkowski ist der Ausspruch überliefert: „Wenn wir einen Staat hätten, wäre ich längst im Knast.“ Gesagt haben soll der heute 46-Jährige diesen Satz in Russlands wilden 90er Jahren. Damals riss sich der studierte Chemiker einen großen Teil der Rohstoffindustrie des Riesenreiches unter den Nagel. Seit fünf Jahren nun sitzt Chodorkowski tatsächlich hinter Gittern. In dieser Woche beginnt in Moskau mit der Zeugenvernehmung die wichtigste Etappe im zweiten Prozess gegen ihn. Dem einstigen Ölmilliardär (Yukos), der 2004 wegen Betrugs zu acht Jahren Lagerhaft in Sibirien verurteilt worden war, drohen weitere 22 Jahre Gefängnis. Dasselbe gilt für seinen Freund, den früheren Yukos-Vize Platon Lebedew, der neben Chodorkowski auf der Anklagebank sitzt.Der Fall Chodorkowski hat viel mit der „Rückkehr des Staates“ unter Ex-Präsident Wladimir Putin und seinem Nachfolger und politischen Ziehsohn Dmitri Medwedew zu tun. Zugleich zeigen die undurchsichtigen Vorgänge um den ehemaligen Oligarchen die Natur dieses Staates: das Wesen der „gelenkten Demokratie“. Das System funktioniert nach dem Prinzip „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Chodorkowski stellte sich gegen den Kreml. Er unterstützte nach Putins Wahl im Jahr 2000 die Opposition, kämpfte für ein sozialeres Russland und entwickelte sich zum Intimfeind des Präsidenten. Und so ist der Vorwurf der „Justiz-Willkür“, den Chodorkowskis Anwälte erheben, nicht aus der Luft gegriffen. Zumal sich Putins Gasprom-Imperium nach der Verurteilung des Eigentümers den Yukos-Konzern kurzerhand einverleibte. Ebenso nahe liegend ist allerdings, dass Chodorkowski in den 90er Jahren sehr wohl gegen Gesetze verstoßen hat – denn deren Wirkungsmacht war in jenen rechtlosen Zeiten minimal.Zu Chodorkowskis Verteidigern zählt der renommierte kanadische Menschenrechtsanwalt Robert Amsterdam. Im Gespräch mit n-ost empört er sich über „die unlogischen Anschuldigungen” gegen seinen Mandanten, die Chefankläger Dmitri Schochin im zweiten Prozess präsentiert habe. „Wie soll jemand rein physisch in der Lage sein, eine Menge von 350 Millionen Tonnen Erdöl zu stehlen?”, fragt Amsterdam. Der erst 38-jährige Staatsanwalt wirft Chodorkowski hingegen vor, zwischen 1998 und 2003 Einnahmen von 20 Milliarden Euro unterschlagen zu haben. Fast 200 Aktenordner mit angeblichem Belastungsmaterial hat seine Behörde zusammengetragen. Sechs Monate dauerte die Verlesung der Anklageschrift, die in der vergangenen Woche endete. Zu dem Verfahren äußern will sich Schochin außerhalb des Gerichtssaals nicht. Anders Robert Amsterdam. Für die Zeugenvernehmung kündigt er eine harte Strategie an: „Wir werden in der öffentlichen Verhandlung Aussagen unter Eid verlangen.” Vorladen wollen die Verteidiger unter anderem Ex-Präsident Putin.Amsterdam ist überzeugt: „Das Verfahren gegen Chodorkowski ist ein politischer Schauprozess. Der Kreml will sich eines Kritikers entledigen.“ Die Belege, die der Anwalt für seine These ins Feld führt, sind jedoch eher mager. Amsterdam beruft sich vor allem auf den früheren Premierminister Michail Kasjanow, der inzwischen allerdings zu den führenden Köpfen der Anti-Kreml-Opposition zählt. Vor wenigen Wochen habe Kasjanow „in einem Interview enthüllt, dass Putin ihm im Juli 2003 gesagt habe, Chodorkowski habe, eine Grenze überschritten’, als er bestimmte politische Parteien ohne Putins Erlaubnis unterstützte.” Seit dem Beginn des zweiten Prozesses vor einem halben Jahr hätten zudem „viele Personen, die Putin und Medwedew nahe stehen, angeregt, dass es politisch notwendig sei, eine Vereinbarung zu finden, um diesen Fall abzuschließen.”Ein Deal also? Tatsächlich spricht manches dafür, dass sich die politische Führung in Moskau der Causa Chodorkowski lieber heute als morgen entledigen würde. Schließlich ringt Russland um neue internationale Reputation. Dass die Personalrochade im Kreml den Fall beeinflusst hätte, kann Amsterdam dagegen nicht erkennen. Unter Präsident Medwedew habe sich an der Prozessführung nichts geändert. Es sind demnach noch immer die mächtigen Mühlen der Putin-Justiz, die in dem Chodorkowski-Verfahren mahlen – auch wenn der junge Staatschef Medwedew, ein promovierter Jurist, immer wieder davon spricht, welch hohen Wert er dem Rechtsstaatsprinzip beimisst.Diesem hehren Anspruch wird der Prozess gegen Chodorkowski sicher nicht gerecht. So tat die russische Justiz im Vorfeld des zweiten Verfahrens viel, um den Angeklagten ins Zwielicht zu rücken. Ein Moskauer Gericht ließ die Schadenersatzklage eines Mithäftlings zu, der den ehemaligen Öl-Magnaten vor drei Jahren mit einem Messer attackiert hatte. Angeblich, so der dubiose Hintergrund, habe sich der Angreifer nur gegen „homosexuelle Übergriffe“ Chodorkowskis zur Wehr gesetzt. Das Verfahren wurde zwar schließlich eingestellt, doch der „Vorwurf“ der Homosexualität ist in der Welt – im schwulenfeindlichen Russland keine Kleinigkeit.Und wie geht es Michail Chodorkowski bei all dem? Im Gerichtssaal müssen er und Lebedew in einem Verschlag aus Glas und Metall Platz nehmen. Chodorkowskis Unterstützer berichten vom ungebrochenen Durchhaltewillen des 46-Jährigen. So schildert es auch Robert Amsterdam, der zugleich die unwürdigen Haftbedingungen anprangert: „Mit der Verlegung ins Untersuchungsgefängnis hat Michail Chodorkowski das Recht verloren, seine Familie im Rahmen von dreitägigen Besuchen zu treffen. Er kann sie nur noch unregelmäßig für eine Stunde hinter einer Glasscheibe sehen.” Doch obwohl der einstige Oligarch in Moskau „in einem der härtesten Gefängnisse Russlands gefangen gehalten” werde, sei er „in guter Verfassung”.Ulrich Krökel
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