Albanien

Sprachrohr für eine neue Linke

Albanische Zeitungen sind oft sehr kurzlebig. Während erst im Januar die rechts-zentristische Zeitung „Tema“ verboten wurde, versucht am linken Rand die Wochenzeitung „Gazeta“ seit kurzem, vor allem junge Leser der Mittel- und Unterschicht zu gewinnen. Herausgeber ist eine Gruppe junger Intellektueller und Journalisten, die die Wirtschaftskrise und die politisch instabile Situation in Albanien als Motivation zum Handeln verstehen. Sie wollen mit dieser Zeitung einer neuen albanischen Linken ein Sprachrohr geben.

Obwohl das Blatt nur in einer bescheidenen Auflage von 1.500 Stück erscheint – die einflussreiche Tageszeitung „Shqip“ verkauft rund 100.000 Exemplare pro Tag – ist es keineswegs eine Marginalie in der albanischen Presselandschaft. Mit ihrem provokativen Charakter polarisiert die Zeitung und stößt Diskussionen an. Selbst erklärtes Ziel der Macher ist es, sich von den Zeitungen zu distanzieren, die primär die Interessen ihrer Hauptsponsoren vertreten.

Arbër Zaimi, Mitbegründer und Herausgeber der „Gazeta“ beschreibt ihre Strategie so: „Wir streben als Ideal eine Zeitung an, die von Hand zu Hand weitergegeben wird und in Gruppen gelesen wird. Die Hauptmitarbeiter der Zeitung sind Intellektuelle aus dem akademischen Bereich. Unser wichtigstes Ziel ist es, eine unabhängige Plattform für anspruchsvolle intellektuelle Diskussionen zu schaffen.“

„Gazeta“ zeigt sich daher besonders engagiert, wenn es darum geht, Korruption und Klientel-Denken anzuprangern. Klassenkämpferisch gibt sich die Wochenzeitung seltener, vielmehr hat sie sich als gesellschaftskritische Plattform mit einer guten Prise intelligenten, teils schwarzen Humors besonders bei jungen Albanern schnell einen Namen gemacht. Mit pointierten Kommentaren über das politische Leben in Albanien und die oberflächlichen öffentlichen Diskurse erregt sie immer wieder Aufsehen.

Auch das Herausgeber-System der Zeitung ist ungewöhnlich: Bisher finanziert sich das Blatt nur aus Kleinspenden und der ehrenamtlichen Tätigkeit ihrer Mitarbeiter – eine Strategie, die besonders im post-sozialistischen Albanien mit seinem ausgeprägten Individualismus selten ist. „Dadurch verkaufen wir die Zeitung zur Hälfte des Produktionspreises. Das bringt uns wirklich an den wirtschaftlichen Abgrund. Aber wir bauen auf die ehrenamtliche Mitarbeit und auf die ständig wachsende Zahl von Unterstützern“, sagt Arbër Zaimi.

Mit ihrer provokativen Haltung hat „Gazeta“ auch schon harte Kritik einstecken müssen. Der einflussreiche albanische Publizist Ardian Vehbiu etwa griff einen Autor der Zeitung scharf an, der Mao Tse-Tung zitiert und den Antitotalitarismus als Hauptideologie des heutigen Albanien bezeichnet hatte. In Bezug auf das Nachbarland Kosovo vertreten die Herausgeber die Meinung, dass die Unabhängigkeit des Kosovo als Geschenk der USA und der EU keinen Wert habe. In der „Gazeta“ ist von einem „modernen Kolonialismus“ im Kosovo zu lesen, der primär der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme dient.

Auch in der Bevölkerung ist das Blatt umstritten. Denn gerade in einem Land, das unter einem der grausamsten kommunistischen Regime litt, lehnen viele Menschen eine linke Zeitung ab – vor allem jene, die vom kommunistischen Regime verfolgt und unterdrückt wurden. „Wie kann man eine kommunistische Zeitung lesen, wenn man weiß, was der Kommunismus für uns bedeutet hat? Meine Familie ist zerstört worden. Einen neuen Kommunismus brauchen wir nicht, auch nicht in der Presse“, sagt eine Passantin in Tirana.

Die Redakteure reagieren auf solche Kritik und thematisieren in vielen Artikeln die Frage, was die Linke im heutigen Albanien ist und was sie sein sollte. Herausgeber Arbër Zaimi sagt dazu: „Die dominierende Ideologie im heutigen Albanien ist der Neoliberalismus, basierend auf dem Mythos vom freien Markt, der in Wirklichkeit ein rücksichtsloser Markt ist, in dem es vor allem an Transparenz fehlt.“ Zudem würden die wichtigsten Parteien von Familien-Clans kontrolliert. Dies schließe zunehmend die Mittel- und Unterklasse von der politischen Teilhabe aus . „Wir als linke Bewegung wollen diese Missstände aufdecken und Wege zu Lösungen unserer Probleme zeigen.“


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