Russland

AUFSTAND IN DER DUMA

(n-ost) – Nach heftiger Kritik an den Wahlfälschungen bei den Regionalwahlen am Sonntag haben am Mittwoch, 14. Oktober, die drei Fraktionen der Oppositionsparteien nacheinander den Sitzungssaal der russischen Duma verlassen. Vertreter der drei  Oppositionsparteien erklärten, sie wollten nicht eher in das Parlament zurückkehren, bis sie von Kreml-Chef Dmitri Medwedew zu einem Gespräch empfangen würden.

Die Kreml-Partei Geeintes Russland, die mit 315 von 450 Abgeordneten über die absolute Mehrheit in der Duma verfügt, tat nach dem Auszug der Opposition zunächst so, als ob nichts Besonderes passiert sei, und führte die Sitzung der Tagesordnung gemäß weiter. Dabei war es das letzte Mal vor neun Jahren passiert, dass die Oppositionsparteien demonstrativ das Parlament verließen.

Der Leiter der Zentralen Russischen Wahlkommission Wladimir Tschurow wollte die Vorgänge nicht kommentieren. „Das ist Politik“, sagte er lediglich. Duma-Sprecher Boris Gryslow forderte die Opposition auf, zur „konstruktiven Lösung von Problemen“ zurückzukehren. Für die liberale Partei Jabloko, die am Sonntag den Einzug in das Moskauer Stadtparlament verfehlte, ist der Auszug der Oppositionsparteien nicht mehr als eine „Meuterei auf einem Schiff“. Der Kurs des Schiffes werde weiter von Premier Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew bestimmt, erklärte Sergej Iwanenko, einer der Jabloko-Führer.

Vor dem Auszug der Oppositionsparteien hatte es in der Duma heftige Vorwürfe gegeben. Der Vorsitzende der ultranationalistischen Liberaldemokraten Wladimir Schirinowski sagte: „Mit Fälschern können wir nicht in einem Saal sitzen.“ Abgeordnete der Liberaldemokraten forderten die Annullierung der Wahlergebnisse und die Absetzung von Gouverneuren und Bürgermeistern, in deren Regionen es zu Wahlfälschungen kam. Die Regionalwahlen seien eine Wahlfarce gewesen, die in Westeuropa strafrechtliche Ermittlungen und reihenweise Rücktritte zur Folge gehabt hätten, erklärte der Abgeordnete der Kommunistischen Partei, Wladimir Ulas. Der KP-Abgeordnete Sergej Obuchow sagte in einem Interview mit Radio Svoboda, mit den Wahlfälschungen vom Sonntag verliere Russland seine „nationale Würde“. „Wir sind nicht Zimbabwe“, stellte er fest. Man könne nicht zulassen, dass Russland wie ein Polizei-Revier geführt werde, so der Abgeordnete.

Besonders massive Wahlfälschungen gab es nach Meinung der Opposition in Moskau. Die Kreml-Partei Geeintes Russland hatte am Sonntag um satte 20 Prozent zugelegt. Schirinowskis Liberaldemokraten, aber auch die linksnationale Partei Gerechtes Russland scheiterten an der von Wladimir Putin vor zwei Jahren eingeführten Sieben-Prozent-Hürde. Die 35 Sitze im Moskauer Stadtparlament teilen sich nun die Kreml-Partei Geeintes Russland mit 32 Abgeordneten und die Kommunisten mit drei Parlamentariern.

Der von Ultranationalist Wladimir Schirinowski initiierte Paukenschlag in der Duma könnte dem Kreml indes sogar recht sein. Nicht zum ersten Mal diente Schirinowskis LDPR als steuerbare Partei zum Dampfablassen. Als Ende vergangenen Jahres im russischen Fernen Osten Menschen spontan gegen die Erhöhung der Zölle für Gebrauchtwagen protestierten, nahm die LDPR aktiv an den Demonstrationen teil. Zu den Regionalwahlen am Sonntag präsentierte sich Wladimir Schirinowski, dessen Partei in der Vergangenheit, trotz oppositioneller Reden, immer wieder auf den Kreml-Kurs eingeschwenkt war, erneut als Vertreter des „Volkszorns“. Auf einem Wahlplakat sah man den grimmig dreinblickender Parteiführer neben einem heruntergekommenen Plattenbau, wie es sie zu Hunderttausenden in Russland gibt. Daneben stand die provokante Parole: „Nur mit der LDPR oder leide weiter!“ In Russland sind derzeit Hunderttausende Menschen von Massenentlassungen und Kurzarbeit betroffen.

Die Kreml-Partei Geeintes Russland hätte die Wahlen sicher auch ohne Fälschungen gewonnen, denn die Partei wird von Wladimir Putin geführt, der trotz der Auswirkungen der Finanzkrise sehr populär ist. Möglicherweise nutzten die Vertreter von Geeintes Russland ihre Dominanz in den Wahlkommissionen jedoch, um ihre Machtposition und damit auch den Zugang zu den staatlichen Kassen weiter auszubauen. Doch damit könnte sich die „Partei der Macht“ ihr eigenes Grab schaufeln. Wenn das den Polit-Technologen im Kreml aufgefallen ist, dürfte der von Schirinowski initiierte Auszug aus der Duma vielleicht ganz gelegen kommen.


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